Der Kampf gegen der Erderwärmung ist auf politische Entscheidungen angewiesen. Die neue Bundesregierung, die am 26. September gewählt wird, wird entscheidende Weichen stellen müssen, damit der CO2-Ausstoß reduziert wird. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. In ihren Wahlprogrammen versprechen die Parteien das Ziel, mit unterschiedlicher Intensität zu verfolgen. Experten sagen, ein Wandel unseres Lebensstils muss schnell erfolgen, damit der Klimawandel gestoppt werden kann.

Klimaziele im Wahlprogramm

Während sowohl Unionsparteien als auch SPD an einer Klimaneutralität bis zum gesetzten Ziel 2045 festhalten wollen, setzt sich die FDP 2050 als Ziel. Die Grünen versprechen ein Sofortprogramm, um den CO2-Ausstoß in den kommenden Jahren zu senken und wollen 2041 die Klimaneutralität, auch durch einen früheren Kohleausstieg, erreicht haben.

Spart CO2: Der konsequente Umstieg auf Ökostrom. Erzeugt wird er zum Beispiel durch Windkraftanlagen wie diesen an der Nordsee.
Spart CO2: Der konsequente Umstieg auf Ökostrom. Erzeugt wird er zum Beispiel durch Windkraftanlagen wie diesen an der Nordsee. | Bild: Christian Charisius, dpa

Noch sechs Jahre früher wollen das die Linken durchsetzen. Einsparen wollen sie etwa im Flugverkehr und durch eine Mobilitätswende. Aber wie verändert ein klimaneutrales Leben unseren Alltag? Ist das überhaupt zu schaffen?

Erderwärmung stoppen bedeutet auch Lebensstil ändern

„Die Menschheit hat das Klima in kurzer Zeit sehr stark verändert“, sagt Rainer Grießhammer, der seit Jahrzehnten für die Zukunft des Planeten arbeitet, unter anderem im Freiburger Öko-Institut. Der 68-Jährige ist seit über 30 Jahren in dem unabhängigen Umweltforschungsinstitut engagiert und Vorstand der Stiftung Zukunftserbe.

Er geht davon aus, dass es in Folge der Klimaerwärmung nicht nur zu extremen Wetterereignissen kommen wird, sondern weltweit vermehrt zu Konflikten um Lebensräume und Ressourcen. Zusammengefasst: Es wird ungemütlicher auf der Erde.

Um das zu verhindern, müsse es erhebliche Änderungen in unserem Alltag geben, sagt Grießhammer. Doch die Auswirkungen eines klimafreundlichen Lebens auf unsere Lebensweise seien erträglicher als die Konsequenzen aus der Klimaerwärmung. Diese hat nach Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) die Temperatur in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen bereits um 1,6 Grad Celsius ansteigen lassen.

Michael Bilharz arbeitet beim Umweltbundesamt und setzt sich mit seinem Verein „3 fürs Klima“ für ein klimaneutrales Leben ein.
Michael Bilharz arbeitet beim Umweltbundesamt und setzt sich mit seinem Verein „3 fürs Klima“ für ein klimaneutrales Leben ein. | Bild: Michael Bilharz

„Wir müssen den Klimaschutz beschleunigen, sonst werden die Temperaturen weiter steigen“, drängt auch Michael Bilharz, der bei Bundesumweltamt (UBA) für den Bereich nachhaltigen Konsum zuständig ist.

Jeder kann ein bisschen Klima retten

Den Klimawandel stoppen. Ein großes Ziel, das als Ganzes schnell entmutigen kann. Aber jeder Einzelne hat es in der Hand, etwas zu bewirken. Das ist die Botschaft von Michael Bilharz. Wenn jeder seinen CO2-Fußabdruck verkleinert, also das klimafeindliche Gas Kohlenstoffdioxid vermeidet, dann lassen sich die Klimaziele, noch erreichen, ist der 49-Jährige überzeugt. Also der Temperaturanstieg auf nicht mehr als 1,5 Grad weltweit beschränken.

Mehr als elf Tonnen CO2 produziert ein Deutscher laut UBA durchschnittlich mit seiner Lebensweise im Jahr. Weltweit sind es nur knapp fünf Tonnen pro Kopf. Um den Klimawandel zu stoppen, müsste es weniger als eine Tonne pro Person und Jahr sein, sagt Bilharz.

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CO2-Produktion auf fünf Tonnen im Jahr reduzieren

Ist ein klimaneutrales Leben denn realistisch? Alleine beim Atmen produzieren wir CO2. Streng genommen lässt sich der CO2-Ausstoß eines einzelnen also nicht auf Null reduzieren. Michael Bilharz erklärt: „Es geht nicht darum, kein CO2 mehr herzustellen, sondern zu vermeiden, dass sich zusätzliches CO2 in der Atmosphäre anreichert.“ Wer seinen Lebensstil anpasst und auf eine CO2-Reduzierung achtet, der erreicht eine Einsparung von fünf bis sechs Tonnen.

