Bernward Gesang

„Klimaneutralität Deutschlands“ wird von fast allen Parteien zum höchsten Ziel der Klimapolitik erkoren. Klimaneutral heißt: nur so viel Treibhausgase in die Atmosphäre schicken, wie man auch wieder herausholt, zum Beispiel durch Aufforstung. Das konnte man jüngst auch von allen Kanzlerkandidaten im Triell auf RTL hören. Aber dieses Ziel ist verkürzt.

Das Klima kann man nicht in Deutschland retten (entgegen dem grünen Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, dem dieses Bonmot neulich in einer Talkshow über die Lippen kam). Deutschland verursacht nur zwei Prozent der weltweiten Emissionen. Selbst ein klimaneutrales Deutschland führt nur dazu, dass die globale Treibhausgasbelastung um zwei Prozent sinkt. Das ist, betrachtet als reduzierte Menge von Treibhausgasen, kein entscheidender Beitrag zur Vermeidung des Klimawandels.

Das Ziel deutscher Klimaneutralität kann zu zwei extremen Reaktionen führen. So hörte man jüngst von der AfD: „Alle Maßnahmen, die wir ergreifen können, bringen nichts, also können wir sie lassen!“ Und von der FDP gibt es den Vorwurf, die deutsche Klimapolitik sei „klimanationalistisch“, also nur auf das irrelevante Deutschland konzentriert.

Der Erdball in Flammen: Wer sie löschen will, muss sowohl national als auch international handeln, sagt der Philosoph Bernward Gesang.
Der Erdball in Flammen: Wer sie löschen will, muss sowohl national als auch international handeln, sagt der Philosoph Bernward Gesang. | Bild: Boris Roessler

Zum Teil treffen FDP und AfD einen Punkt, und gerade dieser Glanz der Halbwahrheit erzwingt Aufklärung. In Nachfolge Kants denken wir schnell: „Hauptsache selbst nichts Unrechtes tun, dann wird alles gut.“ Wenn wir jeder für sich genommen alles richtig machen, tun wir alles, was möglich und nötig ist. Wenn jeder sein Kreuz trägt, kann nach uns die Sintflut kommen. Aber es kommt auf das Klima an und nicht auf unsere saubere Weste, unser Kreuz oder unser Wohlgefühl.

Das eigentliche Ziel muss deshalb sein, global schnell klimaneutral zu werden, nur das bremst den Klimawandel. Aus diesem Grund ist auch eine effiziente Klimaaußenpolitik gefragt.

Das könnte Sie auch interessieren

So hat ein Präsident von Ecuador einmal angeboten, den Regenwald unangetastet zu lassen, wenn der Westen dafür bezahlen würde. Das hätte viel mehr CO2 vermieden als manch teure Maßnahme im Inland. Erstaunlicherweise scheiterte diese absolut nicht klimanationalistische Aktion am damaligen FDP-Entwicklungshilfeminister Niebel, der lakonisch kommentierte: „Ich zahle doch nicht dafür, dass alles so bleibt, wie es ist.“ Kein Wunder, dass die FDP ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. Gute Klimapolitik trägt Klimapolitik nicht nur auf den Lippen, im Herzen aber die Hotelbesitzer oder die Automobilindustrie.

Zudem wäre es an der Zeit, Brasilien durch ein Freihandelsabkommen (das es sich sehr wünscht) zu verbindlichen Umweltstandards zu verpflichten. Leider wird dieser Aspekt im Wahlkampf völlig vergessen, auch wenn er in manchem Wahlprogramm einen Absatz füllt.

Aber: Die Energiewende im Inland zu betreiben, ist nicht nur „klimanationalistisch“, und da treffen Grüne und SPD einen Punkt.

Koalition der Willigen

Erstens: (Teure) Maßnahmen im Inland sind nötig. Um Deutschland als glaubwürdigen Verhandlungsführer in der Welt auftreten zu lassen, muss es die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens im eigenen Land erfüllen und so eine Koalition der Willigen schmieden.

Zweitens: Um Technik auch gegen den Markt wettbewerbsfähig zu machen, haben wir erneuerbare Energien ausgebaut und so die Technik wesentlich effektiver und billiger werden lassen. Solche Techniken müssen wir dann an die Staaten günstig abgeben, deren Einsparungen an CO2-Ausstoß einen erheblichen Unterschied ausmachen können.

Deutschland war Zulieferer von Chinas Solarprogramm. Unser Kohleausstieg ist übrigens diesbezüglich verdächtig, da zu teuer und von armen Staaten so nicht nachahmbar. Es kommt weniger auf die reduzierte Menge CO2 an als auf den Vorbildcharakter für Nationen wie etwa Indien. Daher sollten wir Energiekonzerne und andere Betroffene nicht zu umfassend entschädigen.

Das könnte Sie auch interessieren

Eine gute Klimapolitik der Zukunft setzt auf richtigen Mix aus effizienter Klimaaußenpolitik und wichtiger Energiewende im Inneren. So wird das Teilziel der nationalen Klimaneutralität gewürdigt, aber nicht verabsolutiert. Wir dürfen uns nicht in unseren eigenen vier Wänden einigeln. Klimapolitik ist immer international!

Wer darauf drängt, diese Potenziale zu nutzen, macht sich keineswegs des Ablasshandels verdächtig. Es ist falsch, diese Argumentation als reines Ablenkungsmanöver abzutun. Das Engagement im Ausland tut weniger weh, weil wir lieber zahlen, als unser Verhalten zu ändern, und das ist kein Hinweis auf etwas an sich Schlechtes. Es zählt vielmehr, welche Menge an Treibhausgasen unsere Politik unterm Strich vermeidet, durch ihren Vorbildcharakter oder eben direkt, zum Beispiel durch internationale Maßnahmen.

Eine umfassendere Argumentation findet sich in: Gesang B. „Mit kühlem Kopf. Vom Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte“, Hanser 2020.