Jana Messmer

6.30 Uhr morgens. Wir stapfen auf einem matschigen Feldweg zu dem riesigen Hühnerstall. Der Himmel ist noch dunkel, nur im Innern des ländlich gelegenen Stalls brennt Licht. „Mist“, ärgert sich Carmen Martinovic, „ich habe doch gesagt, dass das Licht aus bleiben soll“. Die Vermittlerin von „Rettet das Huhn“ erklärt, für die Tiere sei die Ausstallung im Dunkeln mit weniger Stress verbunden. Sie geht in den kleinen Vorraum und dreht das Licht im Stall aus. Sie kennt sich aus: Die ersten 270 Hühner rettete der Verein bereits Ende Oktober aus diesem Stall. Damals vermittelte Martinovic auch Red, Hot, Chilli und Pepper. Über die vier Hennen, die seither bei einer Familie in Friedrichshafen leben, berichtete der SÜDKURIER im November.

Stall mit Hühnern in Bodenhaltung, Raum Freiburg
Stall mit Hühnern in Bodenhaltung, Raum Freiburg | Bild: Jana Messmer

Damit genügend Abnehmer für die insgesamt 500 Hühner gefunden werden konnten, wurde die Ausstallung auf mehrere Termine aufgeteilt. Heute sollen die letzten 200 Hühner aus dem Stall geholt werden. Es ist ein Bodenhaltungsbetrieb im Raum Freiburg. Der Name und Standort des Betriebs darf nicht genannt werden, zu groß sei die Angst des Bauern vor Kritik und Tierschutzaktivisten, glaubt Martinovic. Trotzdem gab der Besitzer dem Verein die Erlaubnis, die Ausstallung vorzunehmen, womit er den etwa zwölf bis 15 Monate alten Tieren ein Ende als Brühwürfel oder Tierfutter erspart.

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„Die Ausstallung, der Transport und die Schlachtung sind für den Bauern auch mit Kosten verbunden. Bei 3 bis 4 Cent Schlachtpreis liegen die Kosten für Organisation und Personal oft höher als der finale Gewinn“, erklärt Martinovic die Entscheidung des Bauern. Dennoch seien die meisten Landwirte auch am Wohl der Tiere interessiert und froh, wenn das Leben der Tiere dank „Rettet das Huhn“ verschont bleibe.

Selbst wenn sie am Wohl der Tiere interessiert seien: Für viele Bauern rentierten sich bessere Haltungsbedingungnen finanziell nicht, so Martinovic. Der Kunde bestimmt, was der Produzent liefert. Und wenn Eier aus Bodenhaltung gekauft werden, liefern die Produzenten diese Eier. Wie die Tiere dann gehalten werden (müssen), damit der Bauer noch seinen Schnitt macht, wissen die meisten Kunden nicht.

Eier müssen in der EU mit einem Code bedruckt sein. Die erste Zahl steht für die Haltung der Tiere. 3 steht für Eier aus Käfighaltung, 2 ...
Eier müssen in der EU mit einem Code bedruckt sein. Die erste Zahl steht für die Haltung der Tiere. 3 steht für Eier aus Käfighaltung, 2 für Bodenhaltung, 1 für Freilandhaltung und 0 für ökologisch erzeugte Eier. | Bild: Jens Büttner

Mittlerweile sind alle Helfer am Stall angekommen und versammeln sich hinter einem kleinen Anhänger. In diesem sollen später die Hühner abtransportiert werden. Die meisten der freiwilligen Helfer waren schon mehrmals dabei und begrüßen sich wie alte Bekannte. Zum Schutz vor Dreck und Keimen legen sie blaue Schutzanzüge, Schuhüberzieher und Atemschutzmasken an.

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Im Stall, der eher wie ein maroder Holzschuppen aussieht, dringt durch die kleinen Fenster noch immer ein leichter Lichtschimmer nach außen. Der Vorraum ist hell erleuchtet, nur im Stall selbst ist es jetzt dunkel und die Helfer gehen, mit Stirnlampen und Käfigen ausgerüstet, hinein.

Helfer achten auf jedes Tier Video: Jana Messmer

Ein übler Geruch schlägt uns entgegen: Ein Mischung aus Mist, Tieren und altem Gebäude. Im Licht der Lampen fliegen Staubpartikel durch die Luft. Die blau eingepackten Helfer stehen in einer zentimeterdicken Schicht Hühnerkot und Dreck. Unzählige Hühner sitzen oben auf den Stangen oder staksen zwischen den Legenestern hin und her. Auf dem Boden, zwischen den Holzlatten und in den Nestern liegen leblose Hühnerkörper. Einige sind nur noch als Haufen aus Knochen und Federn zu erkennen.

Vor einem der Legenester zeigt mir eine Freiwillige ein Hühnerskelett: Wirbelsäule und Schnabel sind deutlich zu erkennen.

Knochen und alte Überreste toter Tiere liegen in dem Stall herum. Nicole fand ein Hühnerskelett auf dem Boden.
Knochen und alte Überreste toter Tiere liegen in dem Stall herum. Nicole fand ein Hühnerskelett auf dem Boden. | Bild: Jana Messmer

Eine tote Ratte hängt mit verdrehtem Körper im Draht an der Decke. Mitten im Stall, umgeben von Hühnern, liegt eine weitere Hühnerleiche.