Aber: „Die Bürger ändern ungern ihre Gewohnheiten“, sagt Rainer Grießhammer und erinnert an die Aufregung, als das Rauchen in den Kneipen abgeschafft wurde. Heute stört das kaum mehr jemanden, im Gegenteil.

Bild 3: Das Ziel ist ein klimaneutrales Deutschland bis 2045 – So kann jeder Einzelne mithelfen, das Klima zu retten
Bild: Kerstan, Stefanie

CO2-Ersparnis durch Carsharing und weniger Fleisch

So bedeutet auch Klimaschutz die Änderung des Lebensstils. Statt des eigenen Autos direkt vor der Haustür, könnte es künftig vor allem in Großstädten Carsharing-Modelle geben, bei denen sich mehrere Parteien ein Fahrzeug teilen. Das spart laut Internetrechner CO2-Avatar im Schnitt 0,3 Tonnen CO2 im Jahr pro Person. Die Einschränkung des Fleischkonsums um nur eine fleischhaltige Mahlzeit pro Woche spart 0,1 Tonnen CO2. Auch ein Tempolimit könnte aus Umweltsicht viel bewirken.

„Die Klimakonferenz in Glasgow ist die letzte Chance“

Um den Menschen die Dringlichkeit des Themas vor Augen zu halten, ist Bilharz gerade auf großer Fahrradtour quer durch Deutschland unterwegs. 100 Tage bis in den Oktober radelt er gegen die Erderwärmung. Stopps hat er auch schon in Singen und Waldshut gemacht.

Michael Bilharz fährt für die Klimawette mit dem Fahrrad durch Deutschland. Sein Ziel: eine Million Menschen zu überzeugen, eine Million ...
Michael Bilharz fährt für die Klimawette mit dem Fahrrad durch Deutschland. Sein Ziel: eine Million Menschen zu überzeugen, eine Million Tonnen CO2 einzusparen. | Bild: Johannes Wittlinger

Mit im Gepäck hat er eine Klimawette, die sein Verein „3 fürs Klima“ vor einem Jahr ins Leben gerufen hat. Das Ziel: Bis zur UN-Klimakonferenz in Glasgow Anfang November eine Million Menschen davon überzeugen, jeweils eine Tonne CO2 einzusparen. Denn die Klimakonferenz sei die letzte Chance, sagt Bilharz.

„Wenn wir das Klima retten wollen, müssen wir jetzt handeln.“
Klimaexperte Michael Bilharz

Wenn in Glasgow nicht die richtigen Entscheidungen getroffen und bis zur nächsten Konferenz in fünf Jahren verschoben würden, dann sei das globale Klimaziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu beschränken, realistisch gesehen nicht mehr erreichbar.

„Wir haben die technischen Mittel, um das Klima zu retten“, sagt Bilharz, der in der Nähe von Freiburg aufgewachsen ist und sich schon seit über 30 Jahren im Umweltschutz engagiert. Nur müsse jetzt schnell mehr Klimaschutz passieren.

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CO2-Rechner bestimmt Fußabdruck

Wie groß der eigene CO2-Fußabdruck ist und welche Maßnahme wie viel einspart, das lässt sich ziemlich genau mit dem CO2-Rechner des UBA herausbekommen, den Bilharz betreut. Die Mobilität biete viel Einsparpotential, sagt der Klimaschützer. Doch auch das Wohnen kostet uns in Deutschland viel CO2. „Der Flächenverbrauch ist einer der Haupttreiber“, sagt Bilharz.

Die Zwei-Personen-Haushalte haben zugenommen – große Wohnungen oder Häusern werden von immer weniger Personen genutzt. Dazu kommt: „Es gibt viele Paare mit Doppelwohnungen.“ Der Wohnraum in den Städten ist knapp. Deshalb werden laufend neue Wohngebiete ausgewiesen. „Damit müssen wir aufhören“, sagt Bilharz. Er schlägt Konzepte vor, wie einen Haustausch zwischen älteren Menschen und jungen Familien.

CO2 kompensieren durch Spende an Projekte

Mit dem Verein „3 fürs Klima“ will Bilharz auf die drei Schritte zum klimaneutralen Leben aufmerksam machen. Neben der Vermeidung von CO2 bedeutet das auch die Kompensation der übrigen 5 bis 6 Tonnen, die sich nicht mehr einsparen lassen.

