Noch wehrt sich Bundeskanzler Olaf Scholz. Er ist kein Fürsprecher eines staatlich subventionierten Industriestrompreises. Seit Wochen wird die energie- und wirtschaftspolitische Initiative von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diskutiert. Auch beim Gipfelgespräch der Chemie-Branche, am Mittwoch im Kanzleramt, war die Entlastung von Stromkosten ein Thema. Scholz soll sich weiter skeptisch gezeigt haben.

Habeck schlägt vor, den Strompreis für energieintensive Industriezweige, die im internationalen Wettbewerb stehen, übergangsweise mit staatlichen Mitteln zu deckeln. Im Blick hat er dabei etwa die Aluminium-, Kupfer-, Stahl-, Papier-, Textil- und Grundstoffchemie-Branche. Derzeit litten Produktionsstätten, die vergleichsweise viel Strom benötigen, unter Wettbewerbs-Nachteilen: Denn in anderen Staaten – wie etwa in Frankreich – profitierten ansässige Betriebe von einem staatlich mitfinanzierten Strompreis.

Angesichts der hohen Energiepreise in Deutschland drohe eine Abwanderung wichtiger Unternehmen. Habecks Initiative ist aber umstritten – sie findet in Wirtschaft und Politik Freund und Feind.

Vor allem mittelständische Unternehmen verfolgen die Diskussion mit Unverständnis: Die Sorge ist groß, dass die Mehrheit der Betriebe nicht von einer Subvention werden profitieren können. Die Zahlen aus Habecks Wirtschaftsministerium legen dies nahe. Allenfalls 2300 bis 2600 Unternehmen könnten groß und bedeutend genug sein und im internationalen Wettbewerb stehen, um in den Genuss der Förderung zu gelangen.

Auch das Handwerk leidet unter hohen Preisen

Das stößt auf Kritik. Auch Handwerk sei energieintensiv, bricht die Handwerkskammer Ulm eine Lanze für ihre Klientel. Nach Angaben der Kammer verfügen rund ein Zehntel der 20.000 Mitgliedsbetriebe zwischen Bodensee und Ostalb über Produktionsprozesse und -maschinen, die viel Strom verbrauchen.

Auch diese Betriebe würden unter den Energiepreisen leiden. Nach Ansicht der Handwerkskammer droht eine Wettbewerbsverzerrung, wenn beispielsweise die industrielle Backfabrik begünstigt würde, aber die regionale Meisterbackstube das Nachsehen habe. Dabei benötige auch regionales Handwerk wettbewerbsfähige Strompreise. Alles andere wäre verteilungspolitisch ungerecht.

„Das Instrument des Industriestrompreises ist ungeeignet, weil es eine einseitige Subventionierung der Konkurrenz darstellt.“
Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm

„Das Instrument des Industriestrompreises ist ungeeignet, weil es eine einseitige Subventionierung der Konkurrenz darstellt“, warnt der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm, Tobias Mehlich. Ein Industriestrompreis wäre nur zu Lasten anderer Stromverbraucher und der Steuerzahler umsetzbar. Zudem müsste geklärt werden, ab welcher Verbrauchsgrenze man als „energieintensives Unternehmen“ gelte.

Von überdurchschnittlich hohen Energiekosten seien im Handwerk insbesondere Bäckereien, Metzgereien, Mühlen, Textilreiniger oder auch Kfz-Werkstätten betroffen. Unter den etwa 2000 energieintensiven Betrieben im Kammerbezirk Ulm hätten manche vergangenes Jahr teilweise noch über Bestandsverträge mit niedrigen Bezugspreisen für Strom und Erdgas verfügt. Viele von ihnen müssten mittlerweile deutlich höhere Kosten tragen, so die Handwerkskammer.

