Gemütlich ins Heu gekuschelt liegen die beiden Kälbchen da und blinzeln mit ihren langen Wimpern. „Zum Glück wisst ihr nicht, dass ihr meine großen Sorgenkinder seid“, sagt Karl-Heinz Mayer, Leiter eines Milchviehbetriebs mit 120 Tieren in Owingen bei Überlingen. Denn der Stall in dem die Tiere liegen, ist nur eine Notunterkunft, der eigentliche Kälberstall rappelvoll. „Bei den derzeitigen Preisen ein Kalb zu verkaufen, tut einfach weh“, sagt Karl-Heinz Mayer.
Durchschnittlich 8,50 Euro bekam ein Bauer im Oktober noch für ein schwarzbuntes Kuhkalb, für ein Bullenkalb weniger als 50 Euro. Im Mai waren es noch 25 Euro für ein weibliches Tier und 105 Euro für ein männliches Tier. „Die 8,50 Euro sind weniger als ein Kanarienvogel kostet“, sagt Matthias Kohlmüller, Marktanalyst für Vieh und Fleisch bei der Agrarmarktinformationsgesellschaft AMI, welche solche Berechnungen macht.
Für das Fleckvieh, das Bauer Karl-Heinz Mayer hält, sind die Preise zwar noch etwas höher, weil sich diese Rasse – anders als die Schwarzbunte – auch zum Mästen eignet. „Aber auch hier sind die Preise stark gesunken“, sagt Alfred Weidele, Geschäftsführer der Rinderunion Baden-Württemberg in Herbertingen (Kreis Sigmaringen). Die Bauern müssen sich teilweise mit mindestens 50 Euro weniger pro Tier zufrieden geben als noch vor einem Jahr.
Vielfältige Gründe
Die Gründe für diesen eklatanten Preisverfall sind vielfältig und stellen einmal mehr die derzeit herrschenden Strukturen in der industriellen Landwirtschaft in Frage. Auf Milchviehbetrieben müssen die Kühe mindestens einmal im Jahr Kälber gebären, um genug Milch zu geben. Nur ein Teil der weiblichen Kälber wird für die eigene Nachzucht gebraucht. Der Rest wird verkauft. Gleiches gilt für die meisten männlichen Kälber, die dann auf Spezialbetrieben für die Fleischproduktion ausgemästet werden.
Kaum mehr Mastbetriebe
Da es seit vielen Jahren günstiger ist, Masttiere oder Fleisch nach Deutschland zu importieren, statt im Land zu mästen, gibt es hierzulande jedoch kaum mehr Mastbetriebe und Schlachthöfe. „Von den männlichen Kälbern verlassen 75 Prozent Baden-Württemberg“, sagt Alfred Weidele von der Rinderunion Baden-Württemberg. Sie landen vor allem in Mastbetrieben in den Niederlanden und in Spanien.
Handel eingebrochen
Eigentlich. Denn Anfang des Jahres brach dieser Handel plötzlich ein. Der Grund: In Baden-Württemberg tauchten wiederholt Fälle der so genannten Blauzungenkrankheit bei Rindern auf, das ganze Land wurde zum Sperrgebiet erklärt. Das bedeutet, Kälber dürfen nur dann das Sperrgebiet verlassen, wenn unter anderem die Mutterkühe vor der Besamung einen wirksamen Impfschutz gegen die Krankheit hatten. Und wenn sie einer Blutuntersuchung unterzogen wurden, die teils mehr kostete als das Tier wert ist. Ist dies nicht der Fall, müssen die Tiere innerhalb des Sperrgebiets verkauft werden.
