Was soll man noch glauben? Seit mehr als Hundert deutsche Lungenärzte die hierzulande geltenden Stickoxid- und Feinstaub-Grenzwerte anzweifeln, kocht die Debatte um saubere Luft und Diesel-Fahrverbote in Innenstädten wieder hoch. Stickoxide – sogenannte Noxe – und Feinstaub aus dem Straßenverkehr gelten bislang als Hauptverursacher für Tausende vorzeitige Todesfälle in Europa jährlich. Daher haben sich nahezu alle Industriestaaten Grenzwerte für beide Substanzen verordnet. Und in der Automobilindustrie gelten Abgasnormen, die sowohl den Ausstoß von Nox als auch von Feinstaub genau regeln.

Jahrzehntelange Forschungsarbeit dahin?

Ist das nun alles Makulatur? Sind Jahrzehnte von Umweltgesetzgebung vergebene Liebesmüh’ und Fahrverbote für Alt-Diesel in Innenstädten unverhältnismäßig? Immerhin handelt es sich bei den kritischen Wissenschaftlern um anerkannte Mediziner mit teils jahrzehntelanger Erfahrung. Klar ist: Die Verunsicherung der Bevölkerung ist enorm.

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Gleiches ließe sich auch von einem anderen wissenschaftlichen Streitthema behaupten, das seit 2015 wie heiße Asche im Kamin immer mal wieder medial durchzündet und die Öffentlichkeit in Atem hält – Glyphosat. Das Totalherbizid ist der Liebling der Bauern, weil es Unkraut zuverlässig den Garaus macht. Allerdings ist der oft unter dem Namen Round-Up vermarktete Chemiecocktail hoch umstritten. Die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation stuft Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht das Mittel dagegen als weitgehend unverdächtig an. Aber stimmt das? Schließlich wurde Mitte Januar bekannt, dass das BfR Teile seiner Gefahren-Analyse des Pulvers bei den Herstellern abgeschrieben hat.

Ob Glyphosat krebserregend ist, ist unklar

Glyphosat und der Streit um die Luftverschmutzung sind nur zwei Beispiele für akademische Debatten, die große Themen unserer Zeit zum Gegenstand haben. Man könnte den Blick weiten und sagen, dass auch die aktuelle Diskussion um den Klimawandel dazu gehört. Oder der Streit darüber, ab wann Rauchen oder Alkoholkonsum gesundheitsschädliche Wirkungen zeigt. Alle diese Themen schreien nach hieb- und stichfesten Erkenntnissen, insbesondere weil sie sehr viele Bürger betreffen. Die gibt es aber nicht. Es ist nämlich ein weit verbreiteter Trugschluss, dass Wissenschaft immer eindeutige Lösungen parat hält. Oft liefert sie nur Wahrscheinlichkeiten, mit der bestimmte Prognosen eintreffen. Wissenschaft kann insofern politische Entscheidungen allenfalls vorbereiten. Die Probleme lösen muss die Politik selbst. Genau das tun die Entscheider aber nicht. Ganz im Gegenteil: Sie zeigen sich mut-, willen- und tatenlos.

Die Einleitung einer Verkehrswende, die Autofahrten und Gütertransporte per Lkw durch kluge Steuerung begrenzt und alternative Verkehrsträger fördert, wurde versäumt. Von einer Agrarwende, die das System der Massentierhaltung und der desaströsen Bodenübernutzung durch nachhaltige Landwirtschaft ablöst, entfernt sich Deutschland immer weiter. Und die Klimapolitik, mit der sich einst sogar die Kanzlerin persönlich schmückte, ist in der Prioritätenliste nach hinten gerutscht.

Die Politik legt die Beine hoch

Verbrämt wird das Nichtstun dann gerne mit Verweis auf fehlende Studien oder schlechte Datenlage. Der Wissenschaftlerstreit in Sachen Abgasbelastung, Glyphosat oder Klimawandel leistet dem Ganzen insofern einen Bärendienst – denn er bietet der Politik eine willkommene Ausrede, so weiterzumachen wie bisher und den Kopf in den Sand zu stecken. Dabei ist die Sache doch eigentlich klar: Zu viel Verkehr überlastet die Innenstädte. Weniger Spritzmittel auf dem Acker ist besser als mehr. Mehr Fernreisen sind klimaschädlicher als weniger.

Im Moment fehlt es schlicht am politischen Willen, aus eigentlich Offenkundigem, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Wissenschaft dagegen hat ihren Teil der Arbeit bereits geleistet.