Frau Panzer, Stadtarchiv – das klingt nach staubigen Akten und spannenden Geschichten. Was reizt Sie an Ihrem Beruf?

Britta Panzer: Tatsächlich genau diese Mischung! Es ist spannend, sich täglich aufs Neue mit „staubigen“ Akten zu beschäftigen, in denen sich lebendige Geschichten zum Anfassen verbergen.

Was sind Ihre Aufgaben?

Britta Panzer: Meine Aufgaben liegen unter anderem darin, Dokumente aus der Verwaltung oder Privatbesitz zu sichten und zu entscheiden: Was wird aufgehoben, was könnte in 50 Jahren noch interessant sein und was schmeiße ich weg oder wird gelöscht? Dafür muss ich die Stadtgeschichte kennen und das aktuelle Zeitgeschehen in der Stadt verfolgen, um gut beurteilen zu können, was irgendwann von historischer Relevanz sein könnte. Und dann gilt es, die Unterlagen, die wir als „archivwürdig“ aufheben, inhaltlich so zu beschreiben, dass man sie auf Dauer nutzen kann.

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Wie wird man Stadtarchivarin? Ist das ein Studium oder eine Ausbildung?

Britta Panzer: Ich bin Diplom-Archivarin und habe dazu eine dreijährige Verwaltungsausbildung absolviert. Diese Ausbildung ist gesplittet und findet in einem Ausbildungsarchiv statt sowie an der Hochschule für Archivwissenschaft in Marburg.

Sie haben Geschichte, Politik und Germanistik in Heidelberg studiert und sind durch ein Praktikum im Hessischen Wirtschaftsarchiv zu ihrem Beruf gekommen.

Britta Panzer: Ja, und ich hatte von Anfang an den Wunsch, ein kleineres Kommunalarchiv zu leiten, das mir vom Tätigkeitsfeld her die komplette Bandbreite archivfachlicher Aufgaben bietet. Zum Beispiel die strategische Ausrichtung: Wie muss ein Archiv personell und digital aufgestellt sein, welche Bildungsangebote kann es machen und wie können Aufgaben effizient erfüllt werden.

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Wie sieht Ihr typischer Arbeitsalltag aus?

Britta Panzer: Wir bekommen täglich schriftliche Anfragen, bei denen wir, um sie zu bearbeiten, oft Detektivarbeit leisten müssen. Hinzu kommen Erschließungsprojekte: Momentan arbeite ich an dem Nachlass unseres Ehrenbürgers Willi Waibel, der das Thema Zwangsarbeiter grundlegend erforscht hat. Ich sichte die Unterlagen und erarbeite eine sinnvolle Struktur. Zudem bin ich auch in unterschiedlichen Abteilungen im Singener Rathaus unterwegs, um Unterlagen zu bewerten und zu entscheiden, welche archivwürdig sind.

Was für Nutzeranfragen bekommen Sie denn?

Britta Panzer: Das ist wirklich quer durch die Bank! Die Anfragen kommen ebenso von Ahnenforschern wie auch von Notaren im Rahmen einer Nachlassregelung. Oder wissenschaftliche Anfragen, wie beispielsweise aktuell von der Universität Mannheim zur NS-Belastung ehemaliger Abgeordneter der südwestdeutschen Parlamente. Aber auch Hauseigentümer wenden sich an uns, die gerne wissen wollen, welche Historie sich hinter ihrem Haus verbirgt.

Ist die Nutzung des Archivs kostenfrei?

Britta Panzer: Gebühren werden nur dann fällig, wenn wir beispielsweise für eine Ahnenforschung in Unterlagen recherchieren müssen, ansonsten ist die Nutzung des Archivs kostenfrei. Das Stadtarchiv befindet sich übrigens in der Julius-Bührer-Straße 2. Möchte man Originale anschauen, muss man allerdings zu uns kommen und kann ausschließlich vor Ort Einsicht nehmen. Keine Originale verlassen den Raum, es handelt sich ja um einzigartige Quellen! Es gibt jedoch die Möglichkeit, sich vorab online über unseren Findbuch.net-Auftritt zu informieren, ob und welche Akten es zu einem Thema gibt.

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Welche rechtlichen Aspekte spielen in Ihrer Arbeit eine Rolle?

Britta Panzer: Unser Auftrag ist durch die städtische Archivsatzung klar geregelt und besagt beispielsweise, dass jeder zu uns kommen kann, um das Archiv zu nutzen. Es gibt allerdings einige Benutzungseinschränkungen, beispielsweise für sensible personenbezogene Daten. Hier gibt es strenge Schutzfristen, die zu beachten sind. Aber man kann als Benutzer einen Antrag auf Verkürzung dieser Frist stellen. Ich wäge dann ab zwischen dem Persönlichkeitsschutz und dem Recht der wissenschaftlichen Forschung auf Zugänglichkeit zu Informationen.

Hat sich Ihre Arbeit durch die Digitalisierung vereinfacht?

Britta Panzer: In vielen Bereichen ja, schon allein deshalb, weil digitalisierte Archivalien von jedem Ort der Welt aus nutzbar sind. Viele Unterlagen bekommen wir aber nicht mehr in Papierform, sondern digital und oft ist es eine Herausforderung, damit umzugehen. Man muss sich als Archivarin jetzt viel mehr mit Softwareprogrammen auseinandersetzen! Zu manchen Projekten werden Unterlagen überwiegend nur noch auf einem Laufwerk gespeichert. Hier muss ich dann eine sinnvolle Struktur schaffen, damit Benutzer sich zukünftig gut mit diesem Thema beschäftigen können. Seit dem Jahr 2018 führen wir aber bei der Stadtverwaltung die elektronische Akte ein, das erleichtert die Bewertung und Übernahme perspektivisch dann wieder.

Wie sehen Sie Ihren Bildungsauftrag? Was braucht es, um junge Menschen zu erreichen?

Britta Panzer: Wir haben in den letzten Jahren verstärkt die Zusammenarbeit mit den Schulen gesucht. Uns ist es gelungen, Angebote zu entwickeln, die Schülern einen greifbaren Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit bieten. Hierfür holen wir sie zu uns ins Archiv und dort sehen sie, dass sich Geschichte auch auf lokaler und nicht nur auf Weltebene ereignet.

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Sie bieten auch archivpädagogische Workshops an.

Britta Panzer: Richtig, ab der 6. Klasse die „Quellen-Detektive“. Wenn man junge Menschen mit Quellen konfrontiert, haben sie oft ein „Aha-Erlebnis“, denn wir vermitteln ihnen, dass man kritisch sein muss und Wikipedia nicht immer die Wahrheit ist. Oft kommen Schüler dann später nochmal zu uns, um für eine Präsentation zu recherchieren. Ab der 9. Klasse bieten wir „Singen – meine (Stadt-)Geschichte“ an – Workshops, beispielsweise zum Thema Zwangsarbeit. Das ist hoch spannend, mit den Jugendlichen zu arbeiten und die meisten sind mit großem Interesse dabei!

Was raten Sie jungen Menschen, die sich für den Beruf des Archivars interessieren?

Britta Panzer: Es ist für mich definitiv der tollste Beruf der Welt! Und was alles dahintersteckt, sehen diejenigen, die bei uns im Rahmen der Berufsfindung ein einwöchiges Praktikum absolvieren. Um den Beruf zu ergreifen, sollte man definitiv Interesse an Geschichte mitbringen und die Fähigkeit, strukturiert denken zu können. Und – so banal das jetzt klingen mag – man muss klare Entscheidungen treffen können: Was wird archiviert und was kann weggeworfen werden.