Wenn Bernd Schilling an die Jahre vor Corona denkt, wird er fast etwas wehmütig. „Das war eine andere Zeit“, sagt der langjährige Vorstand des Schwarzwälder Automobilzulieferers IMS Gear. 2017 knackte der Antriebsspezialist erstmals in seiner Unternehmensgeschichte die Schallmauer von einer halben Milliarde Euro Umsatz.
Um die Nachfrage zu befriedigen, die damals jährlich fast zehn Prozent mehr Umsatz in die Kassen des Mittelständlers spülte, war man gerade dabei, seinen vierten deutschen Standort ein paar Kilometer vom Donaueschinger Stammsitz entfernt zu errichten. 500 Arbeitsplätze sollten bis Jahresende weltweit aufgebaut werden. Die Hauptaufgabe im Vorstand bestand damals darin, das Wachstum in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken.
Heute sieht es anders aus. Von den 650 Millionen Euro Umsatz, mit denen IMS Gear 2018 plante, ist man ein halbes Jahrzehnt später immer noch ein ganzes Stück weit entfernt.
Von den 3700 Mitarbeitern, die der Mittelständler Ende 2018 auf seiner Lohnrolle hatte, sind 3200 übriggeblieben. Und das Familienunternehmen ist fast nur noch halb so profitabel. „Die Kostendynamik ist derzeit außergewöhnlich“, sagt IMS-Gear-Manager Schilling. Das vergangene Jahr sei diesbezüglich „beispiellos“ gewesen.
So wie IMS Gear geht es derzeit vielen Zulieferern. Während die Autobauer bis vor Kurzem Traumrenditen im zweistelligen Bereich einfuhren, darben die Vorlieferanten.
Bei ZF in Friedrichshafen spricht Vorstandschef Holger Klein von einem „brutal harten Jahr 2023“ und dem „fünften Krisenjahr in Folge“. Und auch die ersten Monate von 2024 waren schwach.
ZF fehlt die Rendite
Ähnlich wie bei Bosch in Stuttgart klingelt es bei den Friedrichshafenern viel zu selten in der Kasse. Von einem Euro Umsatz im operativen Geschäft bleiben gerade mal gut fünf Cent als Gewinn hängen.
Um den teuren Umstieg von Getriebetechnologie hin zu Elektroantrieben und Software zu finanzieren und gleichzeitig den Kampf mit erstarkenden Konkurrenten aus China aufzunehmen, bräuchte ZF zwei bis drei Cent mehr. Auch da geht es Bosch nicht anders.
Die Zuliefersparte von Continental – der dritte große Zulieferer in Deutschland – rutschte in den ersten Monaten des Jahres sogar in die roten Zahlen.
Als Folge treten die Zulieferkonzerne voll auf die Kostenbremse. Bis Ende 2025 will ZF mindestens sechs Milliarden Euro einsparen. Und der Abbau von bis zu 12.000 Stellen in Deutschland steht im Raum. Auch bei Bosch und Conti reiht sich ein Sparprogramm ans nächste, sollen Werke geschlossen werden und Tausende Jobs wegfallen.
Mittelständler von Zulieferriesen abhängig
Die Schwäche der Zulieferriesen bekommen in erster Linie Mittelständler wie IMS Gear zu spüren, denn ihre Kunden sind meist nicht die Autohersteller, sondern die großen Systemanbieter im Zuliefersektor. Diese hängen ihrerseits an den Bestellungen der Auto-Konzerne.
Dort – in den Firmenzentralen von Mercedes-Benz, BMW, Audi und Co. – ist die Welt noch eine andere. „Im vergangenen Jahr haben die Autohersteller blendende Zahlen eingefahren“, sagt etwa Constantin Gall, Partner und Automobilexperte beim Beratungsunternehmen EY.
EY hat die Gewinne der größten Autokonzerne der Welt im Jahr 2023 ausgewertet und ist dabei auf ein Branchenbild gestoßen, das in rosigeren Farben kaum hätte gezeichnet werden können.
Ein absolutes Rekordjahr bei den Autobauern
Allein in der deutschen Branche summierte sich der operative Gewinn (Ebit) der Hersteller im vergangenen Jahr auf knapp 61 Milliarden Euro – ein Allzeithoch und nochmals deutlich mehr als im bisherigen Rekordjahr 2022. Mercedes-Benz entwickelte sich gar zum „profitabelsten Autokonzern der Welt“, wie EY feststellt.
Dicht gefolgt von der Opel-Mutter Stellantis und BMW aus München. Selbst der Wolfsburger Volkswagen-Konzern, dessen Margenschwäche bei seiner Kernmarke VW fast schon chronisch ist, fuhr 2023 noch Milliarden ein.
Deutsche Firmen fahren Luxusstrategie
Die deutschen Edelauto-Schmieden wie Mercedes-Benz, BMW oder Audi profitierten dabei von einem Strategiewechsel. Infolge jahrelanger Lieferengpässe bei Chips und elektronischen Bauteilen konzentrierten sich die Konzerne ab 2021 auf die Auslieferung besonders teurer Modelle.
Weil die Chips nicht für alle Fahrzeuge reichten, ließen sie hochpreisige Baureihen bevorzugt von den Bändern rollen. Gleichzeitig wurden kleinere und damit margenschwächere Modelle ausgemustert. Eine aus der Corona-Zeit aufgestaute Nachfrage, die es den Herstellern erlaubte, Rabatte auf quasi Null herunterzufahren, tat ihr übriges.
