Und das ist ein Rollstuhl? Die Frage empfindet Bernhard Winter als Lob. „Auf der Straße denken die Leute manchmal, der Bro sei irgendein neues Elektro-Spaßmobil“, sagt der 28-Jährige. Noch lieber bekomme er von Kunden rückgemeldet, dass der technisch hochgerüstete Elektrorollstuhl „nicht nach Behinderung“ aussehe.
„Unser Wunsch ist es, dass man stolz auf ihn sein kann“, erklärt Winter. Deshalb Bro, die Kurzform des englischen Brother, der Bruder oder Kumpel. Darum erhalte hier beim Hersteller Scewo aus Winterthur im Kanton Zürich auch jedes Modell einen Namen – Winter selbst sitzt gerade auf „Aladin“, daneben steht „Yoda“. Von einigen Kunden wissen die Gründer, dass sie ihren Bro ebenfalls benannt haben, sagt der Jungunternehmer. „Ein anderer Star-Wars-Charakter ist auch darunter“, meint Winter.
Rekordinvestition bei „Höhle der Löwen“ verlangt
Etwa zwei Dutzend Bros seien inzwischen ausgeliefert, die Hälfte davon ging nach Deutschland. Um die 100 Bestellungen gibt es, die Wartezeit beträgt aktuell etwa ein halbes Jahr. Hauptzielgruppe sind Menschen mit Muskelkrankheiten, etwa Multiple Sklerose, oder einer Querschnittlähmung, zum Beispiel nach einem Unfall. Um die 35.000 Euro verlangen ausgewiesene Händler. Ein stolzer Preis für einen Rollstuhl, der dafür technische Innovation mit ansprechendem Design verknüpfen will.

Um das zu erreichen gingen Bernhard Winter und die beiden Mitgründer Pascal Buholzer (29) und Thomas Gemperle (34) zur TV-Show „Höhle der Löwen“. Als „Tesla unter den Rollstühlen“ bezeichneten sie den Bro und forderten die Rekordinvestition von fünf Millionen Euro für zehn Prozent der Firmenanteile.
Tatsächlich sieht das Gefährt nicht wie ein Otto-Normal-Elektrorollstuhl aus, entfernt erinnert es an ein Segway zum Sitzen. Es fährt auf zwei Rädern, ist verkleidet wie ein Auto, und von LED-Scheinwerfern beleuchtet. Gesteuert wird per Joystick und Smartphone-App, über die auch das Bild der Rückfahrkamera gezeigt wird.
Treppensteigen, ohne den Rollstuhl zu verlassen
Bei allen optischen Merkmalen: Die Innovation steckt trotzdem unter der Hülle. Neben den beiden großen Rädern verfügt er auch über Raupen. Die machten den Bro zum ersten alltagstauglichen Rollstuhl, mit dem man Treppen steigen kann, erklärten die Gründer bei der „Höhle der Löwen“.
Ob er der einzige ist, sei dahingestellt: Er kann es jedenfalls, maximal 30 Stufen in einer Minute. „Wichtiger als das eigentliche Treppensteigen“, erklärt Firmengründer Bernhard Winter, „sind aber die alltäglichen Hürden wie Bordsteine oder Türschwellen.“ Hier überwindet der Rollstuhl maximal fünf Zentimeter im Fahrmodus. Weil sich die Sitzhöhe zwischen 44 und 89 Zentimetern verstellen lässt, können die Fahrer höhere Regale erreichen oder auf Augenhöhe mit Fußgängern sprechen.
Bei „Höhle der Löwen“ durchgefallen: Zu hohe Forderung
Man traut es sich angesichts des Zwecks als Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung kaum zu sagen, aber: Das Fahren mit maximal zehn Kilometer pro Stunde macht durchaus Spaß. Solche Bedenken schiebt Winter beiseite. „Warum soll das nicht Spaß machen dürfen?“, fragt er nur.
