Das Geschäftsmodell ist einfach, aber hochaktuell. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten und angesichts eines vielfach beklagten Fachkräftemangels vermittelt die Singener Firma Sentaris Arbeitskräfte an Unternehmen, die kurzfristig Verstärkung suchen.
Der Kniff dabei ist, dass Sentaris auf Arbeitssuchende zugreift, die längst nicht mehr arbeiten müssten: Frauen und Männer, die im Ruhestand sind, aber aus eigenem Antrieb noch beruflich was bewegen wollen.
Joachim Strate ist so eine gediente Arbeitskraft. Seit Jahren könnte der gebürtige Rheinländer seinen Ruhestand vollumfänglich genießen. Bereits im Alter von 55 Jahren hatte Strate seinen Vollzeitjob quittiert. Viele Jahre war er zuvor Geschäftsführer der Deutschland-Zentrale der Werbeagentur Ogilvy am Standort Frankfurt und später Leiter der Niederlassung Düsseldorf gewesen.
Bis zur Pensionierung mit 60 Jahren sei er nur noch reduziert als Berater tätig gewesen, sagt Strate. Dann hat er den lang gehegten Plan verwirklicht und ist nach Radolfzell an den Bodensee gezogen.
Eine Herausforderung gebraucht und gesucht
„Am See sitzen und die Schwäne füttern, ist aber keine Perspektive gewesen“, sagt er. Darum hat der rüstige Rentner weiter Projekte als freier Berater angenommen. Finanzielle Aspekte seien dafür nicht der Antrieb gewesen. „Mit dem was ich habe, komme ich klar“, sagt Strate. Er habe einfach die Herausforderung gesucht.
Von „Unruheständlern“ spricht Sentaris-Geschäftsführer Oliver Schubotz. Er meint dies nicht despektierlich, sondern benennt das Phänomen, dass nicht wenige Menschen, die in Rente sind, nicht ganz von der Arbeit ablassen wollen. Was gibt es Besseres, als qualifizierte, erfahrene Arbeitskräfte weiter für den Arbeitsmarkt zu sichern? Das müsse nicht in Vollzeit sein, sondern könne auch in reduzierten Zeitfenstern gewinnbringend sein, ist Schubotz überzeugt.

Sentaris bietet die technische Plattform, auf der Angebot und Nachfrage zusammengeführt werden. Die Idee für die Arbeitsvermittlung für Rentner hat Schubotz, der zuvor für Tech-Unternehmen tätig war, vor zwei Jahren umgesetzt. Gemeinsam mit Mitgesellschafter Michael Käßberger hat er die Vermittlungsplattform aufgebaut.
Bei herkömmlichen Job-Börsen fühlten sich Angebots- und Nachfrageseite häufig allein gelassen, meint Schubotz. Die Rolle von Sentaris gehen über das Angebot der technischen Plattform hinaus: Man trete für die Unternehmen und Arbeitssuchenden auch als Vertragspartner auf. Die Betriebe würden nicht unmittelbar mit den Senioren einen Arbeitsvertrag eingehen, sondern vielmehr mit Sentaris einen Dienstleistungsvertrag schließen.
Von der Verwaltung entlastet
Die Unternehmen bekämen eine Rechnung gestellt, sagt Schubotz. Die Ruheständler wiederum würden bei einer Vermittlung als freiberuflich Mitarbeitende unter Vertrag genommen. Sie können sich Arbeitsprojekte auswählen. Sentaris rechne ab und zahle das Honorar aus. Beide Seiten würden von organisatorischen Aufgaben entlastet, sagt Schubotz.
Rentner und Rentnerinnen, die eine weitere Betätigung suchen, können sich für eine Vermittlung registrieren. Während des Anmeldevorgangs auf der Internetseite www.sentaris.works, würden die Kompetenzen ermittelt. Seit die Plattform vor einem Jahr freigeschaltet wurde, hätten sich schon mehrere Hundert „Sentarier“ registriert, wie Schubotz die Projektsuchenden nennt.
Die Bandbreite reiche vom ehemaligen Geschäftsführer über Prozessprogrammierer bis hin zu Lageristen. „Wir sind offen für jeden, es kostet nichts“, sagt Schubotz. Nicht nur männliche Arbeitskräfte, auch Frauen seien an einer Weiterarbeit im Ruhestand interessiert.
Mindestens halbtägige Arbeitseinsätze
Grundvoraussetzung sei, dass die Bewerber bereit seien, sich für mindestens halbtägige Arbeitseinsätze buchen zu lassen. Die Unternehmen registrierten sich ebenso auf der Online-Plattform.
„Wir sind für alle Branchen und Tätigkeiten offen“, sagt der Sentaris-Chef. Auf der Plattform werden aktuell etwa SAP-Anwendungsberater, Fachplaner für technische Gebäudeausrüstungen oder auch Ausbildungsbetreuer im Fachbereich Elektronik gesucht. Auch Jobs im Home-Office seien möglich, sagt Schubotz.
Unternehmen schätzen die Flexibilität
Für Jacob Klinkenberg, geschäftsführender Mitgesellschafter der Solare Technik Klinkenberg GmbH, bietet das Sentaris-Modell einen wichtigen Aspekt: „Wir bewahren uns die Flexibilität beim Einsatz von Arbeitskräften“, bekräftigt er. Auch für die Photovoltaik-Branche sei der Markt aktuell schwierig.
Wegen der schwankenden Auftragslage müsse man kurzfristig reagieren können, sagt der Chef der in Radolfzell ansässigen Firma, die 25 festangestellte Beschäftigte zählt. Das Modell von Sentaris sei interessant. „Insbesondere weil wir dabei auf alte Hasen zugreifen können“, betont Klinkenberg.
So hat die Photovoltaik-Firma ihr Warenlager neu strukturiert. Hierfür eine Person zu gewinnen, die zuvor im Berufsleben etwa in einer großen Firma für die Lagerführung zuständig war und seine Erfahrung auf eine kleine Firma übertragen könne, wäre optimal, meint Klinkenberg. Dazu bedürfe es nicht einer Vollzeitkraft, vielmehr reiche es aus, wenn ein Mitarbeiter etwa ein Tag in der Woche weiter an den Prozessen feilt.
Projekt mit der Handwerkskammer Konstanz
Sentaris arbeitet derzeit auch mit der Handwerkskammer Konstanz an einem Mentoren-Programm, mit dem Zuwanderer bei der Suche von Jobs unterstützt werden sollen. Die aktiven Ruheständler können sich als Mentoren der Zuwanderer engagieren. Das Projekt sei im Aufbau, sagt Schubotz.
Rentner Strate, der sich vergangenes Jahr bei Sentaris als „arbeitssuchend“ registriert hat, wartet noch auf geeignete Projekte. Für ihn, der mittlerweile 71 Jahre alt ist, ist es eine weitere Gelegenheit, an Arbeitsprojekte mit den Schwerpunkten Marketing und Kommunikation zu gelangen. „Der Kopf ist noch hellwach, ich brauche dieses weitere Futter“, sagt Strate, der zudem auch ehrenamtlich engagiert ist.