Dead Malls – so werden die verlassenen und aufgegebenen Einkaufszentren in den USA genannt. Die Fotos auf der gleichnamigen Homepage haben nichts mehr mit der einst glitzernden Einkaufswelt gemeinsam. Reihenweise schließen die Einkaufszentren jenseits des Atlantiks und werden dem Verfall überlassen, weil die Kunden fehlen.
Auch in Deutschland wird es schwieriger, die Kunden in Shoppingcenter zu locken. Die Konkurrenz durch den Onlinehandel macht sich bemerkbar. Trotzdem glaubt die Betreibergesellschaft ECE aus Hamburg an eine Zukunft der Shoppingcenter. Nun eröffnet sie in Singen nach zweieinhalb Jahren Bauzeit das Cano mit 85 Läden und 16.000 Quadratmetern Verkaufsfläche.
Mehr Kaufkraft durch Schweizer Kunden
„Die weißen Flecken sind weg“, beurteilt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung in Köln (IFH Köln), die Situation für neue Shoppingcenter mit Blick auf neue Standorte. „Alles was dazu kommt, konkurriert um die vorhandene Kaufkraft.“ Bei ECE geht man davon aus, doch noch einen der letzten weißen Flecken gefunden zu haben. „Die Qualität des Standorts ist hervorragend“, sagt Marcus Janko, Gesamtprojektleiter für das Cano.
Die Stadt im Hegau liegt nahe der Schweizer Grenze, was auf zusätzliche Kaufkraft hoffen lässt, da es das Einzugsgebiet erweitert. „Das Center ist perfekt gelegen, zentral in der Innenstadt.“ Bahnhof und Haupteinkaufsstraße sind gleich nebenan. „Singen ist ein gelernter und beliebter Einkaufsstandort in der gesamten Region.“ Von der günstigen grenznahen Lage haben auch schon andere profitiert, wie das Lago in Konstanz und das Outletcenter Seemaxx in Radolfzell.

Das Cano könnte auch eine Chance für die Singener Innenstadt sein. „Der gesamte Standtort kann durch ein Shoppingcenter bereichert werden, da es mehr Menschen an den Standort zieht, die sich auch in den gewachsenen Einkaufsstraßen umschauen“, sagt Kai Hudetz.
Allerdings lässt sich die Konkurrenz um eine begrenzte Kaufkraft nicht wegreden und es könnte nach Meinung von Hudetz auch ein anderer Effekt einsetzen. Der Kunde sei durch den Onlinehandel bequem geworden und diese Bequemlichkeit sei der größte Treiber für das geänderte Kaufverhalten, führt Hudetz aus.
Onlinehandel als großer Konkurrent
Einkaufen vom Sofa aus und alle Produkte verfügbar – das ist die Messlatte für den stationären Einzelhandel. So wird auch die Laufbereitschaft der Kunden immer geringer. Wer im Shoppingcenter alles findet, der verzichtet vielleicht auf den Besuch der Innenstadt.
Und wer im Internet noch mehr Auswahl hat und alle Lieblingsmarken nur einen Klick entfernt findet, der braucht zum Einkaufen gar nicht mehr vor die Tür. 2019 ist der Onlinehandel um 11 Prozent gewachsen. Das waren 5,9 Milliarden Euro weniger, die nicht in Shoppingcenter und traditionellen Einzelhandel fließen.
Einkaufen mit Erlebnisfaktor
Einfach nur einkaufen genügt nicht mehr, um die Deutschen vom Sofa zu locken. So rüsten die Einkaufszentren immer weiter auf, werden zu Themenwelten mit Erlebnisfaktor. Wie das Waterhouse in Bremen, in dem es unter anderem einen riesigen Trampolinpark und einen Ninja-Parcours zum Klettern gibt. Aber auch der Anteil an Gastronomiebetrieben nimmt beständig zu.