„Die Frage ist nur wohin, wenn es kaum mehr Mastbetriebe gibt bei uns“, sagt Landwirt Mayer. Also bleiben viele der Tiere derzeit auf den Höfen und werden dort gemästet. Allerdings kann kein Bauer von heute auf morgen einen neuen Stall bauen, geschweige denn finanzieren. „Schließlich haben gerade deshalb so viele Mastbetriebe bei uns geschlossen, weil sie einfach nicht mehr rentabel waren“, sagt Karl-Heinz Mayer, der auch Kreisvorsitzender des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbandes (BLHV) ist.
130 Euro pro Tier
Hinzu kommt, dass die zusätzlichen Tiere auf dem Hof gefüttert werden müssen. „Nach zwei heißen und trockenen Sommern sind unsere Vorräte aber aufgebraucht, wir kriegen grade so die vorhandenen Tiere satt“, sagt Karl-Heinz Mayer. Kälbchen brauchen obendrein noch Milch. „Die kostet mich in den ersten 30 Tagen zusammen mit dem Stallplatz rund 130 Euro pro Tier“, rechnet Mayer vor. Nach dieser Zeit verkauft er normalerweise die Kälber, die er nicht auf dem Hof braucht, um den eigenen Bestand aufrecht zu erhalten. „Wenn man dann noch 8,50 Euro für ein Tier bekommt, kann man sich leicht ausrechnen, was das für ein Minusgeschäft ist“, sagt Karl-Heinz Mayer.
Auch mal krank
Zumal viele Kälber in den ersten Wochen auch mal krank werden und einen Tierarzt brauchen. Das eine Jungtier in Mayers Notstall etwa hat sich bei der Geburt verletzt und musste operiert werden. Kostenpunkt: 300 Euro. Noch immer kommt der Tierarzt jeden Tag vorbei und bekommt dafür jedes Mal 20 Euro. Finanziell ist ein solches Jungtier eine Katastrophe. „Aber die Alternative wäre gewesen, das Kalb zu töten und das bringe ich nun wirklich nicht übers Herz“, sagt Karl-Heinz Mayer.
Tiertransporte in der Kritik
Denn als ob die Export-Einschränkungen durch die Blauzungenkrankheit und die schlechten Ernten nicht genug wären, kommt für die Landwirte seit einigen Monaten noch ein weiteres Problem hinzu: Die langen Tiertransporte von Kälbern über mehr 19 Stunden nach Spanien stehen aus Tierwohlgründen massiv in der Kritik. „Da derzeit unklar ist, welche Transportfahrzeuge und Fahrzeiten mit den EU-Verordnungen vereinbar sind, erteilen viele Veterinärämter keine Genehmigungen mehr für solche Kälbertransporte“, sagt Alfred Weidele von der Rinderunion Baden-Württemberg.
Die Folge: Nun werden die Kälber von Polen durch Deutschland nach Spanien gefahren – und haben noch längere Transportwege. „Das ist eine unzumutbare Situation für unsere Landwirte, die jetzt wohl vor Gericht geklärt werden muss“, sagt Alfred Weidele.
Jeden Tag hunderte neue Kälber
Denn jeden Tag kommen hunderte von neuen Kälbern in Deutschland zur Welt. Und auch das lässt sich nicht von heute auf morgen ändern. „Ich habe einen Melkroboter und eine Milchmenge, die ich täglich abliefern muss. Und ein Darlehen für den Stall zum abzahlen. Da kann ich nicht einfach so mit dem Besamen aufhören“, sagt Landwirt Mayer.
Unterstützung gefordert
Auch wenn sich die Situation mit der Blauzungenkrankheit und mit den Transporten wieder entspannt hat, wird also ein Problem bleiben: Die vielen Kälber, die für die industrielle Milchproduktion notwendig sind, werden für die Fleischherstellung in Deutschland nicht gebraucht. „Wenn wir sie wieder bei uns mästen sollen, statt das Fleisch billig aus dem Ausland einzukaufen, müssten die Bauern dafür entweder finanzielle Unterstützung bekommen oder die Verbraucher mehr für ihr Fleisch zahlen“, sagt Karl-Heinz Mayer.