Preiskonzepte der Parteien

Mit Blick auf den schwankenden Strompreis ist man auch in der Bäckerei Schneckenburger in Tuttlingen froh, die Bezugspreise beim örtlichen Energielieferanten noch bis Jahresende abgesichert zu haben. Rund 40 Filialen, verteilt auf die Städte und Gemeinden am Bodensee, betreibt die Traditionsbäckerei.

Natürlich sei der Strompreis viel zu hoch, sagt Thomas Schneckenburger, der Senior-Chef des mittelständischen Unternehmens, das rund 300 Mitarbeiter beschäftigt. Am Stammsitz in Tuttlingen steht am Ortsrand das große Backhaus. Dort werden Brot, Torten, Brötchen und andere Backwaren hergestellt. 80 Prozent der Waren werden fertig gebacken, 20 Prozent verlassen als Teiglinge den Produktionsstandort, sagt er, um dann in den Filialen in Elektro-Öfen gebacken zu werden.

Viele Schneckenburger-Rezepte sind ein Familiengeheimnis

Im Backhaus in Tuttlingen laufen viele Prozesse laut Unternehmensangaben teils automatisiert. Doch es werde auch noch richtig Hand angelegt, wenn es etwa gelte, den Teig anzusetzen. Die Rezepturen für die Backwaren stammten teils noch von seinem Vater, seien also ein Familiengeheimnis und würden nun in der dritten Generation verwendet, erzählt Schneckenburger. Seine Söhne Marc und Eric haben das Geschäft bereits übernommen. Vater Thomas, der den Betrieb 40 Jahre führte, sieht sich nach eigenen Angaben noch als Berater.

Entgegen landläufiger Erwartung werden die Backöfen am Standort in Tuttlingen jedoch nicht mit Strom, sondern zu 50 Prozent mit Gas und zu 50 Prozent mit Öl betrieben. Der Senior-Chef ist froh, zweigleisig zu fahren. So könne auf die Entwicklung der Energiepreise flexibel reagiert werden. „Als der Gaspreis hoch ging, haben wir verstärkt auf Öl gesetzt“, sagt Schneckenburger. Zudem sei die Backstube mit Öfen ausgestattet, deren Abwärme zwei Wasserspeichern zugeführt wird, deren Wasser wiederum für Heizung, Duschen und Waschen verwendet werde.

Strommasten stehen in Rottweil im Morgenlicht vor einem Zementwerk.
Strommasten stehen in Rottweil im Morgenlicht vor einem Zementwerk. | Bild: Silas Stein/dpa

Stromkosten sind für den Betrieb trotzdem ein Thema, denn die Bäckerei verfügt über große Kühlhäuser, in denen die vorbereiteten Teiglinge aufbewahrt werden. Im Rahmen der Konditionierung des Teigs wird dieser unter 7 Grad Celsius gekühlt. Die Hefe beginne dann zu ruhen, was bis zum eigentlichen Backprozess die Qualität erhalte, sagt Schneckenburger.

Die Stromkosten im Einzelnen und die Energiekosten insgesamt seien in der Kalkulation der Preise für die verschiedenen Backwaren durchaus ein zu berücksichtigender Faktor. „Wenn die Energiekosten steigen, müssen wir das an die Kunden weitergeben. Wir können das nicht schlucken“, sagt Schneckenburger mit Verweis auf die weiteren Kosten für Betrieb, Betriebsmittel, Mitarbeiter und Rohstoffe. Auf zwei bis fünf Prozent bemesse sich der durchschnittliche Energiekostenanteil bei den Produkten.

Manche Backwaren werden bereits subventioniert

Natürlich könnten die Energiekosten aber nicht auf jedes einzelne Backprodukt in gleicher Höhe umgelegt werden, sagt Schneckenburger. Dem gesamten Portfolio liege eine Mischkalkulation zugrunde. Einzelne Backwaren würde quasi subventioniert, um am Markt konkurrenzfähig zu sein.