Dafür spendet der CO2-Verursacher Geld an Projekte, die woanders auf der Welt helfen, das Klima zu schützen, zum Beispiel das Wiederaufforsten des Regenwaldes oder die Installation von Solarpanels in abgelegenen Regionen in Afrika. „Aber das kann theoretisch auch das Haus des Nachbarn sein, für das man Geld für die Dachisolation spendet“, so Bilharz.

Bild 5: Das Ziel ist ein klimaneutrales Deutschland bis 2045 – So kann jeder Einzelne mithelfen, das Klima zu retten
Bild: Kerstan, Stefanie

„Jeder kann die Gesellschaft mit verändern“

Doch die Energiewende schaffen und den Klimawandel stoppen, das sieht Bilharz als gesamtgesellschaftliches Projekt. Jeder darf nach seinen Möglichkeiten handeln. „Was ich nicht schaffe, das schafft vielleicht mein Nachbar.“ Viele kleine Schritte haben am Ende genug Gewicht, um etwas ins Rollen zu bringen.

Wenn die Politik nicht entschlossen genug Wege zu einem klimaneutralen Deutschland aufzeige – ein Ziel, das bis 2045 erreicht sein soll -, dann müssen die Bürger selber die Rahmenbedingungen ändern. „Wir brauchen Menschen, die diesen neuen Lebensstil ausprobieren.“ Nicht die Mehrheit, sagt Bilharz, aber eine kritische Masse, so viele, bis sich die gesellschaftliche Struktur von alleine ändert.

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Andere von der Idee überzeugen

Womit der dritte Schritt ins Spiel kommt: Den Handabdruck vergrößern. Soll heißen, andere von der Idee, klimaneutral zu leben, überzeugen. Wenn jeder auf der Welt zwei Personen überzeugt und diese wieder zwei Personen und so weiter... Dann wäre, wenn man pro Person einen Tag rechnet, die gesamte Weltbevölkerung in 33 Tagen theoretisch klimaneutral, dank exponentiellen Wachstums.

Rainer Grießhammer kämpft gegen den Klimawandel und ist Vorsitzender der Freiburger Stiftung Stiftung Zukunftserbe.
Rainer Grießhammer kämpft gegen den Klimawandel und ist Vorsitzender der Freiburger Stiftung Stiftung Zukunftserbe. | Bild: Stiftung Zukunftserbe

Doch was als Rechnung so einfach funktioniert, hat in der Realität seine Tücken. Andere davon zu überzeugen, besser eine LED-Lampe einzudrehen, „das ist ein zähes Geschäft“, sagt Bilharz. Und dann ist es noch längst nicht umgesetzt.

Bundestagswahl entscheidet über Klimapolitik

Vieles bleibt Aufgabe der Politik. Der Kohleausstieg, eine CO2-Steuer, den öffentlichen Nahverkehr ausbauen oder Flüge besteuern, der Handel mit CO2-Emissionen. „Auch das politische Handeln ist Teil des CO2-Fußabdrucks“, verweist Bilharz auf die Bundestagswahl. Schließlich habe der Klimaschutz bei einigen Parteien höhere Priorität als bei anderen.

Hungern gegen den Klimawandeln: In Berlin befinden sich im September 2021 Aktivisten im Hungerstreik für den Klimaschutz.
Hungern gegen den Klimawandeln: In Berlin befinden sich im September 2021 Aktivisten im Hungerstreik für den Klimaschutz. | Bild: Kay Nietfeld,dpa

3,62 von vier möglichen Punkten erhalten die Grünen in einer Studie des Deutschen Wirtschaftsinstituts (DIW), das die Wahlprogramme mit Blick auf die Klimapolitik untersucht hat. Es folgen die Linken (2,6 Punkte), dann die CDU/CSU (1,81 Punkte), die SPD (1,79 Punkte) und die FDP (1,24 Punkte). Doch laut Studie reicht keines der Wahlprogramme dafür aus, die Ziele aus dem Klimaschutzgesetz zu erreichen. Und auch das weltweite 1,5-Grad-Ziel von Paris dürfte so laut Studien verfehlt werden.

„Die Politik muss den Rahmen schaffen“

Auch Rainer Grießhammer fordert von der Politik, endlich Maßnahmen zu ergreifen, damit die gesetzten Klimaziele erreicht werden können. „Für die Verbraucher ist es einfacher ihr Verhalten zu ändern, wenn der Rahmen steht.“ Flutkatastrophen, Dürren, Waldbrände – im aktuellen Bericht des Weltklimarats IPCC stehe, dass das die Zukunft sein werde, wenn sich nichts ändere, resümiert Grießhammer. „Dann werden wir unseren Kindern und Enkelkindern eine Welt vererben, die unwirtlich sein wird.“ Jeder sollte sich fragen, wie wird die Welt für meine Enkel im Jahr 2050 aussehen und danach entscheiden.