Essen hat seine Unschuld verloren. Seit etwa zehn Jahren verändert sich unsere Esskultur hin zu einer optimierten Nahrung. Heute finden sich auf Tellern, in Kühlschränken und Vorratsräumen ganz andere Lebensmittel als noch zur Zeit unserer Eltern. Dabei bedeutet optimiert nicht gleich gesund und gesund nicht gleich klimafreundlich.
„Lebensmittel bedrohen die Menschen“
Doch das Klimabewusstsein spielt eine tragende Rolle beim Ernährungswandel. „Lebensmittel sind der stärkste Hebel zur Optimierung der menschlichen Gesundheit und der ökologischen Nachhaltigkeit auf der Erde“, heißt es bei der EAT Lancet Kommission, einem Zusammenschluss von 37 Wissenschaftlern aus 16 Ländern. „Lebensmittel bedrohen jedoch derzeit sowohl die Menschen als auch den Planeten.“

Die Klimakrise befeuert den fleischlosen Lebensstil. Fleischersatz ist nicht in aller, aber bereits in vieler Munde. 2022 produzierten die Unternehmen hierzulande im Vergleich zum Vorjahr 6,5 Prozent mehr Fleischersatzprodukte. Im Vergleich zu 2019 erhöhte sich die Produktion laut Statistischem Bundesamt sogar um fast 73 Prozent.
Exotisches kommt aus der Heimat
Es gibt Fleischalternativen aus Weizenproteinen, Soja, Lupinen, Pilzen, Jackfruit, Bohnen oder Erbsen. Die Entwicklung von Fleisch, das in-vitro im Bioreaktor gezüchtet wird, nahm in den USA seinen Anfang.
Nun aber hat erstmalig ein deutscher Hersteller die Zulassung für Wurstprodukte mit kultiviertem Fleisch bei der Europäischen Lebensmittelbehörde beantragt. An der Entwicklung ist das Heidelberger Unternehmen Cultivated B maßgeblich beteiligt.
In immer mehr Laboren experimentiert man mit zellbasiertem Fleisch. Das australische Food-Start-up Vow hat dafür sogar die DNA eines ausgestorbenen Wollmammuts mit der eines Elefanten gekreuzt. Ob es diese Mischung des Laborfleischs auf den Teller schafft, ist jedoch fraglich.
Auf die Entwicklung und das steigende Interesse der Konsumenten springt die Lebensmittelindustrie auf und zeigt sich äußerst flexibel in der Entwicklung neuer Produkte. Die Vielfalt an pflanzlichen Lebensmitteln wächst und erzwingt so ein Umdenken.
Entwicklung von Fischimitaten als Meilenstein
Als weiterer Meilenstein gilt die Entwicklung von Fischimitaten. Die veganen Varianten, ob vom Potsdamer Start-up Ordinary Seafood oder von Revo Foods aus Wien sind meist genauso reich an Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren wie echter Fisch.
Für Robin Simsa, Gründer von Revo Foods, ist das die Nahrung der Zukunft: „Es braucht sicher eine Zeit, bis sich Fischersatz etabliert hat. Aber wir sehen, dass das bei Milchalternativen schon gelungen ist.“ Simsas neueste Innovation ist ein Lachsfilet, das als Rohstoff Pilzmyzel nutzt – die Wurzelkörper der Pilze.

Für den Fischgeschmack und eine hohe Dosis Omega-3-Fettsäuren sorgt Algenöl. Die Filets werden im 3-D-Druck produziert. „Unseren Fisch gibt es mit wertvollen Inhaltsstoffen, dafür ohne Schwermetalle, Mikroplastik und Antibiotika“, sagt er. Ab Sommer soll dieser auch in deutschen Supermärkten zu kaufen sein.
Algen stehen in der Lebensmitteltechnologie hoch im Kurs. Mit einem Proteingehalt von 40 bis 60 Prozent können sie vielfältig verarbeitet werden. Sie werden nicht ohne Grund als Design-Food bezeichnet: anpassungsfähig und kostengünstig in der Kultivierung mit gleichzeitig hohen Wachstumsraten; darüber hinaus besitzen sie jede Menge gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe.
„Algen haben eine lange Vergangenheit. Die Zukunft aber ist absolut ausbaufähig“, sagt Anna Fricke vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau. Man schätzt, dass es mehr als 72.000 Arten gibt und nur ganz wenige sind bisher kultiviert und genutzt. „Es gibt ein hohes Potenzial und meine Vision ist, dass wir die Algen mehr und mehr in Lebensmitteln finden werden.“
Kreation von Ei-Alternativen als Durchbruch
Als Durchbruch zu sehen ist die Entwicklung von Ei-Alternativen. Schließlich finden sich Eibestandteile in einer Vielzahl von Lebensmitteln. Das Start-up Wundereggs hat ein hartgekochtes Ei aus Wasser, Mandeln, Cashews und Kokosnussmilch entwickelt und die Firma Neggst das weltweit erste pflanzliche Ei entwickelt, das aus Eiweiß, Eigelb und Schale besteht.
Hierfür gibt es einen enormen Absatzmarkt. Die Verfügbarkeit solcher Produkte ist für die Gastronomie wichtig, denn mit ihnen sind viele vegane Gerichte möglich. Schließlich müssen auch Köche den Zeitgeist bedienen. Im Vergleich zu 2013 mit 75 rein veganen Restaurants gibt es seit Januar 2024 bereits 390 vegane Gastronomiebetriebe in Deutschland.
88 Prozent der Köche erwarten, dass ihre Gäste in den nächsten zehn Jahren mehr zellbasierte Lebensmittel nachfragen werden. Doch es gibt Gegentrends.
Als Vegourmets bezeichnete Konsumenten setzen nicht auf vegane Ersatzprodukte, sondern auf natürliche Lebensmittel. Darauf reagieren viele Spitzenköche und verzichten auf Fleisch und Fisch. Gemüse wird so zum Star auf dem Teller.