Herr Binici und Herr Ernst, Sie sind beide für die Personalgewinnung bei der Polizei verantwortlich. Wie gehen Sie bei der Auswahl der Polizisten vor?

Ernst: Beim Auswahltest in Böblingen müssen Bewerber zwei Sprach- und einen Intelligenztest absolvieren. Dann folgt der sportliche Teil und dann das multimodale Interview.

Wird beim Interview die charakterliche Eignung geprüft?

Binici: Ja, aber es beginnt schon bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen. Hier müssen Bewerber angeben, ob sie schon einmal in einem Ermittlungsverfahren verdächtigt wurden, ob sie für die freiheitlich demokratische Grundordnung einstehen. Darauf verlassen wir uns aber nicht blind. Wir prüfen bei jedem Bewerber natürlich auch selbst noch einmal, ob er oder sie Vorstrafen hat.

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Welche Strafe reicht aus, um bei der Polizei nicht angenommen zu werden?

Ernst: Wir prüfen das in jedem Einzelfall. Das kann man nicht verallgemeinern.

Können Sie dann bitte ein Beispiel nennen?

Binici: Jemand, der einen Ladendiebstahl im Jugendalter begangen hat, kann für den Polizeidienst trotzdem geeignet sein, wenn es ein Jugendvergehen war und nicht noch einmal vorkam. Wer kurz vor der Bewerbung eine Straftat begeht, oder Verdächtiger in einem Ermittlungsverfahren ist, wird nicht angenommen.

Hier werden Fakten geprüft. Aber was ist, wenn jemand im Gespräch unangenehm auffällt und der Interviewer bei dieser Person kein gutes Bauchgefühl hat.

Ernst: Das reicht nicht, um jemanden abzulehnen. Die Ablehnung muss rechtlich standhalten und Zweifel muss man belegen. Denn ein abgelehnter Bewerber kann dagegen klagen. Deshalb holen wir bei solchen Entscheidungen, die nicht eindeutig sind, unsere Juristen mit ins Boot. Sie prüfen, ob die Ablehnung rechtlich sauber ist.

Binici: In der Praxis habe ich es bisher noch nie erlebt, dass ein Interviewer ein schlechtes Gefühl hat, obwohl die Akte sauber ist. Es war bisher immer so, dass dann auch irgendetwas in der Vergangenheit nicht stimmte.

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Woran erkennen Sie ganz konkret, dass jemand charakterlich für den Polizeidienst nicht geeignet ist?

Binici: Wenn jemand in der Vergangenheit Straftaten begangen hat oder respektlos zu Polizisten gewesen ist, ist das ein Grund abzulehnen. Das ist aber nicht alles. Wir unterziehen jeden Bewerber einer Zuverlässigkeitsüberprüfung. Wenn sich herausstellt, dass jemand eine extremistsiche Haltung hat, sind auch das Zweifel an der charakterlichen Eignung.

Welche Rolle spielen Tattoos bei der Beurteilung?

Binici: Wenn uns im Einstellungsverfahren gewaltverherrlichende oder sexistische Tattoos auffallen, ist das ein Ausschlussgrund. Das bleibt aber nicht dem Zufall überlassen. Denn bei der ärztlichen Untersuchung sieht der Arzt die ganze Person. Er würde uns das mitteilen. Wir bewerten es dann.

Die Außenaufnahme zeigt die Eingangstafel der Polizeihochschule.
Die Außenaufnahme zeigt die Eingangstafel der Polizeihochschule. | Bild: Patrick Seeger

Und was ist, wenn jemand Mitglied in einer rechten Gruppierung ist?

Binici: Wir haben einen Verfassungstreue-Bogen. Daran orientieren wir uns. Darin sind Gruppierungen, die vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft sind. Sobald jemand hier Mitglied ist, ist der Bewerber nicht geeignet. Bei „Blood and Honour“ oder „Der III. Weg“ beispielsweise ist das eindeutig.

Was ist mit Sympathisanten der NPD?

Binici: Auch die NPD steht auf dieser Liste.

Und was ist mit der AfD?

Sympathisanten der AfD werden, wenn sie alle anderen Tests bestehen, zugelassen. Wichtig ist für uns das Kriterium Verfassungstreue. Sollte sich herausstellen, dass der AfD-Sympathisant unsere freiheitlich demokratische Grundordnung mit Füßen tritt, wird er natürlich nicht eingestellt. Wir wägen jeden Einzelfall ab.

Ein Luftbild der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen.
Ein Luftbild der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen. | Bild: Hans-Juergen Goetz

Das stelle ich mir sehr schwierig vor. Gibt es denn Vorgaben des Innenministeriums, die klare Grenzen ziehen?

Ernst: Wir versuchen im Team mit erfahrenen Kollegen, Psychologen, Wissenschaftlern und Juristen die richtige Entscheidung zu treffen. Wir behelfen uns mit ähnlichen Fällen und ähnlichen Entscheidungen, die wir in der Vergangenheit getroffen haben. Wenn wir in einem ähnlichen Fall negativ entschieden haben, dann machen wir das auch in diesem Fall. Denn da wissen wir im Zweifel, dass dieser Fall auch juristisch standhhält. Jede Entscheidung muss rechtssicher sein.

Wie gehen Sie damit um, wenn Restzweifel bleiben, Sie aber dazu gezwungen sind, den Bewerber zuzulassen?

Binici: Wir haben klare Messparameter mit denen wir charakterlich ungeeignete Bewerber ablehnen können. Aber: Wir können an diesem Testtag nicht in den Menschen rein schauen.

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Gerade auf Social-Media-Kanälen werden rechte Gesinnungen offensichtlich. Schauen Sie sich die Profile der Bewerber an?

Binici: Nur wenn es einen Anlass dazu gibt. Wenn beispielsweise jemand auf uns zukommt und uns auf Verfehlungen aufmerksam macht. Bei 6000 Bewerbern im Jahr könnten wir es personell gar nicht leisten jeden Bewerber zu durchleuchten. Und auf geschlossene Gruppen und Chats haben wir sowieso keine Zugriffsrechte.

Sie haben es bereits angesprochen: Das Auswahlverfahren bleibt eine Momentaufnahme. Haben Sie Kontrollmechanismen, die nach Einstellung die Bewerber kontrollieren, ob sich jemand in eine negative Richtung verändert?

Ernst: Wir haben natürlich die Möglichkeit Polizei-Auszubildende auch nach Zulassung zu suspendieren. Wie im Fall vor einigen Wochen, als sieben Bewerber gehen mussten. Wir wollen uns aber auch nicht in eine Misstrauensorganisation entwickeln. Im Übrigen haben die Lehrer und Polizisten während der Ausbildung ein sehr feines Gespür dafür, wer sich womöglich negativ entwickelt. Unser Credo: Hinschauen, Wahrnehmen, Reagieren. Bei Bedarf wird der- oder diejenige dann gemeldet und geprüft. Und dieses interne Kontrollsystem, das auf Vertrauen basiert, hat im aktuellen Fall auch super funktioniert.