Sonntag, 10. November, 13.02 Uhr: An der französischen Atlantikküste vor der Stadt Les Sables d‘Olonne wird dann der Startschuss zur Weltregatta Vendée Globe fallen. Das Teilnehmerfeld ist so groß wie noch nie: 34 Männer und sechs Frauen starten dann zur Weltumsegelung, die seit 1989 alle vier Jahre stattfindet. Dabei hat der Deutsche Boris Herrmann reelle Chancen, ganz vorne mitzumischen. Sein zwei Jahre altes Boot hat er ausführlich kennengelernt. Bei zwei Transatlantik-Regatten wurde der 43-Jährige jeweils Zweiter. Mit dem Boot hat er auch im Team das Ocean-Race, ein Etappenrennen um die ganze Welt, gesegelt.
Zwei Bootstypen – zwei Meinungen
Es ist ein Boot mit sogenannten Foils. Das sind eine Art Tragflächen rechts und links, die das Boot bei entsprechendem Wind weitgehend aus dem Wasser hieven und dadurch sehr viel schneller machen. 25 der 40 Boote sind mit solchen Foils ausgestattet. Das führt dazu, dass diese Vendée Globe ein Zwei-Klassen-Rennen ist: Die neuen Boote segeln mit Foils, die älteren mit den Schwertern rechts und links.

Obwohl: Der älteste Teilnehmer, der 65-jährige Jean Le Cam, der zu seiner sechsten Vendée Globe startet, segelt auf einem neuen Boot mit den klassischen Schwertern. Ein baugleiches Boot hat auch Eric Bellion, der die Vendée Globe 2016/17 gesegelt ist. Bellion sagt im Interview mit den Organisatoren, das sei ein bisschen wie beim Kampf zwischen Hase und Igel. Er und Le Cam setzen auf die einfachere Technik.
„Ich bin überzeugt, dass unser Boot das Boot der Zukunft ist“, sagt Bellion. Jean Le Cam sieht auch den finanziellen Aspekt: „Wir wollten ein vernünftigeres Boot machen, das zugänglicher ist.“ Er will die Kosten im Rahmen halten. Und Robin Knox-Johnson, 85 Jahre alt, und vor 56 Jahren erster Einhand-Weltumsegler überhaupt, sagt über Le Cam: „Ich würde nicht gegen ihn wetten.“
Boris Herrmann aber sieht das anders. Siegchancen, das sagt er gegenüber dem SÜDKURIER in einer Online-Pressekonferenz, haben für ihn nur die Boote mit den Foils.
Wie Boris Herrmann startet auch Isabelle Joschke zu ihrer zweiten Vendée Globe. Joschke, Tochter einer Französin und eines Deutsch-Österreichers, fiel vor vier Jahren am Kap Hoorn aus: Schaden am Pendelkiel. Sie segelte im Zeitlupentempo noch bis Brasilien, reparierte dort ihr Boot und machte sich dann auf den Rückweg nach Les Sables d‘Olonne. Dieses Mal will sie das Rennen anders angehen. Vor allem mental.
Einsamkeit als Herausforderung
Während die meisten anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer als oberstes Ziel angeben, die ganze Vendée Globe zu segeln, sagt sie: „Eine gelungene Vendée Globe wäre für mich in erster Linie eine Vendée Globe, die mir Vergnügen bereitet.“ Das war 2020 nicht der Fall: Zuviel Grübelei über die richtige Taktik, selten entspannt, den Aspekt Vergnügen völlig vernachlässigt. „Die Vendée Globe, das ist eine Geschichte zwischen mir und mir“, philosophiert sie. Sie müsse besser auf sich selbst hören, das sei ihr bei der ersten Vendée Globe nicht gelungen.
Die Einsamkeit. Für Boris Herrmann ist das eine der größten Herausforderungen. Das sehen andere Segler ganz anders. Sie freuen sich geradezu auf die Zeit ganz allein auf hoher See. „Das Alleinsein, das ist für mich eine Kraft. Ich bin gern allein“, sagt Guirec Soudée, der zu seiner ersten Vendée Globe startet, der sich aber in Sachen Einsamkeit sehr gut auskennt: Er segelte drei Jahre lang mit einem Huhn von Pol zu Pol (worüber er auch ein sehr amüsant zu lesendes Buch geschrieben hat: „Seefahrt mit Huhn“). Er ruderte auch einmal in 180 Tagen über den Atlantik und wieder zurück.
Zwei Ehepaare – vier Boote
Auch die jüngste Teilnehmerin, die 23-jährige Violette Dorange, fürchtet nicht die Einsamkeit. Sie fürchtet eher die Langeweile, sagt sie. Sie nimmt ein dickes Heft mit: „Zum Schreiben, das beschäftigt mich.“ Die Vendée Globe ist ein hartes Rennen, aber es gibt ausführliche Ruhephasen, in denen das vom Autopiloten gesteuerte Boot über das Meer segelt. Dann bleibt Zeit zum Musik hören, zum Lesen, zum Schreiben.
Auch zwei Ehepaare starten bei dieser Vendée Globe, alle Vier jeweils allein auf ihrem Boot. Die Engländerin Samantha Davies, für die es schon die vierte Teilnahme ist, und ihr Mann, der Franzose Romain Attanasio, der seine erste Vendée Globe segelte, als Samantha gerade ihr erstes Kind bekommen hatte. Das andere Paar sind Clarisse Cremer und Tanguy le Turquais. Cremer landete vor vier Jahren als schnellste Frau auf Platz zwölf. Vor zwei Jahren kam ihre Tochter zur Welt. Und nun segelt die 34-Jährige die Regatta ebenso wie ihr gleichaltriger Mann, dessen Schwester die Kleine hüten wird.
Doch wer wird gewinnen? „Das ist eine Frage, die man nicht stellt“, sagt Loïck Peyron. Er selbst wurde Zweiter bei der ersten Vendée Globe 1989/90 und erlitt Mastbruch bei der Ausgabe 2008/09. Zuviele Unwägbarkeiten machten Prognosen unmöglich, sagt der 65-Jährige. „Aber wenn ich eine Auswahl treffen müsste: Mir wäre es recht, wenn der Sieger kein Franzose wäre.“
Boris Herrmann hat ein klares Ziel
Es ist die zehnte Ausgabe dieses härtesten Segelrennens der Welt. Bisher haben ausschließlich Franzosen gewonnen. Ein weiterer Top-Weltsegler der alten Garde, der 68-jährige Francis Joyon, der schon mit Boris Herrmann bei der sogenannten Trophée Jules Verne einen Weltrekordversuch unternommen hatte, kennt den Deutschen ziemlich gut. Auf die Frage, wer die Vendée Globe gewinnen könnte, antwortet er: „Ich könnte mir vorstellen, dass es Boris wird. Ich weiß, dass er sehr hartnäckig dranbleibt und einen starken Willen hat. Er wäre ein toller Sieger, ja.“
Herrmann selbst hat klare Ziele für die Regatta, wie er jüngst in einem Interview sagt: „Ich hoffe natürlich auf ein super Ergebnis! Das kann alles sein zwischen den Plätzen eins und zehn. Alles, was schlechter wäre als Top Ten, wäre eine große Enttäuschung.“ Doch der Segler weiß auch: „Andererseits kommt es auf die Bedingungen an. Falls ich unterwegs erheblich beeinträchtigt werden sollte, wird schon das Ins-Ziel-Kommen eine Herausforderung sein.“