Uli Fricker und dpa

Der Grund sind missglückte Geothermiebohrungen im September 2007. Seither hebt sich der Boden, Gebäude bekommen Risse, die gut zu sehen sind. Auch nach zehn Jahren ist das Problem nicht gelöst. Mit den Rissen, sagen die Betroffenen, werden Staufen und seine unter Denkmalschutz stehende Altstadt noch viele Jahre leben müssen. Nun soll verstärkt und in ersten Ansätzen saniert werden – wo das überhaupt möglich ist.

„Wir sind seit zehn Jahren im Krisenmodus. Es ist eine Katastrophe in Zeitlupe.“ Michael Benitz, der Bürgermeister der 8100 Einwohner zählenden Gemeinde am Rande des Schwarzwalds sitzt im Zentrum des Geschehens. Risse durchziehen sein Rathaus – auch gut sichtbar an der Außenfassade. Ein überdimensionales rotes Transparent hängt daran. „Staufen darf nicht zerbrechen“, steht darauf. 

Ein aufgemaltes rotes Transparent mit der Aufschrift " Staufen darf nicht zerbrechen" hängt am 16.08.2017 in Staufen (Baden-Württemberg) ...
Ein aufgemaltes rotes Transparent mit der Aufschrift " Staufen darf nicht zerbrechen" hängt am 16.08.2017 in Staufen (Baden-Württemberg) am Rathaus. Vor zehn Jahren hat ein missglücktes Geothermie-Projekt für zahlreiche Risse in Gebäuden gesorgt. Die Gemeinde leidet immer noch an den Folgen. | Bild: Patrick Seeger

Im Hof direkt hinter dem Gebäude wurde im September vor zehn Jahren nach Erdwärme gebohrt. Die Geothermie galt damals als ein Hoffnungsträger unter den umweltfreundlichen Energien. Eine neue Heizung für das Rathaus sollte mit ihr betrieben werden. Doch die Bohrsonden trafen im Untergrund auf eine Erdschicht, die Staufen bis heute keine Ruhe lässt. „In Verbindung mit Grundwasser verwandelt sich diese Erdschicht in Gips, die Schichten quellen auf und drücken die Erde nach oben. Der Untergrund hebt und verschiebt sich“, erklärt der Bürgermeister, der sich am 24. September erneut zur Wahl stellt. Seine Bilanz nach zehn Jahren: „An manchen Stellen hat sich Staufen 62 Zentimeter nach oben und seitlich bis zu 45 Zentimeter bewegt.“ Die Statik der Häuser macht das nicht mit. „Es gibt Häuser, die werden auseinandergezogen und förmlich zerrissen“, sagt Benitz. Die Folge seien Risse an und in den Gebäuden sowie die Gefahr, dass Häuser einstürzten.

Mehr als 270 Gebäude sind den Angaben zufolge beschädigt, zwei Häuser mussten bereits abgerissen werden. Der Schaden wird auf mehr als 50 Millionen Euro geschätzt. Genau beziffern lässt er sich nicht. Denn es werden immer wieder neue Schäden gemeldet – auch wenn sich die Zahl der betroffenen Häuser zuletzt nicht mehr erhöht hat. 

Viele Bürger spenden für die Betroffenen, deren Häuser durch die Risse schwer beschädigt wurden. Die Post gab diese Sondermarke heraus. ...
Viele Bürger spenden für die Betroffenen, deren Häuser durch die Risse schwer beschädigt wurden. Die Post gab diese Sondermarke heraus. 42 von 100 Cent gehen nach Staufen. Bild: Stadt Staufen | Bild: Stadt Staufen

An eine grundlegende Sanierung und Reparatur ist auch in diesem Jahr nicht zu denken. Erst wenn sich die Erde definitiv nicht mehr bewegt, kann die Wiederherstellung der Häuser im Innenstadtbereich angegangen werden. „Das ist noch nicht der Fall“, berichtet der Chef des Stadtbauamts von Staufen, Michael Kübler, im Gespräch mit dieser Zeitung. Das Wachstum der Risse hat sich zwar verringert, ist aber noch nicht zum Erliegen gekommen. Ging die Stadt anfangs noch zentimeterweise pro Monat in die Höhe, waren es zuletzt 1,8 Millimeter monatlich.

Noch jemand war stark verunsichert durch die Ereignisse vor zehn Jahren: die bis dahin aufstrebende Geothermiebranche. Die Brüche in Staufen trugen der Branche einen dauernden Imageschaden ein, bestätigt der Bundesverband Geothermie mit Sitz in Berlin. Geothermie bleibe, wenn richtig gebohrt werde, eine sinnvolle Energiequelle. Immerhin gab es einen außergerichtlichen Vergleich mit den Bohrfirmen. Die Stadt hat, zehn Jahre nach den Bohrungen, von den Firmen 1,175 Millionen Euro erhalten. Sie verzichtet im Gegenzug auf weitere Forderungen.

Ein Trostpflaster: Nach wie vor wird die Faust-Stadt, wie sich Staufen auch nennt, von vielen Touristen besucht. Die geschundenen und zernarbten 270 Hauswände halten Besucher nicht von einem Besuch in der Gemeinde ab.

Auch andere Orte sind betroffen

Staufen (im Bild das Rathaus) ist mit dem Problem nicht alleine, erklärt das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau. Auch in Böblingen und in Rudersberg (Rems-Murr-Kreis) gingen Geothermiebohrungen schief und führten zu größeren Schäden an zahlreichen Gebäuden. Im nahen Elsass, in dem 450-Einwohner-Dorf Lochwiller bei Straßburg, sieht es ähnlich aus. Dort hebt sich die Erde. Risse im Boden, im Asphalt und an vielen Gebäuden sind die Folge. Und in Basel kam es durch Geothermie zu Erdbeben. (dpa)