Die Rakete war nur 28 Meter hoch, und sie explodierte 30 Sekunden nach dem Start. Dennoch flog sie in die Schlagzeilen und schaffte es auf die TV-Bildschirme. Als am vergangenen Wochenende die „Spectrum“-Rakete mit scharfem Antriebsstrahl in den Himmel über Norwegen startete, schauten Raumfahrtexperten und Politiker gebannt zu.
Denn die Rakete kam aus Bayern. Eine rein deutsche Entwicklung und unabhängig von einem großen Raumfahrt-Player wie der europäischen Agentur ESA, deren Ariane-Raketen und Beobachtungssatelliten jahrzehntelang den öffentlichen Blick auf die Raumfahrt dominiert haben.

„Spectrum“ ist vom Münchner Startup Isar Aerospace entwickelt worden. Es wurde mit einem Schlag deutschlandweit bekannt und mit Lob überhäuft. Von einem „Meilenstein“ sprach Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach Raumfahrtexperte Matthias Wachter von einem „wichtigen Schritt für Europas Souveränität“.
Ein Etappensieg auch für Söder
Freuen kann sich nicht zuletzt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CDU). Denn sein ambitionierter Raumfahrt-Kurs zahlt sich aus. 2019 startete der Freistaat sein Projekt Bavaria One. Ziel: Bayern in Deutschland zum führenden Standort für Weltraum-Startups zu machen und die Technologieführerschaft bei den lukrativen Klein-Satelliten zu erobern.
Als Vorbild gilt der Satellitenschwarm „Starlink“. In das steckt der US-Tech-Unternehmer und SpaceX-Gründer Musk Milliarden Dollar, um jeden Punkt der Welt mit Internet zu versorgen.

Ganz so viel Geld stellt Bayern für seine Space-Vision zwar nicht zur Verfügung, aber stolze 700 Millionen Euro machte der Freistaat für Bavaria One locker. Zum Vergleich: Baden-Württemberg, das sich ebenfalls als Säule der Raumfahrt in Deutschland versteht, steckt von 2023 bis 2026 nur 42 Millionen Euro in die Raumfahrt-Branche.
Neues Raumfahrt-Cluster um München
In München wird dagegen mit Hochdruck am Bau eines Raumfahrt-Clusters gearbeitet. Im Großraum München, bei Taufkirchen und Ottobrunn, entsteht seit Juni 2023 Europas größter Luft- und Raumfahrtcampus. Seitdem nimmt Bayerns Space-Valley mit Unterstützung der TU München Gestalt an.
Seitdem ist Bayern im Raumfahrt-Fieber. In Augsburg arbeitet die Rocket Factory Augsburg ebenfalls an einer Rakete für den Satellitentransport. Ihr Geschoss explodierte zwar vor einigen Monaten auf der schottischen Startrampe, aber die Denke des „New Space“ geht bewusst Risiken ein, heißt: Technik wird nicht bis zum Abwinken auf Fehler getestet, sondern ausprobiert. Wenn es dann kracht, zieht man die Lehren direkt daraus. Das spart Zeit und auch Geld.
Der nächste Satellit kompensiert einen Ausfall
Reiner Strobel, Geschäftsführer von Advanced Space Power Equipment (ASP) in Salem-Neufrach im Bodenseekreis, sieht im New-Space-Ansatz nur Vorteile: „Fällt in einem Satellitenschwarm mal ein Apparat aus, ist das kein Problem, weil andere seine Aufgaben mit übernehmen können.“

ASP, das betont Strobel, ist kein Startup. Die Ausgründung früherer Ingenieure des heutigen Herstellers Airbus DS in Immenstaad hat heute 120 Mitarbeiter. Strobels Sorge: Dass es wegen des Fachkräftemangels nicht mehr werden. Die Auftragsbücher sind voll, aber neue Leute nur schwer zu bekommen. Der Geschäftsführer hofft auf Nachschub aus der Automobil-Industrie, deren Zukunft eher düster ist.
Zum Tag der offenen Tür kommen überwiegend Rentner
Aber die Hoffnung, dass es nun mehr Bewerber in die Space-Branche zieht, ist trügerisch. Bis sich ein neues Berufsbild durchsetzt, dauert es. Beim deutschlandweiten „Tag der Raumfahrt“ öffnete auch ASP seine Türen. Wer kam, war mit großer Mehrheit die Kolpingfamilie aus Salem – vorwiegend Rentner, von denen mancher einst bei Dornier in Immenstaad für die unbemannte Raumfahrt gearbeitet hat.
Heute sind dort auch bei Airbus DS die Fachkräfte-Scouts aktiv. „Besonders suchen wir Fachkräfte aus Bereichen wie Engineering, Digital und Cyber“, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Auch zertifizierte Mitarbeiter, die an komplexen Systemen arbeiten können, seien gefragt.
Zu tun gibt es genug: Sentinel-Satelliten des europäischen Kopernikus-Wissenschafts-Programms, neue Metop-Wettersatelliten und Exemplare für die zweite Generation der Galileo-Flugkörper stehen auf der To-do-Liste.
Die neue Massenware fürs All
Die Anforderungen von „New Space“ gehen in eine andere Richtung. Hier sind keine großen Satelliten im dreistelligen Millionenwert mit jahrelanger Entwicklungszeit gefragt, sondern vergleichsweise billige Produkte, die gleich zu Dutzenden in den Orbit gebracht werden können: Massenware fürs All, die von Kommunikations- bis zu Navigationsdaten alles komfortabel bereitstellen.
Doch in Stuttgart hechelt man hinterher. Für „The aerospace Länd“ – wie die Landesregierung ihre Luft- und Raumfahrtstrategie denglisch etikettiert hat – gibt es zwar seit 2023 ein Grundlagenpapier, in dem auch das Schlagwort „New Space“ auftaucht.
Doch wer sich durch die 18 Seiten liest, gewinnt den Eindruck: Es handelt sich eher um eine Ist-Beschreibung der im Land verteilten Akteure als um einen sportlichen Bauplan für die Raumfahrt 2.0.

In Stuttgart hat man zwar gute Absichten und will die Raumfahrt mit Nachhaltigkeit verknüpfen. Während aber Elons Musk die Unterstufe seiner Falcon-Rakete wieder auf die Startrampe zurück bugsieren kann, verharrt man im Südwesten noch bei der Idee, ein Raketentriebwerk wiederverwendbar zu machen – bisher nur auf dem Papier.
Ein „großes Ding“ sucht man vergebens
Auf Anfrage antwortet das Stuttgarter Staatsministerium dem SÜDKURIER zum Stand der Raumfahrt-Bemühungen, denen Regierungschef Winfried Kretschmann als Schirmherr dient. Der Eindruck, Bayern habe den Südwesten raumfahrttechnisch abgehängt, täusche, heißt es. Aber ein großes Ding, wie es von Bayern nach Norwegen verfrachtet wurde, sucht man vergebens.
Nach Meinung von ASP-Geschäftsführer Strobel sollte es ein Mindestziel sein, dass die Landesregierung der Raumfahrtbranche in Berlin und Brüssel den Rücken stärkt. Immerhin das soll im November wieder der Fall sein. Dann trifft sich in Brüssel wieder die ESA-Ministerratskonferenz, um über neue Projekte zu entscheiden.
Die Konkurrenz aus ganz Europa sitzt mit am Tisch. Die bisherige Bundesregierung hat die Mittel für die Raumfahrt „signifikant“ gekürzt, wie die Länderchefs im vergangenen Dezember festgestellt haben. Man sei „in Sorge“.