Zwischen zwei Besprechungen mal kurz die Windeln bei seinen fünf Monate alten Zwillingen wechseln – für Felix Wollny ist das kein Problem. Der 32-Jährige arbeitet in der Regel vier Tage pro Woche im Homeoffice, sein Arbeitgeber ist die Firma Sybit in Radolfzell.
Die Digitalagentur mit fünf Standorten in Deutschland lässt ihre Mitarbeitenden selbst entscheiden, wie oft, wann und wie sie remote, also nicht im Firmenbüro, arbeiten möchten. „Sowohl Bewerbende als auch Mitarbeitende erwarten diese Flexibilität“, sagt Anders Landig, Marketing-Experte bei Sybit. Im Schnitt seien die Mitarbeitenden einen bis maximal 1,5 Tage die Woche im Büro.
Felix Wollny freut sich auf diese Tage. „Da wir keine fixen Arbeitsplätze haben, sitze ich jedes Mal mit anderen Kollegen zusammen und lerne auch Menschen kennen, die nicht in meinem Bereich arbeiten, das bietet für mich einen unheimlichen Mehrwert.“
Und dann sei da noch der sehr gute Kaffee, häufig mit Kuchen dazu, nebst nettem informellem Austausch in den Pausen – „das gibt es im Homeoffice nicht“. Trotzdem kann er es sich nicht vorstellen, dass er irgendwann wieder ausschließlich in einem Büro arbeitet. „Gerade als frisch gebackener Papa kann ich Arbeit und Familie dank Homeoffice gut miteinander in Einklang bringen und meine Kinder bei Bedarf betreuen, ohne dass das zulasten meiner beruflichen Verpflichtungen geht.“

Beruf und Privatleben besser vereinbaren zu können, das ist deutschlandweit bei Arbeitnehmern das wichtigste Argument fürs Homeoffice. „Fast alle sagen, dass ihre Work-Life-Balance dadurch besser geworden ist“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Florian Kunze von der Universität Konstanz.
Zusammen mit seinem Team hat er zwischen 2020 und 2023 rund 700 Erwerbstätige in Deutschland mehrmals zum Thema Homeoffice befragt. „Eine freiere, autonomere Zeiteinteilung und wegfallende Pendelwege erhöhen bei den meisten die Arbeitsmotivation im Homeoffice“, sagt Florian Kunze.
So auch bei Uwe Ladwig, Leiter der Informationstechnik beim Landratsamt Konstanz, der inzwischen fast ausschließlich von zu Hause aus arbeitet. „Ich spare mir morgens wie abends 45 Minuten Anfahrtsweg. Wenn die Post ein Paket abgibt, bin ich zu Hause, und wenn mal ein Handwerker kommt, muss ich dafür nicht extra einen Tag Urlaub nehmen, um ihn reinzulassen“, sagt er. Vor allem aber habe er gemerkt, dass seine Anwesenheit vor Ort nicht unbedingt erforderlich sei für seine Tätigkeit. „Dabei war ich vor Corona wirklich skeptisch, ob man gerade eine führende Position von zu Hause aus gut ausüben kann.“
„Ich sehe die Kollegen häufiger als im Büro“
Inzwischen hat er gemerkt: Das klappt, und zwar sogar richtig gut – vorausgesetzt, man passt seinen Führungsstil ein wenig an. „Ich gebe sehr klare Ziele vor, denn am Ende des Tages zählt das Ergebnis. Wo, wie und in welcher Zeit ein Mitarbeiter das erreicht hat, ist egal.“
Außerdem hat er sich angewöhnt, mehrere kurze Video-Besprechungen über den Tag verteilt zu machen. „So sehe ich viele Kolleginnen und Kollegen tatsächlich sogar häufiger als früher im Büro.“ Dazu kommen vier Mitarbeitergespräche im Jahr. Und für den privaten Austausch gebe es Team-Tage oder regelmäßige Grillfeste.