Aber es seien nicht nur die Energiepreise, sondern auch die Preise für die Zutaten, die gestiegen seien, klagt Schneckenburger mit Verweis auf die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf den Getreidemarkt. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seien angespannt. „Es kommt gerade alles zusammen“, so der Senior-Chef. Wenigstens habe der Preis für die Stromlieferung gesichert werden können. So sei man vor Preisschwankungen gefeit. Das sei wichtig, die Verbraucher wollten Sicherheit. „Wir sind schließlich keine Tankstelle, die jeden Tag einen anderen Preis ausruft.“

„Es kommt gerade alles zusammen.“
Thomas Schneckenburger, Senior-Chef der Bäckerei Schneckenburger

Ganz andere Dimensionen nimmt das Geschäft der industriellen Großbäckereien ein. Zu ihnen zählt etwa die Lieken AG. Das Unternehmen war einst Teil der Kamps AG, wurde dann durch die italienische Barilla-Gruppe übernommen und gehört mittlerweile zum tschechischen Mischkonzern Agrofert, ist also international aufgestellt.

Die Lieken AG beschäftigt nach eigenen Angaben rund 3000 Mitarbeiter, etwa auch an den Standorten Bietigheim-Bissingen, Günzburg und Crailsheim in Baden-Württemberg. Mit einem mittleren dreistelligen Nettoumsatz – für 2021 werden rund 504 Millionen Euro genannt – zählt die Lieken AG neben Harry Brot GmbH, CSM Deutschland oder der Kuchenmeister GmbH zur Spitzengruppe in der Backwaren-Branche.

Backwaren werden auch im industriellen Stil hergestellt. Auf dieser Produktionslinie sollen pro Stunde 20.000 Stück Laugengebäck vom ...
Backwaren werden auch im industriellen Stil hergestellt. Auf dieser Produktionslinie sollen pro Stunde 20.000 Stück Laugengebäck vom Band gehen. | Bild: Hendrik Schmidt/dpa

Natürlich leiden auch die Großen der Branche unter den gestiegenen Preisen für Energie und Rohstoffe. Doch die industrielle Backproduktion bietet eben auch Effizienz- und Kostenvorteile. In welchem Umfang diese zum Tragen kommen, darüber hält man sich bei den Branchenführern bedeckt. Wie hoch der Energieaufwand in den Backfabriken sei und wie sich die Stromkosten auf die Preiskalkulation auswirke, darüber wollte etwa die Lieken AG auf Nachfrage nicht informieren.

Die Größenunterschiede, die daraus erwachsenden Vorteile und der Konzentrationsprozess in der Branche werden auch beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks kritisch gesehen. Sollte es zu einem subventionierten Industriestrompreis kommen, könnte auch in der Backbranche mit zweierlei Maß gemessen werden, meint eine Sprecherin des in Berlin ansässigen Zentralverbands.

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Zu dieser Situation sei es bereits bei der Befreiung von der EEG-Umlage gekommen. Von der Umlage – die mittlerweile nicht mehr erhoben werde – seien auch industrielle Großbäckereien ausgenommen gewesen. „Die sind qua ihrer Größe in die EEG-Befreiung gerutscht.“ In der Backwaren-Branche, die rund 10.000 Handwerksbäckereien und zusammen etwa 240.000 Beschäftigte zählt, sei es dadurch zu einer gravierenden Ungleichbehandlung gekommen.

Beim Zentralverband des Bäckerhandwerks befürchtet man, dass sich dieses Szenario wiederholt – mit Folgen für die Branche. Der kleine Bäckereibetrieb könne schließlich nicht einfach seinen Standort wechseln, heißt es.

Nach Ansicht des Zentralverbands sollte der Strompreis für die gesamte deutsche Wirtschaft fallen. Gelingen könnte dies, wenn die Stromsteuer gesenkt, Umlagen und Entgelte ausgesetzt und das Stromangebot erhöht werde, fordert das Bäckerhandwerk. Sollte ein Industriestrompreis eingeführt werden, bedürfe es jedoch auch eines Mittelstandsstrompreises.