Herr Marquardt, die Autoindustrie hat viel in die Elektromobilität investiert. Doch jetzt kaufen die Kunden nicht. Was bedeutet das für die Branche?
Speziell uns Zulieferer, die besonders auf die E-Mobilität gesetzt haben, trifft es erheblich, dass der Markt flacher anläuft als erwartet. Wir haben alle an die schöne neue Welt geglaubt, die von Berlin und Brüssel propagiert wurde und zu Beginn auch gefördert wurde.
Hat die Politik die Branche in ein Abenteuer gedrängt und fallen gelassen?
Von einem Tag auf den anderen gab es kein Fördergeld für E-Fahrzeuge mehr. Zudem wird die Infrastruktur nicht so ausgebaut, wie das nötig wäre. Alles wird nur halbherzig angegangen. Während so die E-Mobilität noch nicht so weit ist, wurde unsere führende Rolle bei den Verbrennungsmotoren ohne Not zurückgefahren. Wir stecken jetzt in einer bedrohlichen Sackgasse.
Geraten kleinere Zulieferer wegen dieser Politik jetzt in Existenznöte?
Und zwar massiv. Schauen Sie nur, wie die Insolvenzzahlen im ersten Quartal hochgeschnellt sind. Je kleiner und ersetzbarer ein Betrieb ist, umso mehr ist er todesgefährdet. Die Autohersteller passen gerade ihre Strategie an und schreiben Investitionen in Milliardenhöhe ab. Diesen Verlust wollen sie zum Teil über die Zulieferer wieder ausgleichen. Insgesamt ist die Stimmung in unserer Industrie sehr angespannt.
Was sollte die Politik tun?
Ich bin kein Freund von Subventionen. Aber wir müssen uns im Klaren sein, dass für eine Übergangszeit die Unterschiede wie Mehrpreis gegenüber chinesischen Wettbewerbern und geringerer Reichweite gegenüber Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren kompensiert werden müssen. Industrie und Verbände machen immer wieder deutlich, dass Veränderungen in der Klimapolitik wirtschaftlich machbar sein müssen. Das kann mit großen Einbußen auf Seite der Unternehmen nicht funktionieren.

Marquardt hat bei Erfurt massiv in Batteriesysteme investiert. Was ist damit?
Insgesamt haben wir weit mehr als 200 Millionen Euro investiert. Aktuell fahren wir gerade das zweite Werk hoch. Die Produkte gehen im Wesentlichen an deutsche und europäische Hersteller. Neben Produkten für die E-Mobilität sind es Erzeugnisse im Beleuchtungssektor sowie rund um das autonome Fahren und die Sicherheit. Die sind nun alle zum Glück im Hochlauf – aber eben lange nicht so schnell, wie gedacht.
Das bedeutet, Ihr Plan geht nicht auf…
Tatsächlich wollten wir am Erfurter Kreuz wesentlich schneller in die Gewinnzone als es jetzt den Anschein hat. Die Verbraucher fahren in diesen unsicheren Zeiten mit ihren Autos eben länger und verschieben den Kauf eines Neuwagens. Das ist in Europa und auch in China so. Es mangelt bei den meisten nicht an Geld, sondern an der Bereitschaft, es auch auszugeben.
Wie gehen Sie damit um?
Wir reden mit unseren Kunden darüber, wie man unsere Belastung durch die hohen Vorabkosten berücksichtigen kann. Über den Erfolg solcher Gespräche kann ich nur so viel sagen: Die Hersteller hören uns zumindest zu. Sie wissen offenbar schon, dass sie nicht ganz ohne Zulieferer auskommen. Auch und gerade aus Europa.
Das bedeutet, es geht weiter abwärts, oder sind wir schon im Tal?
Nennen wir es eine Seitwärtsbewegung auf niedrigem Niveau. An die prognostizierte Erholung glaube ich in diesem Jahr allerdings nicht mehr. Aktuell liegen wir unter unseren sehr konservativ angesetzten Prognosen. Aber der Markt scheint sich auf niedrigem Niveau einzupendeln. Man sieht es daran, dass die Automobilhersteller wieder zu Rabattaktionen zurückkehren. Gleichwohl rechne ich langfristig mit einem steigenden Fahrzeugbedarf. Denken Sie nur an die wachsende Weltbevölkerung. So wird die Nachfrage vor allem in den Schwellenländern steigen.
Aktuell droht ein Handelskrieg mit China. Kommen Sie als Europäer überhaupt an die Wachstumsmärkte ran?
Ein Handelskrieg mit China wäre für die gesamte deutsche Exportindustrie dramatisch. Deshalb machen sich viele auch in unserer Branche große Sorgen. Allerdings muss man auch sehen, dass die Chinesen unseren Markt ebenfalls brauchen. Somit besteht durchaus Anlass zur Hoffnung, dass man sich in den Zollfragen bald einigen wird.