Sich Gedanken darüber zu machen, wie Kooperation und Teamarbeit trotz Homeoffice gelingen kann und dem eine klare Struktur zu geben, das sieht Florian Kunze von der Universität Konstanz als zentrale Herausforderung für Firmen an. „Die meisten Mitarbeiter wünschen sich heute maximale Flexibilität selbst entscheiden zu können, wann und wo sie arbeiten“, so Kunze. Der Arbeitsmarkt gebe es in vielen Branchen auch her, diese Forderungen klar zu stellen.
Dennoch dürften Firmen nicht aus den Augen verlieren, dass Arbeitsabläufe weiterhin gut funktionieren, die Firmenkultur nicht leidet und die Einarbeitung neuer Mitarbeiter gelingt. „Dazu braucht es klare Strukturen und vor allem auch Rahmenbedingungen vor Ort, in denen ein sinnhafter Austausch von Mitarbeitern stattfindet“, sagt Florian Kunze. Denn nichts sei frustrierender für einen Mitarbeiter, als an einem festgeschriebenen Tag ins Büro zu kommen und dort dann nur in Videokonferenzen zu sitzen, weil die Kollegen im Homeoffice sind.
Damit das nicht passiert, verabredet sich Anja Schweikl, Referentin im Vorstandsstab bei der Sparkasse Bodensee in Friedrichshafen, mit ihren Kollegen immer zu Bürotagen. „Ich bin ein kommunikativer Mensch, der sich auf diese Begegnungen im Büro auch sehr freut“, sagt sie. Deshalb arbeitet sie nur ein bis zwei Tage die Woche mobil, obwohl die Regelungen bei der Sparkasse sehr flexibel seien und abhängig von der Tätigkeit in Absprache mit Führungskraft und Team gestaltet würden: „Ich habe eine Kollegin, die überwiegend nur von zu Hause aus arbeitet, auch das funktioniert wunderbar mit dem Austausch.“

Ausschließlich im Homeoffice zu arbeiten wünschen sich dennoch die wenigsten Beschäftigten. Mehr als 70 Prozent der befragten Mitarbeiter in der Konstanzer Homeoffice-Studie bevorzugen hybride Arbeitsmodelle mit durchschnittlich drei mobilen Arbeitstagen pro Woche. „Neben Autonomie sind eben auch soziale Kontakte ganz wichtig für die Arbeitsmotivation“, sagt Florian Kunze.
Wohnliches Büro lockt die Mitarbeiter
Beim Sitzmöbel-Hersteller Klöber in Owingen verfolgt man deswegen einen Ansatz mit drei Tagen im Büro und zwei mobilen Tagen. „Kreativ sein können wir nur zusammen im direkten Austausch, weil wir Menschen nun mal soziale Wesen sind“, findet Geschäftsführer Thomas Möller.
Er wüsste auch nicht, wie er neue Kollegen ausbilden sollte, wenn seine Mitarbeiter mehr Zeit zu Hause als im Büro verbrächten. „Wir leben von diesem Wissenstransfer, davon, dass erfahrene Kollegen ihr Know-how an neue Kollegen und vor allem an Azubis weitergeben“, sagt Thomas Möller.
Damit die Mitarbeiter gern ins Büro kommen, ist es dort mit viel Holz, Pflanzen, Vorhängen und schönen Lampen ähnlich wohnlich wie zu Hause. Für konzentrierte Arbeiten gibt es Schallschutzwände und Einzelbüros, für den kommunikativen Austausch einen Eingangsbereich mit Café-Atmosphäre. Offenbar zieht der Ansatz.
Möller zufolge gebe es mehr Mitarbeiter, die trotz erlaubter Homeoffice-Tage fünfmal die Woche im Büro seien als solche, die sich mehr Freiraum fürs mobile Arbeiten wünschen. „Ich arbeite im Einkauf, da muss ich auch mal in die Produktion, vor Ort mit den Leuten sprechen oder einen neuen Stoff fühlen“, sagt Dagmar Höner. Ganz auf ihre mobilen Arbeitstage verzichten möchte sie dennoch nicht. „Die Freiheit, mich zum Arbeiten auch mal irgendwo in ein Café setzen zu können, steigert meine Arbeitsqualität enorm.“
Egal ob einen oder fünf Homeoffice-Tage in der Woche: Hauptsache, ein Unternehmen findet eine passende Regelung – vorausgesetzt, die Tätigkeiten eignen sich für mobile Arbeit. „Auf keinen Fall aber sollte man das Thema Homeoffice aussitzen oder darauf hoffen, dass das schon wieder verschwindet, denn das wird es nicht“, sagt Florian Kunze.
Gerade bei kleineren, mittelständischen Unternehmen, welche auch die Bodensee-Region prägten, habe er diese Sichtweise immer wieder erlebt. „Dabei haben wir hier durch die Nähe zur Schweiz schon länger einen Fachkräftemangel und dieser wird sich auch noch weiter zuspitzen“, so Kunze. Allein mit dem Gehalt locke man heute meist keine neuen Mitarbeiter mehr, dafür brauche es auch funktionierende, attraktive Rahmenbedingungen bei Arbeitszeit und Arbeitsort.