Stefan Leichenauer bringt normalerweise nicht viel aus der Ruhe. Im Lauf der Zeit hat sich der Landwirt aus Südbaden mit einigem arrangiert. Angefangen bei den Schweizer Konkurrenten, die den deutschen Bauern in Grenznähe Pachtflächen wegschnappen bis hin zu den Naturschützern, mit denen er zeitweise arg über Kreuz lag, jetzt aber meist ein „gutes Verhältnis“ pflegt, wie er sagt.
Nicht zuletzt bewirtschaftet er auf seinem Hof in Tengen im südlichsten Winkel Baden-Württembergs Böden, die zu den kargsten im ganzen Land gehören. Der Mittvierziger kann also einiges wegstecken.
Aber wenn es um politische Entscheidungen geht, bleibt ihm in letzter Zeit öfter mal die Spucke weg. Nach Willen der EU ist Pflügen nämlich künftig auf 97 Prozent seiner Flächen in den Wintermonaten verboten. „Ich weiß nicht, wie die da draufgekommen sind“, stellt Leichenauer genervt fest. Das Argument, damit für mehr Erosionsschutz zu sorgen, gehe fehl. „Wir brauchen Erosionsschutz, keine Frage“, sagt er. „Aber bitte nicht so.“
Ohne Pflug geht es nicht
Sollte das Verbot wirklich umgesetzt werden, stellt der 45-Jährige, dem das Branchenblatt „Agrar Heute“ im Jahr 2021 den Titel „Ackerbauer des Jahres“ verliehen hat, die Produktion von Sommergerste und Kartoffeln in Frage. „Da kommen wir dann an Grenzen“, sagt er.

Seit Generationen reißen er und seine Kollegen am Fuß der Hegau-Vulkane pünktlich zum ersten Frost die Böden mit dem Pflug auf. Die Kälte kann so bis tief in die Krume eindringen. Das schafft im Frühjahr besonders fluffigen Humus. Die sogenannte Frostgare führt zu einem Extra-Schub Fruchtbarkeit, den die Bauern auf 400 bis 600 Meter Meereshöhe auf ihren schlechten Äckern dringend brauchen. „Es ist wie immer“, sagt Leichenauer. „Die Politik entscheidet mit guten Absichten, aber es geht voll an der Praxis vorbei.“
Bauern haben es geschafft, EU-Gesetzte zurück zu drehen
Leichenauers Kritik an der EU-Agrarpolitik und all jenen, die sie umsetzen, ist keine Einzelmeinung. Sie ist ein Branchenphänomen. Die meisten Bauern haben Berlin und Brüssel satt. Dabei könnte ihnen gerade auch zum Feiern zumute sein.
In den vergangenen Monaten haben sie durch ihre hartnäckigen Proteste die wahrscheinlich größten Erfolge seit Jahrzehnten im Kampf gegen die EU-Bürokratie erzielt. Substanzielle Punkte der EU-Agrargesetzgebung wurden zurückgedreht. Auch Teile des Green Deal, das Lieblingskind von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), stehen infrage.
Anfang Februar kippte die Kommissionspräsidentin nach massivem Druck der Landwirte die neue Pestizid-Strategie der Union, die den Einsatz von Spritzmitteln in der EU bis 2030 halbieren sollte. Künftig haben die Bauern wieder mehr Spielräume beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Kurz darauf stimmte das EU-Parlament für eine Aufweichung der Regeln zum Anbau neuer Gen-Pflanzen (NGT) in der Landwirtschaft. Und Ende April gelang es den Landwirten und ihren Lobby-Vertretern, der EU große Zugeständnisse bei Umweltauflagen abzutrotzen und das Kontrollregime bei Verstößen teilweise aus den Angeln zu heben.
So müssen kleine Betriebe künftig zwar weiter alle Umweltstandards einhalten, aber sie brauchen keine staatlichen Kontrollen mehr zu fürchten. Zudem soll der Zwang, jedes Jahr vier Prozent der Äcker als Brachen stehen zu lassen, für alle Höfe in Europa entfallen, ebenso wie strenge Regeln zur Fruchtfolge.
Wann kippt das Pflugverbot endgültig?
