Ann-Katrin Hahner

Fast 5,7 Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland – Tendenz steigend. Doch das Pflegesystem ächzt unter Komplexität und Finanzierungsdruck. Die neue Pflegebeauftragte Katrin Staffler fordert tiefgreifende Änderungen. Was sich nun bei den Leistungen der Pflegeversicherung ändern könnte – und warum mehr Steuergeld allein nicht reicht.

Pflege in Deutschland: Mehr Bedürftige, weniger Klarheit

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland ist in den vergangenen zwei Jahren um satte 15 Prozent gestiegen – auf knapp 5,7 Millionen Menschen im Dezember 2023. Dies geht aus den Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor. Doch nicht nur die demografische Entwicklung ist verantwortlich: Der seit 2017 weiter gefasste Pflegebedürftigkeitsbegriff sorgt dafür, dass Menschen früher Leistungen erhalten. Mit der wachsenden Zahl steigt auch die Belastung der Pflegeversicherung. Besonders relevant: Rund 86 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, ein Großteil davon ausschließlich von Angehörigen – oft unter hohem finanziellen und organisatorischen Druck.

Die Pflege steckt in der Krise – das sieht offenbar auch die neue Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Katrin Staffler (CSU) so. Im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sprach Staffler von einem über Jahre umgebauten System, das an Stabilität verloren habe. Statt kosmetischer Korrekturen brauche es jetzt eine grundlegende Neuaufstellung. Im Gespräch warnte sie: „Ohne grundsätzliche Änderungen bei den Leistungen wird es nicht gehen.“

Ein konkretes Beispiel liefert sie gleich mit: Das bisherige Pflegehilfsmittel-Budget von 42 Euro pro Monat für Handschuhe, Schürzen und Co. führe zu Lagerbergen ungenutzter Materialien – und einer Industrie, die vom Abo-Modell profitiere. Staffler schlägt vor, diese Leistung zu streichen und stattdessen das Pflegegeld leicht zu erhöhen – für mehr Flexibilität und Zielgenauigkeit.

Auch die Pflegeversicherung sei „extrem kleinteilig“ organisiert, so die CSU-Politikerin weiter. Leistungen seien überreguliert und für Laien kaum durchschaubar. Besonders im Pflegegrad 1, in dem laut Statistischem Bundesamt rund 680.000 Menschen ohne ambulante oder stationäre Hilfe leben, sieht sie Reformpotenzial. Statt starrer Einzelangebote spricht sie sich für ein sogenanntes „Pooling“ aus – ein flexibles Gesamtbudget, das individuell genutzt werden kann. Ziel: Bürokratie abbauen, echte Hilfe vor Ort ermöglichen.

Pflege in der Krise: Wer trägt am Ende die Kosten?

Klar ist: Ohne zusätzliche Steuermittel wird es nicht gehen. Zwar hat der Bund bislang zwei Milliarden Euro als Darlehen zugesagt, doch das reicht laut Staffler bei Weitem nicht. Der Bund schulde der Pflegeversicherung zudem noch über fünf Milliarden Euro aus der Corona-Zeit. Zusätzlich würden jährlich über sechs Milliarden Euro für Rentenbeiträge pflegender Angehöriger und Ausbildungskosten aus den Beiträgen finanziert – Leistungen, die aus Steuermitteln kommen müssten, nicht aus Versicherungsbeiträgen, sagte sie dem RND.

Statt immer neue Leistungen in die Pflegeversicherung aufzunehmen, müsse stärker hinterfragt werden, wofür das Geld eigentlich ausgegeben wird, so Staffler. Besonders wichtig sei ihr dabei die Stärkung von Prävention. Menschen mit dem niedrigsten Pflegegrad 1 sollten gezielte Angebote wie Reha-Sport erhalten – nicht automatisch mehr Pflege, sondern Hilfe, damit sie möglichst lange selbstständig bleiben.

Staffler warnte in diesem Zusammenhang auch davor, dass sich die Pflegeversicherung nicht in eine „Erbenschutzversicherung“ verwandeln dürfe. Was sie damit meint: Die Versichertengemeinschaft soll nicht dafür aufkommen, dass Vermögen – etwa Immobilien – innerhalb von Familien unangetastet bleibt, während der Staat gleichzeitig die Pflegekosten übernimmt. Vielmehr sollten auch die Länder mehr investieren, etwa in die Modernisierung von Heimen, um langfristig die Eigenanteile zu senken.