Reichsbürger, die auf Polizisten die Waffe richten; häusliche Gewalt in Familien, die zur „Privatsache“ erklärt wird; Großclans und Rockerbanden, die nur ihrem „Ehrenkodex“ und eigenen Gesetzen gehorchen oder politische Extremisten und Hooligans, die den Staat verhöhnen – dagegen muss Baden-Württemberg härter durchgreifen, wenn das Land verhindern will, dass Paralleljustiz zunehmend das staatliche Gewaltmonopol unterwandert.
Härteres Durchgreifen gefordert
Das ist die Botschaft der Studie, die der Erlanger Wissenschaftler Mathias Rohe von der Universität Erlangen-Nürnberg im Auftrag des baden-württembergischen Justizministeriums und der Landtagsfraktionen angefertigt hat. Gestern stellte Rohe die Studie gemeinsam mit Justizminister Guido Wolf (CDU) in Stuttgart vor.
Von Berliner Verhältnissen, wo in manchen Bezirken kriminelle arabische Großclans mit Faustrecht herrschen und die Justiz an der Nase herumführen, ist man im Südwesten der Republik zwar weit entfernt. So richtig Entwarnung mag Wolf für Baden-Württemberg dennoch nicht geben. „Wir haben keine verfestigte und flächendeckende Paralleljustiz im Land“, sagt Wolf, die Situation sei dank günstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und staatlicher Maßnahmen überschaubar. Das sei zwar ein erfreulicher Befund, aber Wolf warnte davor, sich darauf auszuruhen. „Das Thema Paralleljustiz treibt die Menschen zu Recht um, denn Paralleljustiz bedeutet Willkür statt Rechtsstaat.“
Rechtsstaatliche Mittel ausreizen
Rohe selbst wird deutlicher. „Ja, es gibt auch in Baden-Württemberg Probleme, aber man kann sie in den Griff bekommen“, fasst der Wissenschaftler seine Studie zusammen. Diese kann zwar nicht mit validen Zahlen aufwarten – „das ist ein Dunkelfeld“, so Rohe -, aber zeigt die möglichen Problemfelder auf und benennt Handlungsmöglichkeiten für die Politik. Die Wichtigsten dabei: Repression im Vorfeld – also das maximal Ausreizen staatlicher Gewalt schon bei Ansätzen – und Prävention durch gezielte Bewusstseinsbildung für den Rechtsstaat. Letzteres gilt vor allem für Migranten und Angehörige von Herkunftskulturen, in denen andere Sozialnormen herrschen, etwa was die Rechte von Frauen oder Mädchen betrifft.
Hart und schnell bestrafen
„Paralleljustiz fällt nicht vom Himmel, sie entsteht sukzessive“, sagt Rohe. „Deshalb darf man das Vorfeld nicht außer Acht lassen.“ Das Vorfeld, das sind Gruppen, die den aggressiv öffentlichen Raum für sich in Anspruch nehmen, das sind Hochzeitskorsos, bei denen herumgeballert wird und Autobahnen blockiert werden, das sind Hot Spots von Drogen- oder Rockerszenen, die sich vor Ort etablieren. „Da muss man dann halt mal mit dem SEK rein – und nicht nur einmal, sondern öfter“, empfiehlt Rohe. „Straftaten müssen mit aller Härte bestraft werden, und zwar schnell.“
Respekt vor Rechtsstaat gefährdet
Seien Studie führt auf, wohin andernfalls der Weg führt: „Wo sich der Staat durch übertriebene Sparmaßnahmen aus dem öffentlichen Raum zurückzieht oder kleinere Rechtsverstöße systematisch ignoriert, geht der Respekt vor staatlichen Behörden und dem staatlichen Gewaltmonopol verloren“, heißt es da. Die Folge: „Soziale Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft im Schutz größerer Gruppen machen sich breit – ein Problem der Gesamtgesellschaft von Köln bis Chemnitz.“
Mehr Polizisten, Richter und Staatsanwälte
Wo die Polizei niederschwellig überall präsent sein soll und die Justiz rasch urteilt, braucht es aber vor allem mehr Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter. Eine Erkenntnis, die Justizminister Wolf auch in die laufenden Etatgespräche mit der Finanzministerin nimmt. Aber nicht nur er allein: „Paralleljustiz zu unterbinden, ist eine Querschnittsaufgabe von Justiz-, Innen- und Sozialministerium“, sagt Wolf. Und auch Rohe sagt: „Wir brauchen eine Fülle von Maßnahmen.“
Was bedeutet Paralleljustiz?
- Ehrenmorde und Blutrache: Als Paralleljustiz werden Formen der Konfliktlösung bezeichnet, die gegen rechtsstaatliche Regeln verstoßen. In Baden-Württemberg am häufigsten verbreitet ist Paralleljustiz in Rockergruppierungen. Bei Auseinandersetzungen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Angehörige verfeindeter Gruppierungen teils schwer verletzt. Auch im Bereich der organisierten Kriminalität bestimmter
ethnischer Gruppen wie Russen (Russenmafia), Italiener (Mafia), gibt es Paralleljustiz. Beispiele für kulturell geprägte Paralleljustiz sind etwa sogenannte „Ehrenmorde“ oder „Blutrache“. Auch häusliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen in patriarchalen Familienstrukturen zählt dazu. - Belastbare Fallzahlen für den Südwesten gibt es nicht. Auch die vom Erlanger Wissenschaftler Matthias Rohe vorgelegte Studie liefert keine Zahlen, sondern analysiert Entstehungsfelder und gibt Empfehlungen. (uba)