Selbst das winterliche Pflugverbot, das gerade bei den Bauern in den voralpinen Mittelgebirgslagen Süddeutschlands für so viel Ärger sorgt, könnte kippen. Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU), hat ein Entgegenkommen signalisiert und einen „guten Kompromiss“ in Aussicht gestellt. Hegau-Bauer Leichenauer sagt, solange die Erleichterungen nicht umgesetzt seien, bestünde keine Rechtssicherheit.
Die Skepsis über die Brüsseler Beschlüsse und deren nationale Umsetzung überwiegt also. Genau wie in der Wissenschaft. Hier herrscht sogar blankes Entsetzen, allerdings aus anderen Gründen.
Wissenschaftler in Sorge um Biodiversität
Die neuen Umweltvorgaben für die Landwirtschaft stellten „einen Rückschritt um 15 bis 30 Jahre dar“, sagt etwa Norbert Röder vom Braunschweiger Thünen-Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume. Weil Brachflächen wieder voll als Ackerland genutzt werden können, drohe nun ein „deutlicher Rückgang der Biodiversität“.
Ähnlich sieht es Christine Wieck, Professorin für Agrar- und Ernährungspolitik an der Universität Hohenheim. Allerdings prophezeit sie den Bauern nun auch höhere Einkommen, schlicht, weil sie mehr Land als früher bewirtschaften können.

Und die Bauern? Trotz objektiver Verbesserungen für die Landwirte sehe der Berufsstand die Erfolge durch die Lockerung der EU-Vorschriften noch nicht, sagt etwa Patrik Heizmann, der für den Freiburger Bauernverband BLHV Landwirte in EU-Angelegenheiten berät. Die Komplexität der Vorschriften sei eher noch größer geworden.
Hegau-Bauer Leichenauer kann das nur unterschreiben. „Wir wollen wieder Regeln, die eine praxisgerechte Landwirtschaft ermöglichen.“ Zum Umwelt- und Naturschutz müsse man die Bauern nicht treiben, sagt er. Wasser und Böden seien immerhin das Kapital, auf dem die Höfe sich gründeten. „Wieso sollten wir damit Schindluder treiben?“
6,4 Milliarden Euro für die deutschen Bauern – im Jahr
Kein Zweifel, auch nach den Zugeständnissen auf EU-Ebene bleibt das Verhältnis der Bauern zu Brüssel und Berlin zerrüttet. Und das, obwohl die Landwirte am Tropf der Nationalstaaten und der EU hängen. 2023 hat die EU nach Daten des Deutschen Bauernverbands (DBV) 58,3 Milliarden Euro für ihre Landwirte ausgegeben.
Die deutschen Bauern erhielten davon rund 6,4 Milliarden Euro. Und Bund und Länder legen auf diese Summe noch einmal Geld drauf. Im Durchschnitt werden etwa 50 Prozent der Hofeinkommen in Deutschland durch den Staat bezahlt.

Die Branche verdankt Brüssel also einiges. Seit Anfang der 1960er Jahre fließen EU-Agrargelder in Milliardenhöhe in die Landwirtschaft des Kontinents. Primäres Ziel war damals die Ankurbelung der Produktion für die teilweise immer noch hungerleidende Bevölkerung. Mit Garantiepreisen und Exportprämien dopte man damals die Nahrungsmittelerzeuger, die immer neue Produktionsrekorde einfuhren – bis es zu viel wurde.
Ab den 1980ern überschwemmten EU-Agrarprodukte die Märkte in den Entwicklungsländern. Und in der Union selbst bildeten sich die sprichwörtlichen Butterberge und Milchseen. Um die immer negativeren Auswirkungen der Förderpolitik in den Griff zu bekommen, stellte die EU das Fördersystem 1992 auf den Kopf.
Die Zeit hoher Garantiepreise für Weizen, Fleisch, Butter und Co. ging zu Ende. Die Bauern erhielten nun eine Förderung, die sich nur an ihren Flächen orientierte, nicht aber an der Produktion. Dieses System besteht bis heute fort, nur dass es seit einer erneuten Reform im Jahr 2013 um mehr Umweltauflagen ergänzt worden ist.
