„Die Hemmschwelle zu Aggressionen in der Notaufnahme im Krankenhaus in Waldshut und – bis vor der Schließung – auch in Bad Säckingen ist in den vergangenen Jahren immer niedriger geworden, und so haben die Übergriffe stark zugenommen“, sagt Massimiliano Iannuzzelli, Belegungskoordinator und Deeskalationsmanager am Klinikum Hochrhein in Waldshut. Er schätzt, dass in den vergangenen zehn Jahren die Übergriffe auf Pflegekräfte und Ärzte um 40 Prozent zugenommen haben.
Mehr Arbeit und weniger Ressourcen
Als Gründe für das steigende Aggressionspotenzial nennt Massimiliano Iannuzzelli unter anderem die Wartezeit. „Es gibt weniger Ressourcen und mehr Arbeit für uns Angestellte. Patienten reagieren darauf mit Unverständnis. Jeder sieht sich selbst als Notfall und will sofort behandelt werden. Generell sind Menschen heute daran gewöhnt beziehungsweise sogar verwöhnt, dass alles schnell geht und man nicht warten muss.“
Ursachen für Eskalationen
Aber nicht nur Ungeduld und fehlender Respekt seien Ursachen für Eskalationen, sondern auch Krankheiten wie Demenz. „Wer unter Demenz leidet, weist oft ein aggressives Verhalten auf. Auch bei Patienten, die unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehen, kommt es eher zu Aggressionen„, sagt der Deeskalatationsmanager. Und weil diese Erkrankungen in den vergangenen Jahren zugenommen hätten, merke man das auch am Klinikum Hochrhein.

Übergriffe auf Kollegen
Massimiliano Iannuzzelli, der bis vor rund zwei Jahren noch im Bad Säckinger Spital gearbeitet hat und auf Deeskalationen spezialisiert ist, kann sich noch an einen Fall erinnern, als eine Kollegin nachts in der Notaufnahme sexuell von zwei Männern belästigt wurde. „Glücklicherweise kam ein anderer Kollege gerade aus der Pause, als das passierte und die Männer haben sofort die Flucht ergriffen. Andernfalls will ich nicht wissen, was dann passiert wäre.“ Aufgrund dieses Vorfalls wurde dann in Bad Säckingen eine Gegensprechanlage eingerichtet, die es auch in der Waldshuter Notaufnahme gibt. „So können die Patienten mit dem Personal zunächst durch eine geschlossene Tür kommunizieren, was für mehr Sicherheit sorgt.“
Kratzer, Bisswunden und Gehirnerschütterung
Iannuzzelli selbst wurde in seinen 29 Jahren als Krankenpfleger und Leiter der Notaufnahme mehrere Male verletzt: Kratzer, Bisswunden, Quetschungen und Prellungen. Sogar eine Gehirnerschütterung habe er erlitten. Damals habe ihn ein Patient, der auf einer Trage lag, plötzlich von hinten einen Faustschlag in den Nacken gegeben.
Doch es gebe nicht nur körperliche Gewalt: „Auch psychischen Übergriffe wie Drohungen kommen vor und sind nicht zu unterschätzen.“
Patienten brauchen das Gefühl, verstanden zu werden
Nicht immer, aber in 90 Prozent der Fälle, lasse sich eine angespannte Situation verbal lösen, weiß Massimiliano Iannuzzelli, der 2016/17 eine spezielle Ausbildung zum Deeskalationstrainer absolviert hat und mittlerweile auch seine Kollegen in diesem Bereich schult und ihnen Tipps für das richtige Verhalten zur Hand gibt. Wichtig sei es, in solchen Situationen zunächst zu versuchen, die Person zu verstehen und auf sie und ihre Bedürfnisse einzugehen: „Man muss die Patienten spiegeln.“
„Wenn sich der Patient dennoch aggressiv verhält, muss zunächst einmal ein Sicherheitsabstand eingehalten werden, damit niemandem etwas passiert. Deshalb muss auch der Raum so gestaltet sein, dass nichts dort gegen einen verwendet werden kann. Dazu gehört beispielsweise auch das Stethoskop oder Stifte, mit denen Patienten die Ärzte oder Pfleger verletzen können. Doch nicht immer können Patienten beruhigt werden. „Wenn alles nichts hilft, wird die Polizei verständigt“, sagt Iannuzzelli.
Rund 45 Mal musste Polizei 2019 ausrücken
Die Polizei ist im vergangenen Jahr (8. Januar bis 31. Dezember 2019) laut Pressesprecher Mathias Albicker 45 Mal ausgerückt, weil das Klinikum Hochrhein um Hilfe bat. In den meisten Fällen seien die Aggressoren Drogen und Alkohol gewesen. Aber auch Patienten, die psychische Auffälligkeiten zeigten. In zehn Fällen wurde Betroffene gleich in polizeilichen Gewahrsam genommen, informiert Albicker.
So reagiert die Polizei
Eine notwendige sofortige medizinische Versorgung muss immer gewährleistet bleiben, sagt Polizei-Pressesprecher Mathias Albicker. „Hier erfolgen dann die Maßnahmen in enger Abstimmung mit den behandelnden Arzt. In allen anderen Fällen kann das Klinikpersonal vom Hausrecht Gebrauch machen und die Aggressoren aus der Klinik verweisen“, so Albicker. „Die Polizei unterstützt dabei und prüft je nach Einzelfall weitere polizeiliche Maßnahmen, beispielsweise eine Gewahrsamnahme. Werden strafrechtlich relevante Sachverhalte bekannt, leitete die Polizei die entsprechenden Ermittlungsverfahren ein. In den allermeisten Fällen genügte es, wenn die Polizei mit dem Patienten sprach und/oder diesen aus der Klinik begleitete.“

Eskalationen vermehrt an Fasnacht, Silvester und bei Großveranstaltungen
Verstärkt kommt es bei großen Veranstaltungen wie Fasnacht, Silvester oder auch Volksfesten zu erhöhten Übergriffe. Meist stehen die Patienten dann unter Alkohol- oder Drogeneinfluss, was die Hemmschwelle für Übergriffe senke. „Wir schauen, dass an solchen Tagen mehr Personal anwesend ist. Wenn es hart auf hart kommt, rufen wir eben auch die Polizei, die gerade in Waldshut in nur wenigen Minuten vor Ort ist und uns immer helfend zur Seite steht“, informiert Iannuzzelli.