Die massenweise Kündigung von Obst-Lieferverträgen durch Großkeltereien vom Bodensee wird ein Fall für die Wettbewerbshüter des Landes. Nach Informationen des SÜDKURIER hat die zuständige Landeskartellbehörde in Stuttgart Ermittlungen in der Sache eingeleitet. Der Vorgang sei der Behörde bekannt, sagte eine Sprecherin des Landes-Wirtschaftsministeriums unserer Zeitung. Dort hat die Kartell-Stelle ihren Sitz. Derzeit werde „die Sach- und Rechtslage geprüft“.
Formal wurden Vorermittlungen eingeleitet
Formal handelt es sich um eine kartellrechtliche Vorermittlung. Deren Ziel ist es herauszufinden, ob ausreichend Anhaltspunkte für eine formelle Verfahrenseinleitung vorliegen. Die Kartellwächter werden tätig, „wenn Informationen über ein möglicherweise wettbewerbswidriges Verhalten“ vorliegen, wie die Ministeriums-Sprecherin sagte.
Kurz vor Weihnachten hatten die Großkeltereien Fidel Dreher aus Stockach und die Bodensee-Kelterei Widemann aus Bermatingen, nahe Markdorf, mehrere Tausend Lieferverträge für Bio-Mostobst gekündigt und den betroffenen Landwirten und privaten Streuobstwiesenbesitzern neue Verträge zu deutlich schlechteren Konditionen angeboten. Schätzungen zufolge wurden in Summe bis zu 3500 Verträge gekündigt. Das entspricht fast zwei Dritteln aller rund 5500 in Baden-Württemberg registrierten Bio-Mostobstverträge. Langjährige Beobachter der Szene werten dies als „einmaligen Vorgang“.
Auch rund um Stuttgart sind Obst-Erzeuger betroffen
Betroffen waren vor allem landwirtschaftliche Erzeuger im Bodenseeraum, aber auch in anderen traditionellen Streuobstwiesen-Hochburgen, etwa im schwäbischen Landesteil um Stuttgart oder auf der Alb. Bisher konnten sie ihr Obst zu Festpreisen bei Annahmestellen der Keltereibetriebe abgeben. Diese übernahmen zudem die jährlich anfallenden Zertifizierungskosten für das als besonders hochwertig geltende Bio-Mostobst.

In den Neuverträgen der Groß-Saftereien wurden die Festpreise für das Obst durch variable Marktpreise auf deutlich niedrigerem Niveau ersetzt. Zudem sollten die Bauern und Kleinerzeuger die Kosten der Bio-Zertifizierung im niederen dreistelligen Bereich jährlich selbst tragen.
Insbesondere für Nebenerwerbs-Lieferanten lohnt sich das Geschäft unter den neuen Bedingungen nicht mehr. In großer Zahl versuchten sie daher in den vergangenen Wochen zu kleineren Keltereien zu wechseln. Das gelang aber oft nicht, da den Kleinbetrieben meist die Kapazitäten fehlen, das anfallende Obst zu verarbeiten. Anders als die Großbetriebe hatten die Klein-Keltereien ihre Abnahmekonditionen – soweit bekannt – zum Jahreswechsel nicht verändert.
Werden Streuobstwiesen aufgegeben?
Nun befürchten Fachleute, dass Streuobstwiesen in der kommenden Saison in großem Umfang brach liegen oder langfristig ganz aufgegeben werden. Diese Form der extensiven Bewirtschaftung ist seit Jahren auf dem Rückzug. Grund sind die zunehmende Konkurrenz aus dem Ausland sowie von Bio-Obst-Plantagen, die auch am Bodensee in immer größerer Zahl angepflanzt werden.
Dennoch ist Baden-Württemberg im Bundesvergleich Spitzenreiter im Streuobstbereich. Rund 41 Prozent aller deutschen Bio-Streuobstwiesen liegen im Südwesten. Zusammen mit Bayern kommt der Süden Deutschlands auf einen Anteil von gut 70 Prozent aller entsprechenden Flächen im Bund. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Bodenseeraum als größtes zusammenhängendes Obstanbaugebiet der Nation zu. Hier haben auch nationale Branchengrößen wie die Keltereinen Dreher oder Widemann ihren Sitz. Insbesondere im qualitativ hochwertigen Segment der Direktsäfte haben sie nach Ansicht von Marktbeobachtern eine dominierende Stellung.
2019 fuhr Kelterei Dreher fast drei Millionen Euro Gewinn ein
Insbesondere der Firma Dreher kommt große Bedeutung zu. Nach Aussagen von Branchenkennern gehen rund 2000 aller vor Weihnachten gekündigten Obst-Lieferverträge aufs Konto der Stockacher Saftpresser. Mit einem Umsatz von knapp 50,6 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2018/19 (Stichtag: 1. September) ist das Unternehmen leicht größer als der Regio-Konkurrent Widemann, der etwa durch die Marken Schlör oder Lindauer Fruchtsäfte bekannt ist.
Anders als Widemann, dessen Produktionsanlagen ausschließlich regional aufgestellt sind, betreibt Dreher auch ein großes Saft-Werk in Polen, einem der größten Obsterzeuger der EU. Laut Bundesanzeiger fuhr das Unternehmen 2018/19 einen Gewinn von rund 2,8 Millionen Euro ein. Die Eigenkapitalquote lag bei rund 45 Prozent, Tendenz steigend. Die Ertragslage sei „stabil“. Aufs kommende Wirtschaftsjahr blicke das Unternehmen „sehr positiv“, heißt es im Jahresabschluss 2018/19.
Dreher und Widemann äußern sich nicht zur Kartell-Prüfung
Äußern will sich das Unternehmen in Sachen Vertragskündigungen nicht. Schriftliche Anfrage bleiben unbeantwortet. Telefonisch ist die Geschäftsführung nicht zu erreichen.
Dreher-Konkurrent Klaus Widemann indes hatte die Vertragskündigungen mit einem zunehmenden Preisverfall im Saft-Geschäft und mehr Billig-Konkurrenz aus dem Ausland begründet. „Das hohe Preisniveau zu halten, das wir unseren Lieferanten bisher gewährt haben, war daher betriebswirtschaftlich schlicht nicht möglich“, sagte Widemann in einem SÜDKURIER-Interview.
Eine Absprache bei den Vertragskündigungen bestritt der Firmen-Chef. Konkurrent Dreher aus Stockach war auch in diesem Punkt am Mittwoch nicht zu sprechen.