Herr Küppers, Sie sprechen jeden Tag mit Firmenchefs, die am Limit sind. Wie ist die Lage in der Südwestwirtschaft?

Generell ist es dramatisch, wenn Unternehmer scheitern, Mitarbeiter entlassen müssen und vielleicht dann auch noch Schulden haben. Das sind Schicksale, die gerade vielfach passieren, die aber keiner von uns erleiden will. Dennoch hat jede Krise auch etwas Reinigendes, aus dem Besseres hervorgehen kann. Die Berater der Steinbeis-Stiftung telefonieren jede Woche mit Hunderten Firmen. Bei rund einem Viertel der Gespräche geht es im Moment um neue Geschäftsmodelle. Da gibt es den Gastronomen, die vor dem Aus stand, es gewagt hat, wieder in seinen alten Elektrikerberuf zurückzukehren und jetzt schon die ersten Aufträge hat. Oder das Startup, das eigentlich in Kindergärten naturwissenschaftliche Experimente erklärt, jetzt aber keinen Umsatz mehr hat. Deshalb hat die Gründerin einen Online-Shop aus dem Boden gestampft und verkauft Bausätze zum selber machen. Damit trifft sie voll den Zeitgeist, weil die Mütter jetzt ihre Kinder zuhause bespaßen müssen.

Winfried Küppers ist Gründungsberater bei Steinbeis in Hilzingen. Zur Zeit hilft er Firmen, die Coronakrise zu überstehen.
Winfried Küppers ist Gründungsberater bei Steinbeis in Hilzingen. Zur Zeit hilft er Firmen, die Coronakrise zu überstehen. | Bild: Uli Regenscheit

Das sind jetzt Einzelbeispiele. Wie sieht es in der Breite aus?

Deutschland wird in Europa nach der Krise stärker dastehen als zuvor. Unsere Ökonomie ist leistungsfähiger als viele andere, wozu auch die staatlichen Schutzschrime und Programme beitragen. Bei jeder Pleite passieren zwei Dinge. Arbeitnehmer verlieren ihren Job und Kundenbeziehungen werden frei. Wer jetzt als Unternehmer quirlig im Vertrieb ist, kann mittelfristig stark profitieren. Wir sind mit unseren weitgehend gesunden Wirtschaftsstrukturen und unseren vielen Hidden Champions ja noch durchaus lieferfähig. Die Lücken, die sich jetzt auf den Märkten auftun, gilt es jetzt zu besetzen. Die Firmen müssen jetzt raus zu den Kunden und sagen: „Hallo, ich bin da!“

Warum soll es ein Vorteil sein, wenn Arbeitnehmer entlassen werden?

Mir ist wichtig zu betonen, dass jeder Jobverlust einer zu viel ist und jedes einzelne Schicksal hart. Aber wie immer gibt es Chancen. Wer jetzt als Chef seine Belegschaft nicht in Kurzarbeit schicken muss oder durch viel Einsatz seine wirtschaftlichen Zahlen hält, hat ein gutes Argument, frei werdende Fachkräfte von Konkurrenten dauerhaft an sein Unternehmen zu binden. Der Talentwettbewerb ist in der Krise voll im Gange. Ich spreche dauernd mit Unternehmen, die mich nach Strategien fragen. Und diese Firmen, die den Mut und den Atem haben, sich azyklisch zu verhalten, werden gewinnen.

Corona trifft den Einzelhandel: Die Modefirma Esprit ist insolvent.
Corona trifft den Einzelhandel: Die Modefirma Esprit ist insolvent. | Bild: Britta Pedersen

Wird sich die Arbeitskultur ändern?

Ja. Der Beweis ist erbracht, dass Homeoffice funktioniert und man für Meetings nicht über Kontinente fliegen muss. Einst technikfeindliche Mitarbeiter tummeln sich plötzlich in Online-Konferenzen und nutzen Web-Tools. Die Krise rüttelt alles auf. Wer daraus als erster etwas zusammensetzt, das besser ist als vorher, macht das Rennen.

Noch allerdings ächzen die Firmen unter der Krise. Bund und Länder überschütten die Unternehmen mit Finanzhilfen. Kommen die überhaupt an?

Bei den Soforthilfen funktioniert das System, wenn auch nicht überall. Es gibt viele Unternehmen, die die Gelder zeitnah nach Beantragung erhalten. Wir reden da über Tage des Wartens, nicht über Wochen. Es gibt aber auch Fälle, bei denen es länger dauert. Meiner Einschätzung nach sind die aber in der Minderzahl. Ein echtes Problem gibt es bei den Kreditanträgen, die über die Hausbanken laufen. Da dauert es im Moment zwischen zwei und sechs Wochen bis das Geld bei den Firmen auf dem Konto ist und etliche erhalten gar keinen Kredit.

Vaude aus Tettnang hat Teile seiner Belegschaft in Kurzarbeit geschickt.
Vaude aus Tettnang hat Teile seiner Belegschaft in Kurzarbeit geschickt. | Bild: Felix Kästle

Was raten Sie den Firmen jetzt zu tun?

Die Firmen müssen selbst aktiv werden und an allen Ecken und Enden Kosten sparen. Darauf zielt auch ein Großteil unserer Beratung. Das wichtigste Instrument ist hier die Kurzarbeit. Es gibt aber auch vielfältige Möglichkeiten Darlehen oder Steuern zu stunden, die jetzt voll ausgeschöpft werden sollten. Für Gastronomie und Hotels, die in unserer Ferienregion ein echter Wirtschaftsfaktor sind, ist das Thema Mieten und Pachten wichtig. Hier gibt es mittlerweile ebenfalls die Möglichkeit, sich Zahlungen stunden zu lassen und Vermieter oder Pächter an den Kosten zu beteiligen. Das ist deswegen wichtig, weil im Gastronomiesektor die Lage dramatisch ist. Da gibt es viele ungesunde Firmen, die es jetzt erwischt.

Wo drückt der Schuh in der heimischen Industrie?

Da ist die Lage weniger dramatisch, aber dafür viel komplexer. Viele Industriefirmen haben ja noch Aufträge. Sie stehen daher vor der Managementaufgabe, die Produktion schnell herunterzufahren, ohne die eingespielten Abläufe zu gefährden und sich gleichzeitig auf ein Szenario vorzubereiten, in dem die verbleibende Belegschaft ausgetauscht werden muss, weil ein Corona-Fall aufgetreten ist. Das ist oft herausfordernder als den Laden temporär ganz dicht zu machen.

Keine Teile, keine Aufträge: ZF Friedrichshafen hat Kurzarbeit angemeldet.
Keine Teile, keine Aufträge: ZF Friedrichshafen hat Kurzarbeit angemeldet. | Bild: Felix Kaestle

Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Süden Baden-Württembergs. Wie sind die Perspektiven?

Da bin ich zuversichtlich. Deutschland als Reiseland wird künftig punkten. Viele Kunden werden in absehbarer Zeit eher am Bodensee oder im Schwarzwald Urlaub machen, als nach Asien, Italien oder sogar nach Österreich zu fahren. Ich gehe da von einer steigenden Nachfrage aus, sobald die Corona-Beschränkungen gelockert werden. Ab Pfingsten könnte dies der Fall sein.