Konzerngewinne 2024 auf Talfahrt
Vor allem der seit 2019 amtierende Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius setzte auf diese Luxus-Strategie und katapultierte das Unternehmen damit zwischenzeitlich in eine neue Gewinn-Umlaufbahn.
Der Durchschnittspreis von Limousinen mit dem Stern stieg in der Ära Källenius von 51.000 Euro auf mehr als 74.000 Euro. Mehr als 7000 Euro verdienten die Stuttgarter im Jahr 2023 nach Berechnungen des Center of Automotive Management (CAM) pro verkauftem Fahrzeug – ein Top-Wert.
Von dieser „Sonderkonjunktur bei Premiumfahrzeugen“, wie EY-Experte Gall es ausdrückt, hätten die Zulieferer „fast nicht profitiert“. Für ihre Gewinne entscheidend ist nämlich nicht der Wert der verkauften Fahrzeuge, sondern die abgesetzten Stückzahlen.
Zulieferteile wie Funkschlüssel, Alufelgen, Getriebe oder elektrische Sitzverstellungen, wie sie etwa IMS Gear liefert, sind nämlich in allen Autos gleich oft verbaut – egal ob es sich um eine eher preiswerte C-Klasse oder einen luxuriösen G-Geländewagen handelt. „Wenn die Stückzahlen nicht stimmen, stimmen die Gewinne bei den Zulieferern nicht“, sagt Gall.
Die Fahrzeugmärkte aber befinden sich auch Jahre nach Corona nicht wieder auf dem Niveau von vor der Krise. 2023 wurden nach Daten des deutschen Automobilverbands VDA weltweit 75,5 Millionen Fahrzeuge neu zugelassen. Das sind mehr als neun Millionen Autos weniger als im Rekordjahr 2017.
Harte Verträge für Zulieferer
Nachteilig für die Zulieferer wirken sich zudem die mit den Autobauern geschlossenen Abnahmeverträge aus. Standardmäßig laufen sie meist über mehrere Jahre und preisen Nachlässe für die Autobauer aufgrund von Effizienzgewinnen auf Seiten der Zulieferer ein.
Klauseln, die die Zulieferer entschädigen, wenn die festgelegten Mengen von den Autobauern nicht abgerufen werden, gibt es dagegen fast nie. Das Stückzahlenrisiko bleibt somit komplett bei den Zulieferern hängen.
Um nicht aus dem Geschäft gedrängt zu werden, bleibt für die Teilelieferanten meist nichts anderes übrig, als die schlechten Konditionen zu akzeptieren. Die Gewinnschere zwischen Autobauern und Herstellern sei in den vergangenen Monaten daher „immer weiter auseinandergegangen“, sagt EY-Experte Gall.
Scheitert Mercedes?
Allerdings wendet sich das Blatt derzeit wieder. Die Luxusstrategie von Mercedes-Benz droht zu scheitern. Der Preiskampf bei E-Autos, von denen der Konzern noch viel zu wenige absetzt, ist ruinös. Bei den Stuttgartern schmelzen die Gewinnspannen seit Monaten wie Schnee in der Frühlingssonne.
Die Umsatzrendite ist von knapp 15 Prozent vor einem Jahr auf neun Prozent im ersten Quartal 2024 zurückgegangen. Eine aktuelle Studie des CAM belegt, dass die Gewinne derzeit branchenweit absacken. Die „verwöhnten Autobauern“ kehrten wieder zur Normalität zurück, sagt CAM-Chef Stefan Bratzel.
Keine guten Aussichten
Speziell für die mittelständische Zulieferindustrie, die für Baden-Württemberg so prägend ist, bedeutet aber auch das nichts Gutes. Sie kooperiert traditionell stark mit den Premium-Autobauern wie Mercedes-Benz, BMW oder Audi. Und sie steht seit einiger Zeit auch strukturell unter Druck. Denn der Umstieg zur Elektromobilität senkt die künftig in einem Auto benötigten Teile erheblich.
Sind im Antriebsstrang eines Verbrenners rund 1400 Teile verbaut, sind es bei einem modernen E-Motor nach einer Studie der IG Metall nur noch gut 200. Die Wertschöpfung wandert also weg von der Mechanik und hin zu Batterie- und Softwaretechnologien. Dort aber sind China und US-Techkonzerne führend, die sich den Autobauern als neue Partner anbieten.
Es wird weniger Zulieferer geben
Zuliefer-Experten wie Lutz Berners sehen die Kleinfirmen daher vor unruhigen Zeiten. Die Vielfalt der Komponenten im Verbrennungsmotor habe in der alten Autowelt zu einer sehr vielfältigen Zulieferindustrie geführt, sagt der Chef der gleichnamigen Unternehmensberatung.
Diese werde im Zeitalter der E-Mobilität nicht mehr benötigt. Als Partner bräuchten die Autobauer künftig nicht mehr 50 Zulieferer, sondern nur noch fünf. Berners prophezeit, dass der Mittelstand allein aufgrund der technologischen Umstellung weiter unter Druck geraten wird. Aus Sicht der Autobauer sei Vielfalt in der Zulieferindustrie einfach „zum Problem geworden“.