Intransparentes Handeln, Spionageverdacht und Restriktionen – in der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft besteht hinsichtlich eines Engagements in China neue Zurückhaltung. Diese Einschätzung erhielt die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) in Konstanz dieser Tage aus erster Hand von Henning Vogelsang. Er ist der in China ansässigen Repräsentanten des Landes Baden-Württemberg. In Konstanz informierte er sich über die Arbeit des an der HTWG ansässigen China-Kompetenzzentrums Bodensee.

Während sich Bundeskanzler Olaf Scholz dieser Tage um eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit China bemühte, zeichnete China-Experte Vogelsang in Konstanz ein kritisches Stimmungsbild. Große deutsche Unternehmen seien weiter in China präsent, so Vogelsang. Neu sei aber, dass sich derzeit kaum ein Unternehmen für ein erstmaliges Engagement auf dem chinesischen Markt entscheide. Dabei sei es in vielen Branchen wichtig, die Entwicklungen in China aus der Nähe zu beobachten.

China-Skepsis steigt

Die geopolitische Lage, der Umgang mit der Corona-Pandemie, häufig aber die fehlende Transparenz im chinesischen Markt haben die Vorbehalte vieler Unternehmen wachsen lassen. Zu diesem Ergebnis kam auch die von der Deutschen Handelskammer in China zusammen mit der Beratungsgesellschaft KPMG erstellte Umfrage „German Business in China“. Ein großes Problem sei, dass in China heimische Unternehmen bevorzugt behandelt würden, so die Studie.

Ansiedlungswillige Unternehmen zu beraten, ist dabei genau der Job von Vogelsang, der seit 16 Jahren in China lebt. Als Geschäftsführer des Büros „Baden-Württemberg International“ kümmert er sich seit Herbst 2022 um die Standortförderung von Wirtschaft und Wissenschaft aus dem deutschen Südwesten. Von seinem Büro in der Provinzhauptstadt von Jiangsu, der am stärksten boomenden Region Chinas, begleitet Vogelsang kleine und mittelständische Unternehmen bei Ansiedlungsvorhaben.

Hilfe für Firmen aus Baden-Württemberg

Auf die Zurückhaltung beim Gang nach China gebe aber Antworten, so Vogelsang. Als Service sei ein Firmenpoolmodell entwickelt worden. Unternehmen aus Baden-Württemberg ist es so möglich, den chinesischen Markt anzutasten, ohne dort eine eigene Firma gründen zu müssen, sagt Vogelsang. Gegenwärtig befänden sich 15 Interessenten im Pool. Diejenigen, die für sich eine Zukunft im chinesischen Markt sehen, gründen im zweiten Schritt eine Firma, die anderen können sich unproblematisch wieder zurückziehen.

Die neue Vorsicht in der deutsch-chinesischen Kooperation ist nach Angaben von Vogelsang jedoch einseitig. Chinesische Unternehmen strebten weiter eine Präsenz auf dem Weltmarkt an. Es gebe viele Anfragen chinesischer Firmen an die baden-württembergische Repräsentanz.

Nicht nur bei der deutschen Wirtschaft zeige die veränderte geopolitische Lage hingegen Wirkung. Auch deutsche Hochschulen hielten sich zurück, was neue Kooperationen mit chinesischen Einrichtungen angehe, sagt Vogelsang. Dabei gelte Deutschland in China noch immer als eins der beliebtesten Partnerländer, bestätigt Helena Obendiek, die Co-Leiterin des China-Kompetenzzentrum.

Das Team des China-Kompetenzzentrum Bodensee (von links): Dr. Helena Obendiek, Prof. Dr. Gabriele Thelen, Dr. Yinchun Bai
Das Team des China-Kompetenzzentrum Bodensee (von links): Dr. Helena Obendiek, Prof. Dr. Gabriele Thelen, Dr. Yinchun Bai | Bild: Hochschule Konstanz

Studierendenaustausch und Spionageabwehr

Die Einrichtung bemüht sich um eine regionale Vernetzung von Hochschulen: Erfahrungen in der Kooperation mit Universitäten in China sollen ausgetauscht werden. Auch würden Studierenden-Austausche initiiert. Diese böten eine gute Möglichkeit, Studierende auch in den jeweiligen Landeskenntnissen und in interkultureller Kommunikation auszubilden, erläutert Obendiek. Deutsch-chinesische Forschungsprojekte seien derzeit über das Kompetenzzentrum aber nicht angebahnt.

Grundsätzlich sei mit Blick auf Warnungen vor chinesischer Spionagetätigkeiten auf deutscher Seite eine erhöhte Vorsicht eingekehrt, bestätigt Obendiek. Für Aufmerksamkeit hatte hier jüngst die Universität Heidelberg gesorgt, da die Uni mit einem chinesischen Forscher zusammenarbeiten soll, der Verbindungen zur chinesischen Rüstungsindustrie habe.

Das China-Kompetenzzentrum sei für das Thema Spionage sensibilisiert. Zwar werde mit chinesischen Universitäten weiter zusammenarbeitet, bei neuen Kooperationen würde aber umso genauer hingeschaut, um welchen Partner und um welche Zusammenarbeit es sich handele, so Obendiek. Nach ihren Angaben hat die HTWG zuletzt 2019 in einem Projekt zum Einsatz künstlicher Intelligenz bei Stimmerkennung auf eine mögliche Kooperation mit einer chinesischen Universität verzichtet.

IT-Forschungen seien grundsätzlich vorsichtig zu betrachten; so könnten etwa militärische Verwendungen angestrebt werden. Aktuell gebe es aber keine Verdachtsfälle, sagt Obendiek. Viele Hochschulen entwickelten derzeit Leitfäden zum Risiko-Management und vernetzen sich dazu.

Kooperationen mit China keine Einbahnstraße

Vogelsang wendet ein, dass dieses Zurückschrecken vor Kooperationen auch Risiken berge. Wissenschaftliche Zusammenarbeit sei nicht mehr unbedingt eine Einbahnstraße. „China ist in vielen Bereichen der Technologieentwicklung inzwischen führend, so dass auch die deutsche Seite fachlich profitieren könnte“, sagt der China-Experte. In China erwachse die nächste global tätige Konkurrenz. Nähe zu den dortigen Akteuren zu haben, bewahre womöglich vor bösen Überraschungen.