Wer pünktlich zum Start der Automobilmesse IAA in München, etwas über die Befindlichkeit der deutschen Autobranche sagen will, schaut besser nicht in die bayrische Landeshauptstadt, sondern ins ferne Shanghai. Als in der Metropole vor einigen Monaten die weltweit bedeutendste Automesse stattfand, weigerten sich deutsche Konzernvorstände angesichts des dort präsentierten asiatischen Produktfeuerwerks, hiesigen Medien Interviews zu geben. Sehr ungewöhnlich, aber auch nicht verwunderlich. Denn angesichts überschaubarer eigener Neuheiten, wäre die Bilanz fürs Auto-Publikum daheim wohl einfach zu düster ausgefallen.
Geely, BYD, Lynk & Co und Xpeng – China zeigt in Deutschland Flagge
Kein Zweifel: Mit China ist der deutschen Vorzeigebranche ein bedeutender Wettbewerber erwachsen. Schrieben heimische Konzernvorstände chinesischen Herstellern bis vor nicht allzu langer Zeit noch die Kompetenz ab, mehr als röhrende Schepperkisten zusammenschrauben zu können, blicken sie heute immer öfter in die Rücklichter schnittiger Elektro-Flitzer Made in China.
Wie zum Beweis tummeln sich auf Europas größter Automesse IAA, die gestern eröffnet wurde, neben Tesla mehr als drei Dutzend chinesische Autofirmen, darunter Konzerne wie Geely oder BYD, aber auch kleinere Marken und Start-ups wie Lynk & Co, Xpeng, Zeekr oder MG.
Wann kommt das erste Werk der Chinesen nach Deutschland?
An diese Namen wird man sich hierzulande gewöhnen müssen. Denn Chinas Autoindustrie setzt zum großen Sprung nach Europa an. Mehrere Hersteller haben in den vergangenen Monaten angekündigt, die EU als Absatzmarkt verstärkt ins Visier zu nehmen. Einige davon, wie etwa der Branchenriese BYD, liebäugeln offen mit eigenen Produktionswerken in Deutschland. Türöffner der Entwicklung ist nicht nur der Expansionsdrang einer in China selbst hochsubventionierten Branche und deutsche Kunden, die über die Jahrzehnte gelernt haben, dass auch das Ausland Qualität liefern kann.

Historische Chance in Europa Fuß zu fassen?
Gerade in Europa, wo die Antriebswende mit Vehemenz vorangetrieben wird, scheint die Chance für die Chinesen, den angestammten Platzhirschen die Stirn zu bieten, gut. Vielleicht bietet sich für die Asiaten sogar ein historisches Moment. Denn anders als bei Verbrennerlimousinen im Premiumsegment, von denen weltweit immer noch vier von fünf ausgelieferten Modellen von deutschen Herstellern stammen, sind VW, Audi, Mercedes und BMW im Wachstumsmarkt Elektroauto nicht auf der Höhe der Zeit.
Deutlich wird das beim Blick auf die Entwicklung der Marktanteile im größten und härtesten Fahrzeugmarkt der Welt, in China. Volkswagen hat dort seine Marktführerschaft nach Jahrzehnten an BYD verloren. Bei Elektrofahrzeugen beträgt der Marktanteil des Wolfsburger Konzerns nicht einmal mehr zwei Prozent. Von BMW und Mercedes gar nicht zu reden. Im direkten Vergleich schmieren deutsche E-Modelle ab. Zumal sie auch noch deutlich teurer sind.
Deutsche Hersteller: Satte Gewinne mit alten Technologien
Diese offene Flanke der deutschen Automobilwirtschaft wird derzeit in ihrer Bedeutung noch unterschätzt. Steigen die Aktienkurse von Mercedes und BMW nicht kontinuierlich? Fahren die Konzerne nicht Milliardengewinne ein und übertreffen teils sogar ihre Prognosen? Haben sie sich nicht selbst ambitionierte Elektroziele gesetzt und fahren daher mit durchgedrücktem Gaspedal Richtung Zukunft?
Wie lange trägt der Verbrenner das Geschäft?
Im Moment sind es fast ausschließlich hochgezüchtete Luxus-Verbrenner und SUV, die den Konzernen zu ihrem Höhenflug verhelfen. Für die alte Technologie leeren sich aber ab Mitte des Jahrzehnts die Auftragsbücher. Die Brücke Verbrennungsmotor droht dann einzustürzen. Damit wird auch die Möglichkeit enden, sprudelnde Erträge in Zukunftstechnologien zu stecken. Die nächsten Jahre werden für Deutschlands Autobauer daher ein Wettlauf gegen die Zeit. Geht er verloren, wird nichts mehr sein wie es war. Denn ein Niedergang der heimischen Industrie wird nicht durch neue Ansiedlungen flinker Chinesen kompensiert werden können.