Gleiche Regeln für alle?
Seit 2015 ist der EU-Agrarmarkt zudem vollständig dereguliert. Die heimischen Bauern konkurrieren also direkt mit den Erzeugerpreisen ihrer Berufskollegen in den USA, Neuseeland, Brasilien, Kanada oder China. Aber auch innerhalb der europäischen Bauernschaft wird der Wind immer rauer.
In Deutschland moniert man, die heimische Branche leide unter ungleich härteren Produktionsbedingungen als in anderen Teilen Europas. Das betrifft etwa die Zulassung von Spritzmitteln, die Ausweisung von Schutzgebieten, Auflagen fürs Tierwohl oder den Mindestlohn. Alles sei hierzulande deutlich schärfer geregelt als im EU-Ausland, heißt es. Die Produktionskosten seien daher in Deutschland deutlich höher, heimische Landwirte im Nachteil.
Wettbewerbsverzerrungen in Europas Landwirtschaft
Bauer Leichenauer spricht von Wettbewerbsverzerrungen, die die deutschen Erzeuger an die Wand drückten. Der Aufgabe, zumindest innerhalb Europas für gleiche Produktionsbedingungen für alle Bauern zu sorgen, kommt die Politik seiner Meinung nach nicht nach. Insofern ist Europa für ihn trotz all des Geldes eine „große Enttäuschung“.

„Die Regeln zu ändern, war keine gute Idee“
Sebastian Lakner ist Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock. In seinem Blog Lakners Kommentare bewertet er regelmäßig die EU-Agrarpolitik.
Herr Lakner, monatelang haben Landwirte in ganz Euriopa gegen die EU-Agrarpolitik demonstrier. Der Groll ist immer noch groß. Warum eigentlich?
Unter welchen agrarpolitischen Bedingungen die Bauern in Deutschland ihr Land bewirtschaften können, bestimmen sie nicht selbst, sondern das hängt zu einem großen Teil von Entscheidungen ab, die in Brüssel und Straßburg getroffen werden. Die EU-Kommission hat unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen neuen Rahmen gesetzt und den Green Deal für die Landwirtschaft angeschoben.
Sie hat es aber versäumt, fachliche Kritikpunkte der Landwirtschaft aufzunehmen und auszuräumen. Deshalb ist das Regelwerk weiter umstritten. Die Kritik des Berufsstands an der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU ist allerdings zwiespältig, da durch die EU auch zirka sechs Milliarden Euro jedes Jahr in den Sektor fließen, die den Bauern direkt zugutekommen.
Die Bauernproteste der vergangenen Monate haben Wirkung gezeigt. Die Branchenstimmung scheint davon aber nicht sonderlich positiv beeinflusst worden zu sein. Warum?
Bei den Bauernprotesten der vergangenen Monate in ganz Europa wurden sehr grundsätzliche Probleme angesprochen, die man – wenn überhaupt – nur langfristig auflösen kann. Dazu gehört beispielsweise, dass die Lebensmittelkonzerne eine Marktmacht erlangt haben, die den Erzeugern schadet, weil sie Druck auf die Erzeugerpreise ausüben. Das aber lässt sich nur in juristisch gut begründeten Fällen einschränken.
Auch Bürokratie und Dokumentationspflichten kann man in einem Rechtsstaat nicht einfach per Handstreich abschaffen – hier ist jetzt Augenmaß gefragt.
Die EU-Kommission ist der Landwirtschaft entgegengekommen, indem sie bestehende Umweltstandards gesenkt hat, etwa beim Einsatz von Spritzmittel, Brachflächen und Fruchtfolgen. Ist das eine gute Idee?
Die Idee, den Ärger im Berufsstand durch Streichungen von existierenden Umweltauflagen zu besänftigen, ist problematisch, da sich die Umweltprobleme in der Landwirtschaft durch die Änderungen noch verschärfen werden. Sollten die Landwirte ihre gewonnenen Spielräume voll ausnutzen, könnte sich beispielsweise der Rückgang der Biodiversität auf den Flächen verschärfen. Insofern sind diese Regeländerungen keine kluge Idee.