Damals, im November des vergangenen Jahres, war alles noch ganz weit weg in den Gedanken von Nathalie Armbruster. Die 19 Jahre junge Kombiniererin aus dem Schwarzwald saß oben auf dem Bakken der Ruhesteinschanze, ganz in der Nähe ihres Heimatortes Kniebis. Neben ihr Aksel Lund Svindal, 42 Jahre alt, Norweger, Olympiasieger in der Abfahrt und Super-G, fünffacher Weltmeister. Ein Sponsor hatte die beiden zusammengebracht. Lange haben sie miteinander in luftiger Höhe gesprochen, über Ängste und Risiken und über die mentale Einstellung.
Eine coole Begegnung sei es gewesen, erzählt Armbruster. An einen Satz erinnere sie sich noch sehr gut: „Aksel sagte: ‚Nicht viele Athleten dürfen in der Favoritenrolle zu einem Großereignis fahren. Wenn es so kommen sollte, dann sei Dir dieses Privilegs bewusst!‘“
Hochleistungssport und Schule
Dass sich Nathalie Armbruster schon wenige Monate nach dieser Unterhaltung in genau dieser Situation befinden würde, ahnte sie damals noch nicht. Doch seitdem hat die Athletin des SV-SZ Kniebis Geschichte geschrieben, hat das erste Seefeld-Triple für Frauen gewonnen, hat als erste deutsche Kombiniererin dreimal im Weltcup triumphiert und darf das Gelbe Trikot der Führenden in der Weltcupwertung tragen.
„Es ist sehr viel passiert in den letzten Wochen“, bekennt sie, „die Saison läuft tausendmal besser, als ich erwartet habe.“ Die Folge: Bei den nordischen Weltmeisterschaften in Trondheim gehört sie zum engsten Kreis der Titelanwärterinnen. Neben den Norwegerinnen Ida Marie Hagen und Doppel-Weltmeisterin Gyda Westvold Hansen sowie den Kasai-Zwillingen Haruka und Yuna aus Japan.
Schulstress neben Wettkämpfen
Dabei sind die Auftritte im Weltcup nur die eine Herausforderung im Leben von Nathalie Armbruster, die andere ist die Schule. Denn wenn sie von den Titelkämpfen in Norwegen heim kommt, dann steht das schriftliche Abitur an. Das Kepler-Gymnasium in Freudenstadt hat sie einem Umzug in ein Internat vorgezogen. „Ich bin ein absoluter Familienmensch“, charakterisiert sich die junge Sportlerin. Zur Familie gehören ihre Eltern, zwei Katzen und ein Kaninchen. „Nathalie ist eine ehrgeizige Tochter“, sagt auch Mutter Susi Armbruster, „aber nie verbissen.“
Auch der Spaß kommt nicht zu kurz
Trotzdem sorgt sie gemeinsam mit ihrem Mann Hans dafür, dass ihre einzige Tochter nicht überfordert wird. Sollten allzu viele Medienanfragen kommen, legen sie immer wieder ihr Veto ein und sorgen für Ruhephasen. Dabei spielt auch Heimtrainer Tino Uhlig einen wichtigen Part: „Wichtig ist, dass sie sich selbst nicht überfordert.“ Ihm vertraut die Athletin bedingungslos. „Er weiß, was gut für mich ist.“ Besonders wichtig für Armbruster wie auch für Uhlig, „dass es kein Training gibt, in dem wir nicht lachen“.
Und was den Abschluss der Schule anbelangt, sagt sie: „Ich bin Sportlerin, ich bin ehrgeizig, ich bin zielstrebig – ich will auch ein gutes Abi machen.“ Deshalb lernt sie, wenn sie unterwegs ist, schon vor dem Training. Und am Abend geht‘s weiter. Warum Armbruster dieses Leben am Limit führt, verrät Bundestrainer Florian Aichinger: „Sie will das Abi mit 1,0 machen, mindestens aber mit 1,2. Und das wird sie hinkriegen.“
Mit Selbstvertrauen in die WM
Doch zunächst möchte Nathalie Armbruster im Sport ihre Reifeprüfung ablegen. Und geht die kommenden Aufgaben mit deutlich mehr Selbstvertrauen an. „Wenn man einmal oben gestanden ist, dann sagt man sich: ‚Okay, ich kann das.‘“ Trotzdem sagt sie zu ihrem Ziel in Trondheim: „Eine Medaille würde ich gerne gewinnen“. So wie vor zwei Jahren in Planica, als sie zweimal Silber gewann. Und danach steht das Weltcupfinale am Holmenkollen in Oslo an.
„Das Gelbe Trikot ist schon krass, ich würde es am liebsten nicht mehr hergeben“, sagt sie frei heraus. 102 Punkte Vorsprung hat sie vor den beiden letzten Wettbewerben vor Haruka Kasai. Bei 200 Punkten, die maximal noch zu gewinnen sind, stehen die Chancen, dass Nathalie Armbruster in der fünften Saison die erste Weltcupgewinnerin aus Deutschland wird, gut.
Als die Schwarzwälderin im Herbst 2023 nach Platz zwei in der Endwertung in ihren zweiten Weltcupwinter startete, klagte sie noch: „Wenn man in eine neue Saison geht und als Zugpferd der ganzen Mannschaft angesehen wird, dann lastet noch mehr Druck auf einem.“ Mittlerweile weiß die junge Kombiniererin jedoch damit umzugehen, auch dank des Hinweises von Aksel Lund Svindal. Armbrusters Credo: „Es ist kein zusätzlicher Druck, sondern tatsächlich ein Privileg.“ Wohl dem, der das so bewertet.
Der WM-Zeitplan
ARD und ZDF teilen sich die Übertragung der Weltmeisterschaften auf, außerdem zeigt Eurosport alle Wettkämpfe. ZDF und ARD bieten auch Livestreams an. (sk)