Ein Tag im August. Graue Wolken, 17 Grad, Nieselregen. Irgendwie, denkt man, ist uns der Sommer abhanden gekommen. Gerade war doch noch Frühling, die Impfkampagne lief sich warm, die Temperaturen auch, und in unseren Köpfen und Herzen sprossen hoffnungsvolle Bilder von warmen Tagen, blauem Himmel, Sonne auf der Haut, Müßiggang, Freiheit. Nun fühlt sich der August schon wie ein gealterter September an, und am Horizont kommt der Winter angestapft.

All das, seien wir ehrlich, vermiest uns die Laune. Wir können unsere Urlaube nicht genießen. Unsere Wochenenden zerbröseln ungenutzt – zack – schon ist wieder Montag. Wir sind frustriert, gestresst, traurig, sauer. Weil „das Wetter so schlecht“ ist, geht es uns schlecht.

Der radikale Konstruktivismus ist eine Denkrichtung der Erkenntnistheorie. Er besagt: Es gibt keine objektiv erkennbare Realität „da draußen“. Mit unseren begrenzten Sinnen nehmen wir Ausschnitte der Welt wahr. Außerdem entscheiden wir blitzschnell, worauf wir uns fokussieren und was wir lieber ausblenden.

Die Wahrnehmungs-Schnipsel vergleichen wir dann mit ähnlichen Erlebnissen aus unserer Vergangenheit, dabei suchen wir nach Übereinstimmungen. Finden wir sie, dann glauben wir, etwas „verstanden“ zu haben oder zu „wissen“. Das ist aber extrem subjektiv – ein Anderer würde dieselben Sinneseindrücke vor der Folie ganz anderer früherer Erlebnisse völlig anders werten als wir selbst. Jeder von uns „konstruiert“ sich also seine eigene Wirklichkeit.

Das könnte Sie auch interessieren

Das klingt sehr einsam. Aber es heißt auch: Nichts „ist“ an sich und objektiv so oder so. Wir machen es dazu. Das Wetter „ist“ nicht schlecht. Wir machen es uns schlecht. Wenn wir deshalb schlechte Laune kriegen, dann liegt das also nicht „am misslungenen Sommer“. Sondern einzig und allein an uns selbst.

Wir können also etwas verändern, aber das ist ein bisschen mühsam. Wir müssen uns nämlich darin üben, unsere Erfahrungs- und Wissens-Muster in Frage zu stellen. „Sonnenschein ist gut, Regen ist schlecht“ – das ist so ein Muster, entstanden aus „schönen“ Sonnen- und „schlechten“ Regen-Erfahrungen, und daraus, dass es ständig von außen an uns herangetragen wird in Gesprächen, Filmen, Werbespots. Immer Sommer wird sich auf der Leinwand verliebt, im Regen wird gemeuchelt.

Wir könnten uns allerdings auch fragen: Was ist denn „schlecht“ am Sonnenschein? (Wir schwitzen, kriegen Sonnenbrand, müssen ständig blinzeln und teure Sonnenbrillen kaufen, der Garten verdörrt und überall staubt es). Und was am Regen ist vielleicht „gut“? (Regentropfen auf der Haut sind wie eine kostenlose Massage, der Klang ist so herrlich beruhigend, unser Garten sprießt und blüht, wir haben einen guten Grund, den ganzen Outdoor-Freizeit-Druck zu ignorieren und einfach mal ein Buch zu lesen).

Das könnte Sie auch interessieren

Einüben können wir diese neuen Bewertungsmuster am Besten durch bewusstes Erleben. Wenn die Sonne mal scheint, sollten wir gehörig schwitzen, uns einen Sonnenbrand holen und Staub atmen, bis wir husten. Wenn es regnet, sollten wir spazieren gehen, im Wald die Augen schließen und dem Tröpfeln zuhören, Freunde treffen und feiern. Damit nehmen wir dem alten Muster seine Kraft – und seinen Einfluss auf unsere Laune. Wir lernen, uns willentlich fürs Glücklichsein und gegen den Frust zu entscheiden.

Ach, übrigens: Das funktioniert nicht nur beim Wetter, sondern auch bei „unfähiger“ Politik, „nervigen“ Kollegen, „bedrohlichen“ Flüchtlingen und „sprachverhunzenden“ Gendersternchen. Und auch bei uns selbst, wenn wir uns mal „dick“ oder „unfähig“ oder „verlassen“ oder „benachteiligt“ oder sonstwie mies fühlen.