Wie stellen Sie sich auf eine mögliche Amtszeit von Donald Trump ein?
Ein „Trump 2“ schreckt mich gar nicht, wenn man von einer gewissen Unberechenbarkeit bei Entscheidungen absieht. Wir haben schon länger zusammen mit unseren amerikanischen Kunden entsprechende Vorkehrungen getroffen. Sollte die Lage eskalieren, würden wir unsere dortigen Kunden aus dem Nafta-Raum [Freihandelszone zwischen USA, Kanada und Mexiko, d.Red.] beliefern. Mit Trump 1 sind wir auch klargekommen. Zudem muss man sehen, dass auch unter Joe Biden die Politik von „America First“ nicht wirklich gravierend verändert wurde. Nur die Tonlage hat sich verändert.
Extreme Tendenzen gibt es auch bei uns. Haben sich denn schon Mitarbeiter geweigert, an ihre neuen Standorte nach Thüringen zu gehen, weil dort die AfD so stark ist?
Nein. Wir haben bis heute im Alltag nie etwas Negatives erlebt. Grundsätzlich erwarte ich das auch nicht. Jede Regierung ist an einer starken Wirtschaft mit gut bezahlten Arbeitsplätzen interessiert. Ob in Thüringen, USA oder auch in China. In Thüringen arbeiten auch einige unserer Topleute aus Tunesien oder Rumänien.
Sie gewinnen Fachleute aus Tunesien für Deutschland?
Wir sind dort seit mehr als 30 Jahren aktiv und gelten dort schon eher als einheimisches Unternehmen. Das hilft. Die Leute dort sind sehr gut ausgebildet und sprechen oft mehrere Sprachen. Bei einer Bewerberkampagne haben wir 25 Leute für Deutschland ausgesucht und alle haben zugesagt. Die Menschen sind von der Firma und ihren Produkten begeistert und nehmen sogar unser kaltes Wetter in Kauf.
Gab es Probleme mit der Bürokratie?
Sagen wir so: Man hat sich nicht verweigert. Aber wir hatten am Stammsitz ein mehrköpfiges Team im Einsatz, das ein halbes Jahr daran gearbeitet hat, um die Leute an ihren Arbeitsplatz zu bringen.
Sie verlassen den Chefsessel Ende des Jahres. Was machen Sie mit der plötzlich gewonnenen Freizeit?
Naja, ganz so abrupt wird es nicht enden. Aber tatsächlich räume ich mein Büro hier Ende des Jahres und habe dann einen Schreibtisch im Stiftungshaus meines verstorbenen Onkels, der privaten Stiftung Ewald Marquardt in Rietheim-Weilheim. So kann mein Nachfolger dann auch richtig durchstarten. Mit Björn Twiehaus arbeite ich bereits seit drei Monaten zusammen und ich kann sagen, das passt sehr gut! Und ich freue mich darauf, nicht mehr 60 bis 80 Stunden in der Woche arbeiten zu müssen.
Dann kommt in absehbarer Zeit niemand aus der eigenen Familie an die Marquardt-Spitze?
Ich freue mich zwar, dass meine Tochter seit Oktober bei uns tätig ist. Sie kommt von einer Münchner Beratungsgesellschaft und kümmert sich hier um anspruchsvolle Projekte wie unser globales Programm zur verbesserten Produktivität und Kosteneffizienz. Aber aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass wir für die kommenden zwanzig Jahre einen Chef gefunden haben.
Sie selbst sind auch im Arbeitgeberverband aktiv. Bleiben sie Südwestmetall noch erhalten?
Wir werden zu gegebener Zeit besprechen, ob und in welcher Funktion ich den Verband weiter unterstützen kann. Generell werde ich noch beraterisch tätig sein. Aber ich komme sicher nicht jeden Tag ins Unternehmen, um alles besser zu wissen.
Dann sind Sie in der kommenden Tarifrunde dabei. Werden Sie wie in der Chemiebranche auch einen Zuschlag nur für Gewerkschaftsmitglieder anbieten?
Wir lehnen Gewerkschaftsboni entschieden ab. Generell kann niemand in der Branche wollen, dass Unternehmen ohne Gewerkschaftsmitglieder besser dastehen als andere. Das wäre eine Zweiklassengesellschaft und würde von keiner besonderen Weitsicht der IG Metall zeugen. Denn sie würde auf Kosten der Arbeitgeber Mitglieder werben, anstatt partnerschaftlich mit uns nach tragfähigen Lösungen für die enormen Veränderungen unserer Zeit zu suchen.