Seit Jahren ist der massenhafte Einkaufstourismus von Schweizer Bürgern im benachbarten Ausland der Eidgenossenschaft ein Dorn im Auge. Jetzt macht die Politik Ernst. Überraschend hat das Schweizer Parlament Anfang der Woche mehreren kantonalen Initiativen zugestimmt, die darauf abzielen, Schweizern das Einkaufen in Deutschland madig zu machen. Damit steigt der Druck auf die Schweizer Regierung, die bestehenden Regeln zu ändern.

Schweiz will an der grenze Mehrwertsteuer kassieren

Konkret sollen Schweizer Einkaufstouristen im Ausland statt für 300 Franken (gut 275 Euro) nur noch für 50 Franken einkaufen dürfen, ohne auf ihre Waren bei der Rückkehr in die Schweiz Mehrwertsteuer zahlen zu müssen. Bislang verzichtete der Schweizer Zoll darauf, die sogenannte Einfuhr-Mehrwertsteuer bis zur Grenze von 300 Franken zu erheben. Ausländische Waren konnten so von Schweizern quasi steuerfrei im Ausland erworben werden.

Was die Schweizer Konsumenten freut und den auf deutscher Seite ansässigen Grenzhandel zusätzliche Umsätze beschwert, sorgt in der Eidgenossenschaft seit Jahren für erheblichen Unmut. Insbesondere Grenzkantone wie Thurgau oder St. Gallen beklagen ein Ladensterben sowie massive Steuerausfälle, die sich nach Medienberichten auf mehr als 600 Millionen Franken pro Jahr summieren.

Das könnte Sie auch interessieren

Jenseits der Schweizer Grenzen profitiert der Handel dagegen massiv von der Konsumfreude der gut betuchten Schweizer Kundschaft. In der Schweiz geht man davon aus, dass durch den Einkaufstourismus jährlich Kaufkraft in Höhe von zehn Milliarden Franken ins benachbarte Ausland abwandert. Schätzungen der IHK Hochrhein-Bodensee kommen zu dem Ergebnis, dass Einkaufstouristen allein entlang der deutsch-Schweizer Grenze jedes Jahr etwa 1,5 Milliarden Euro in die Grenzregion spülen.

49 Euro statt 60 für das Parfüm

Bisher ist das auch ohne größere Einschränkungen möglich – und lohnt sich. Denn wenn Schweizer in Deutschland Waren kaufen, können sie sich die Mehrwertsteuer von maximal 19 Prozent des Warenwerts gutschreiben und sich beim nächsten Einkauf in Deutschland anrechnen lassen. Ein Parfüm für 60 Euro gibt es so für Schweizer unter dem Strich für knapp 49 Euro.

Ein ganz normaler Vormittag in der Konstanzer Innenstadt. Entlang der Schweizer Grenze werden teils 50 Prozent der Einzelhandelsumsätze ...
Ein ganz normaler Vormittag in der Konstanzer Innenstadt. Entlang der Schweizer Grenze werden teils 50 Prozent der Einzelhandelsumsätze von Schweizern getätigt. | Bild: Brumm, Benjamin

Um die Arbeitsbelastung deutscher Zöllner zu senken, die jedes Jahr Millionen Mehrwertsteuer-Bescheinigung bearbeiten müssen, hat Deutschland allerdings Anfang 2020 eine Bagatellgrenze von 50 Euro eingeführt. Unterhalb ist der Steuerabzug nicht mehr möglich. Seither stempeln die Zöllner auf deutscher Seite deutlich weniger Waren ab, was aber auch auf die Corona-Lage im Jahr 2020 mit Grenzschließungen zurückzuführen ist.

Schweizer mögen das Ambiente auf deutscher Seite

Auf deutscher Seite ist man von dem neuerlichen Vorstoß der Eidgenossen nicht begeistert. Für den Einkaufstourismus, der für heimische Einzelhändler, aber auch die Gastronomie und die Veranstaltungsbranche eine bedeutende Stütze darstelle, sei die Initiative „sicher nicht förderlich“, sagt Utz Geiselhart, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Südbaden. Allerdings warnt er davor, die Auswirkung einer möglichen gesetzlichen Neuregelung zu überschätzen. Der Einzelhandel auf deutscher Seite sei überdurchschnittlich gut aufgestellt und biete der ausländischen Kundschaft ein Einkaufserlebnis, das diese besonders schätze. „Beim Einkauf zählen auch die weichen Faktoren“, sagt er.

Claudius Marx, IHK-Hauptgeschäftsführer in Konstanz, glaubt nicht, dass sich der Einkaufstourismus wegen der neuerlichen Debatte grundlegend verschieben wird. „Als ein Instrument, das Einkaufserlebnis der Schweizer in Süddeutschland zu trüben, taugt die Abschaffung der Freigrenze wenig“, sagt er. Der Grund: Die Mehrwertsteuersätze, die die Schweiz ihren Bürgern jetzt in Rechnung stellen könnten, betragen nur rund ein Drittel der deutschen Sätze. Unter dem Strich bleibt für die Einkäufer eine deutliche Steuer-Entlastung. Dazu komme das sehr viel niedrigere Preisniveau der Waren in Deutschland, sagt Marx.

Rätselraten herrscht in Deutschland noch über die Frage, wann genau eine Neuregelung in Kraft treten könnte und wie sie dann aussehen wird. „Das könnte noch Jahre dauern“, heißt es aus Handels-Kreisen.