„Das Essen kommt ja nicht aus der Steckdose“, sagt Hudetz. So legt auch ECE einen Schwerpunkt auf „ein umfangreiches Gastronomieangebot, das zum Verweilen einlädt und das Center auch in den Abendstunden belebt“, sagt Marcus Janko. Deutschlands erster BMW-Konzeptstore zieht auch mit ein. Außerdem gibt es Lounge-Ecken, um die müden Füße auszuruhen, Handyladestationen und digitale Wegeleitsysteme.
Shoppingcenter entwickeln digitale Konzepte
Die Shoppingcenter müssen wieder stärker herausstellen, was online nicht geht: Einkaufen als Erlebnis, Stöbern, Schlendern und die Waren anfassen. Und dabei dem Kunden entgegenkommen. Neue Konzepte berücksichtigen die Digitalisierung und zunehmende Bequemlichkeit. Das Cano ist an die Digital Mall der ECE mit angeschlossen. Das Projektmanagementunternehmen ist Teil des Otto-Konzerns und mit über 90 Einkaufszentren die größte Betreibergesellschaft in Deutschland.
Mit der Digital Mall biete sie ihren Mietern und den Kunden die Möglichkeit die Verfügbarkeit von Produkten online abzufragen und zu reservieren. Solche Konzepte hätten Zukunft, denn sie böten dem Kunden einen Mehrwert, erklärt Kai Hudetz. Im Vergleich zum Onlinehandel kann der Kunde die Artikel anprobieren und begutachten und im Zweifelsfall im Laden lassen. Aus Sicht von Hudetz wäre eine zentrale Anlaufstelle für den Kunden, der nicht in jedem Geschäft die bestellten Waren einsammeln möchte, ideal.
So äußern sich die Bürgermeister aus der Umgebung zum Cano
Ankermieter bringen die Kunden ins Center
Unerlässlich für die Shoppingcenter sind ihre Ankermieter. Die sorgen auch schonmal für lange Schlangen vor den Läden und bringen so die nötige Frequenz für die anderen Geschäfte, wie zum Beispiel ein Apple-Store. „Die wissen aber auch, was sie an Frequenz ins Center bringen“, sagt der Geschäftsführer des IFH Köln, Kai Hudetz. Dementsprechend könnten sie auch die Mietbedingungen im Center mitbestimmen.
Viele starke Ankermieter, die neu in der Region sind und Kunden anziehen sollen, konnten die Betreiber des Cano gewinnen, darunter ist der Sportanbieter Decathlon, die Modemarke Marc O‘Polo oder der Spielehersteller Ravensburger. Bis auf drei kleinere Flächen sei alles vermietet.
Innenstädte sind bevorzugte Lage für neue Shoppingcenter
Standorte in der Innenstadt sind bei den Centerbetreibern beliebt. In den vergangenen zehn Jahren entstanden nur noch 6,7 Prozent der gebauten Shoppingcenter auf der grünen Wiese. 74,6 Prozent wurden in direkt in die Innenstädte gebaut, als Ergänzung zum dortigen Angebot. Darunter fällt auch das Milaneo in Stuttgart, das mit 43.000 Quadratmetern Geschäftsfläche noch einmal deutlich größer als das Cano ist.

Also perfekte Ergänzung oder große Konkurrenz? Das Cano in Singen will sich nicht als Konkurrenz zur Innenstadt sehen: „Das Center wird die Innenstadt zusätzlich beleben“, sagt Marcus Janko von ECE. Man arbeite eng mit dem Innenstadt-Handel zusammen, „weil das Center nur gemeinsam mit der Innenstadt funktioniert.“ Unglücklich über das Shoppingcenter ist der Einzelhandel in Singen nicht.
Im Gegenteil: „Durch die Eröffnung des Canos werden die Stärken der Einkaufsstadt Singen weiter ausgebaut“, sagt Claudia Kessler-Franzen, Geschäftsführerin des Standortmarketings Singen aktiv. Die Stadt habe rund 10 Millionen Euro investiert, um rund um das Cano ein neues Quartier zu schaffen, das die Menschen zum Einkaufen animieren soll.