Trotzdem ging es bei der „Höhle der Löwen“, wenn man so will, in Teufels Küche. Erstens sagten die sogenannten Löwen ab, obwohl sie die Entwicklung sinnvoll fanden. Fünf Millionen Euro waren selbst Milliardär Carsten Maschmeyer zu viel. „Ihr habt keinen Tesla für Rollstuhlfahrer gebaut, sondern einen Rolls Royce“, bilanzierte er. Das Produkt sei zu gut, zu hoch entwickelt, um am Markt bestehen zu können. Um im Bild zu bleiben: Der Bro müsste laut Maschmeyer mehr Volkswagen als Rolls Royce sein.
Über das Unternehmen und den Rollstuhl
Sender kam auf Firmengründer zu
Zweitens waren Pascal Buholzer, Thomas Gemperle und Bernhard Winter unsicher, wie sie ankommen würden. „Wir wussten ja nicht, werden wir als geldgierig oder arrogant dargestellt“, sagt Winter mit Blick auf die geforderte Rekordsumme. Verrät im selben Atemzug aber auch: „Wir wollten eigentlich sogar zehn Millionen Euro“, das sei dann aber auch den Produzenten zu viel gewesen. Die Scewo-Gründer hatten sich nicht beworben, sondern seien von den Fernsehmachern angesprochen worden.
„Am Ende waren wir zufrieden mit der Show und wie wir dort ankamen“, fasst Winter zusammen. „Am meisten versprochen hatten wir uns von Nico Rosberg, trotz der hohen Summe. Ein toller Typ und ein interessanter Investor ist er trotz seines Neins“, ergänzt der 28-Jährige.
Warum eigentlich der Tesla-Vergleich?
Kein Groll über die am Ende nicht ganz mutigen Löwen? „Na ja, der Vergleich mit Rolls Royce passt aus meiner Sicht nicht“, sagt Winter. Die Luxusmarke verbinde man eher mit sehr klassischen Werten und aufwändigen individuellen Extras. „Lederausstattung, Massagesitze, Trennscheibe zum Fahrer, so etwas“, sagt der Gründer. Das Bild vom Tesla habe er gewählt, weil auch das US-Unternehmen jung ist, schnell lernen müsse und auf modernes Design setze. „Und günstig ist ein Tesla ja auch nicht gerade“, ergänzt der Scewo-Chef.
Wer einen vergleichbaren hochwertigen Elektrorollstuhl und zusätzlich eine Treppensteifhilfe benötige, zahlt laut Winter ähnlich viel wie für den Bro. Der Unterschied zum Tesla: Er wird von den Krankenkassen ganz oder teilweise bezahlt. Weil Scewo in Deutschland inzwischen eine Hilfsmittelnummer erhalten hat, lässt sich die Kostenübernahme leichter beantragen.
Investitionssumme kam auch ohne Löwen zusammen
Die aufgerufenen fünf Millionen Euro hat Scewo auch ohne die sogenannten Löwen zusammen. Zwischen Aufzeichnung und Ausstrahlung haben sich rasch Investoren gefunden. Ende September wurde bekannt, dass die Gründer 8,5 Millionen Franken (acht Millionen Euro) eingeworben haben.

Wie geht es mit dem Unternehmen weiter? Die Scewo-Gründer wollen erstens in weitere Länder in Europa expandieren. „Vor allem wollen und müssen wir aber noch viel lernen, besser werden“, sagt Bernhard Winter. Er meint damit unter anderem den Bereich der künstlichen Intelligenz, der Bro soll selbst mitlernen. Eine nächste Weiterentwicklung könnte ein günstigeres, verschlanktes Modell sein. „Das Ziel muss der bestmögliche Elektrorollstuhl sein“, sagt der 28-jährige Gründer, „Perfektion gibt es nicht.“ Die hat aber weder Tesla und wohl auch Rolls Royce nicht erreicht.