Deutsche Pflegefachkräfte, die zum Arbeiten in die Schweiz gehen, da dort der Lohn besser ist: Ilja Wöllert kennt diese Fälle zur Genüge. Wöllert ist Geschäftsführer beim Arbeiterwohlfahrt (Awo) Bezirksverband Baden. Besonders aus der Grenzregion kann er von einer angespannten Personalsituation berichten.
Dass das Grass auf der anderen Seite der Grenze nicht so grün ist, wie es scheint, erklärt Wilfried Pfeiffer, langjähriger Vorsitzender des Awo-Bezirksverbandes an: „Die Schweiz lockt zwar mit deutlich höheren Löhnen. Dass die Sozialleistungen des Nachbarlandes aber nicht so toll sind, merken viele erst später.“

Mit den Löhnen steigt auch der Eigenanteil
Er kenne einige Mitarbeiter, die nach ein paar Jahren in der Schweiz wieder reumütig zur Awo zurückgekommen sind, weil das Gesamtpaket – etwa durch mehr Urlaubstage und kürzere Arbeitszeiten – dort eben doch attraktiver sei. An dieser Stelle will Ilja Wöllert mit einem Vorurteil aufräumen: „Im Pflegebereich wird nicht schlecht verdient. Schon das Einstiegsgehalt nach der Ausbildung beträgt um die 3600 Euro brutto. Ich sehe deshalb keinen Grund mehr, um zum Arbeiten in die Schweiz zu gehen.“
Die gestiegenen Löhne haben aber ihren Preis: „Natürlich steigt dadurch auch der Eigenanteil der Pflegeheimbewohner. Während Corona wurde viel darüber gesprochen, dass in der Pflege zu wenig verdient wird. Die geforderten Tariferhöhungen wurden umgesetzt – aber das Geld dafür muss halt auch von irgendwo kommen“, sagt Wöllert.
Der Geschäftsführer merkt aber an, dass die Unterbringung in einem Pflegeheim in den meisten Fällen keine finanzielle Frage für die Betroffenen und ihre Angehörigen sei – sondern eine Frage der Dringlichkeit: „Wer es sich nicht selbst leisten kann, da springt der Staat ein, und zwar in erheblichem Umfang.“
Für einen Pflegeplatz braucht es Glück
Was also ist zu tun, wenn man selbst oder enge Verwandte den Alltag nicht mehr alleine bewältigen können und zukünftig auf Pflege angewiesen sind? Eine Frage, mit der sich viele erst beschäftigen, wenn der Ernstfall eingetreten ist. Das kann Ilja Wöllert bestätigen: „Für die meisten kommt das aus dem heiteren Himmel.“
Natürlich sei es am besten, sich frühzeitig über alle Eventualitäten Gedanken zu machen, erklärt er. Auch könne er empfehlen, sich über Pflegeplätze und die entstehenden Kosten in der Umgebung zu informieren.
Aber aus Erfahrung sagt er: „Der Pflegebedarf kündigt sich oft nicht an. Aufgrund eines Notfalls kommt die betroffene Person ins Krankenhaus – und kann nicht mehr zurück, sondern muss in ein Pflegeheim.“ In solchen Fällen helfe es auch nicht, wenn die Person schon auf einer Warteliste stehe. „Da braucht es einfach Glück“, sagt Wöllert – und schlägt damit wieder die Brücke zur langen Liste an Herausforderungen, vor denen die Awo in der Pflege steht.
Awo ist auf Migration angewiesen
Für solche Situationen gebe es viel zu wenig Kurzzeitpflegeplätze, in denen Personen beispielsweise nach einem Krankenhausaufenthalt für eine begrenzte Zeit vollstationär betreut werden können. „Kaum ein Träger kann es sich leisten, das freizuhalten, weil es dafür fast keine Refinanzierung gibt“, erklärt Wöllert. Und selbst wenn es freie Plätze gebe – oftmals fehle dann das Personal, um die Pflege zu organisieren. „In Freiburg konnten wir deswegen in einer Einrichtung ein ganzes Stockwerk nicht belegen“, fügt Wilfried Pfeiffer hinzu.

Die gravierende Personalsituation werde in Städten mit hohen Mietpreisen, wie in Freiburg oder auch Konstanz, noch verstärkt. Deswegen habe die Awo ein Haus in Freiburg erworben, um ihre Beschäftigten dort unterzubringen. Aufgrund des Personalmangels sei die Awo auch auf Migration angewiesen. „Viele langjährige und verdiente Mitarbeiter gehen in den nächsten Jahren in Rente, alleine können wir das nicht auffangen“, sagt Wöllert.
Neuer Bezirksvorsitzender
Bei der alle vier Jahre stattfindenden Bezirkskonferenz in Singen stimmte sich die Awo auf diese Herausforderungen in den nächsten Jahren ein. „Die Gewinnung und Bindung von Mitgliedern und Personal wird die zentrale Aufgabe sein“, sagt Wöllert dazu, sieht den Wohlfahrtsverband aber gut gerüstet dafür. Auf der Veranstaltung wurde Wilfried Pfeiffer nach elf Jahren als Bezirksvorsitzender verabschiedet. Sein Nachfolger wird Uwe Presler, Vorsitzender des Awo-Kreisverbandes Karlsruhe.