„Wenn die Dame kein Wort Deutsch versteht, wie soll ich ihr bloß alles erklären?“ Sabine Hofer (Name geändert) ist ratlos. Seit einem Jahr wohnt bei ihren pflegebedürftigen Eltern in Radolfzell eine 24-Stunden-Kraft aus Polen mit im Haus – die alle paar Wochen wechselt. Bislang hat die 49 Jahre alte Tochter sehr darauf geachtet, dass die Pflegeberatung Konstanz, die zur Agentur Care Work gehört, ihr nur solche Pflegerinnen vermittelt, die Sprachkenntnisse mitbringen und einen Führerschein. Jetzt muss sie froh sein, in ein paar Tagen überhaupt noch eine neue Betreuungskraft zu bekommen, wenn wieder ein Wechsel ansteht.
Die Kriterien wurden bereits runtergeschraubt
„Die Frauen aus Polen und Ungarn haben wegen der Coronakrise große Angst nach Deutschland zu kommen“, sagt Uta Kümmerle, Regionalleiterin für Süddeutschland bei Care Work. Sie hören von den Ausgangsbeschränkungen, den wegfallenden Freizeitmöglichkeiten. Sie sehen sich in einer fremden Wohnung oder einem fremden Haus eingesperrt. Und kehren sie dann wieder in ihr Heimatland zurück, müssen sie erst einmal für zwei Wochen in Quarantäne. „Damit wir überhaupt noch Kräfte finden, haben wir unsere sonst strengen Kriterien wie bei der Sprache auf null gefahren“, berichtet Kümmerle.
Doch das reicht allenfalls, um Bestandskunden wie die Eltern von Sabine Hofer mit einer neuen Kraft zu versorgen. „Für Neukunden haben wir derzeit leider einen Aufnahmestopp. Das bringt viele Familien in eine echte Notsituation“, sagt Kümmerle.
Spätestens nach Ostern, da ist sich die gelernte Krankenpflegerin sicher, „wird die Lage dramatisch“. Denn nach vielen Wochen in der Fremde wollen auch die Pflegerinnen wieder nach Hause, die sie jetzt erst einmal zum Bleiben überreden konnte.
Pflegebedürftige allein zu Haus
„Auch meine derzeitige Pflegekraft reist früher als geplant ab, weil sie gerade in der jetzigen Situation Heimweh hat“, sagt Sabine Hofer. Das Gesundheitssystem in vielen osteuropäischen Ländern ist schlechter als in Deutschland, die Sorge um an Corona erkrankende Angehörige groß.
300.000 alte und kranke Menschen werden in Deutschland von osteuropäischen Kräften betreut. Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) rechnet damit, dass bis nach Ostern schrittweise 200.000 Kräfte fehlen werden. „Die Pflege- und Betreuungsbedürftigen sind dann allein zu Hause, müssen von Angehörigen gepflegt werden oder auf Nachbarschaftshilfe hoffen“, sagt Frederic Seebohm, Geschäftsführer des Verbandes.
Was die Situation zusätzlich zu den Ängsten der Betreuungskräfte gerade in Deutschland so zuspitzt: Nur zehn Prozent von ihnen, also 30.000 Menschen, arbeiten hierzulande legal. „Wer als Schwarzarbeiter kommt, wird sich das jetzt dreimal überlegen. Schließlich können auch diese illegalen Pflegekräfte krank werden, und dann haben sie ein Problem“, erläutert Seebohm.
Daheim statt im Heim
Uta Kümmerle, die für eine der wenigen legalen Pflegevermittlungen in Deutschland arbeitet, kämpft derzeit mit einem ganz anderen Problem. Sie muss den Betreuungskräften erklären, warum sie die 20 Stunden dauernde Reise nach Deutschland in einem unbequemen Kleinbus antreten müssen. „Reisebusreisen sind in Deutschland inzwischen verboten, das geht höchstens noch bis zur Grenze“, sagt Kümmerle. Sie lebe derzeit mit „ständigem Bauchweh“, dass eine eingeplante Kraft sich in letzter Minute doch noch dagegen entscheidet, eine solche Anfahrt auf sich zu nehmen.
Ist die Pflegerin gesund? Das weiß keiner
Sabine Hofer hatte Glück. Die neue Betreuungskraft für ihre Eltern ist inzwischen angekommen. Im Kleinbus. Ob sie sich bei der engen Fahrt nicht auch bei einer Mitreisenden mit dem Coronavirus angesteckt hat und nun die Eltern gefährden könnte, weiß Hofer nicht. Sie hat genug damit zu tun, der Polin mithilfe einer Übersetzungs-App zu erklären, worauf sie bei der Pflege ihrer Eltern achten muss, welche Medikamente sie brauchen, was sie gern essen.
Das klappt. Irgendwie. Und es verschafft Sabine Hofer zumindest einmal vier Wochen Luft. Denn dann reist auch die neue Polin schon wieder ab. „Wenn keine nachkommt, muss ich selbst Urlaub nehmen und meine Eltern pflegen.“ Das hat die 49-Jährige schon mal sechs Wochen lang gemacht. „Das war körperlich und vor allem emotional sehr schwer. Ich stand damals kurz vor einem Burn-out.“