In der Decke des Stalls steckt ein totes Nagetier fest
In der Decke des Stalls steckt ein totes Nagetier fest | Bild: Jana Messmer

Carmen Martinovic erklärt, die Tiere seien oft überzüchtet und sterben früh. Die 44-Jährige ist bestürzt über das Schicksal der Tiere. Doch wenn sie mit ihren Handschuhen im Stall steht, weiß sie: „Jetzt geht es ans Hühner-Retten. Und dann funktioniert man einfach.“

Helfer bei der Rettung im Stall Video: Jana Messmer

Die Helfer arbeiten routiniert, bilden Ketten. Einige fangen die Hühner oben bei den Legenestern ein, um sie dann den Helfern unten zu übergeben. Dort kontrollieren sie, ob die Tiere verletzt sind und sortieren die „Pflegefälle“ in gesonderte Kisten ein.

Zwei Helfer tragen eine Kiste mit 10 Hühnern aus dem Stall
Zwei Helfer tragen eine Kiste mit 10 Hühnern aus dem Stall | Bild: Jana Messmer

Es dauert nicht lange bis ein konstantes Gackern die Arbeit der Helfer begleitet. Immer wieder ertönt ein verängstigtes Kreischen, wenn ein besonders aktives Tier gefangen und in einen der Käfige gesetzt wird. Viele der Tiere leiden unter Schmerzen. Bei einigen entdecken die Helfer Abszesse, meist an den Füßen oder am Bauch. In solchen Fällen trägt Carmen Martinovic Zugsalbe auf den Abszess auf.

Vorsichtig tragen Helfer dunkle Zugsalbe auf einen Abzess an der Kralle eines Huhns auf
Vorsichtig tragen Helfer dunkle Zugsalbe auf einen Abzess an der Kralle eines Huhns auf | Bild: Jana Messmer

So soll der Heilungsprozess beschleunigt werden. Nach etwa zwei Stunden sind schließlich alle Tiere verarztet, in Kisten gepackt und auf dem Weg in ihr neues Zuhause.

Helferin Kim ist die Rettung der Tiere sehr wichtig. Bevor sie eigene Hühner aufnehmen kann, muss sie allerdings erst noch ihren ...
Helferin Kim ist die Rettung der Tiere sehr wichtig. Bevor sie eigene Hühner aufnehmen kann, muss sie allerdings erst noch ihren Vermieter überzeugen. | Bild: Jana Messmer

Kim Hausmann ist um 3 Uhr aufgestanden und eine Stunde später losgefahren. Für die Rettung der Hühner opfert die 27-Jährige gerne ihren Schlaf. Leider müsse sie selbst erst noch ihren Vermieter überzeugen, bevor sie selbst Tiere aufnehmen könne, erzählt die junge Frau mit den rot-gelockten Haaren. Anders verhält sich das bei Nicole Herrmann: Die Rentnerin aus dem Kreis Heilbronn hat bereits sechs Hühner von „Rettet das Huhn“ übernommen.

Nicole trägt ein Huhn auf dem Arm. Die Rentnerin hat drei Stunden Fahrt auf sich genommen, um den Verein bei der Ausstallung zu ...
Nicole trägt ein Huhn auf dem Arm. Die Rentnerin hat drei Stunden Fahrt auf sich genommen, um den Verein bei der Ausstallung zu unterstützen. | Bild: Jana Messmer

Mit vier Eseln, fünf blinden Katzen und 32 Vögeln hat sie eine ganze Schar Tiere zuhause. Da ihr Mann sie bei der Pflege der Tiere unterstützt, konnte sie trotz dreistündiger Autofahrt heute dabei sein. Es ist die zweite Ausstallung, an der sie teilnimmt. Für Ellen Stolzenbach ist es bereits die dritte Ausstallung. Die 18-Jährige ist im Oktober auf den Verein aufmerksam geworden und seither mit Begeisterung dabei.

Ich begleite Carmen Martinovic mit etwa 60 Tieren zum ersten der beiden Übergabeorte. Die neuen Besitzer warten bereits. Einer von ihnen ist Phillipp Umlauf.

Hühner im neuen Stall bei Phillipp Umlauf (16) auf dem Hof seiner Familie in Frickingen
Hühner im neuen Stall bei Phillipp Umlauf (16) auf dem Hof seiner Familie in Frickingen | Bild: Jana Messmer

Die Eltern des 16-Jährigen besitzen eine kleine Bio-Landwirtschaft in Frickingen. Neben Fußball und Musikverein zählt der Elftklässler auch die Versorgung der etwa 30 Hühner des elterlichen Hofs zu seinen Hobbys. Er habe vor einigen Wochen den Artikel über Red, Hot,Chilli und Pepper gelesen und sich spontan dazu entschlossen, selbst einige Hennen bei sich aufzunehmen, erzählt er. Heute holt er zehn Hennen und einen Hahn am Übergabeort bei Carmen Martinovic ab.

In ihrem neuen Stall haben die Tiere das erste Mal Stroh unter den Füßen und scharren und picken sofort begeistert drauf los. Das Außengehege ist weitläufig, aber auch im Stall haben die Tiere ausreichend Platz. Und bei Phillipp Umlauf landen die Tiere nicht beim Schlachter oder im Kochtopf.

Bild 10: Wie Tierschutzaktivisten Hunderte junger Legehennen vor dem Schlachter bewahren
Bild: Jana Messmer

Denn für den Schüler ist klar: „Wir töten unsere Hühner nicht. Das bringt hier niemand übers Herz.“

So schön haben es die Tiere bei Phillipp zuhause Video: Jana Messmer

Ein Verein rettet Hühner

  • Anliegen: Der Verein „Rettet das Huhn“ übernimmt „ausgediente“ Legehennen aus Boden- oder Freilandhaltung von kooperierenden Betrieben, wenn sie zum Schlachter gebracht werden sollen. Nach Angaben des Vereins werden jährlich 51 Millionen Hennen in Deutschland wegen nachlassender Produktivität getötet und durch neue Tiere ersetzt.
  • Vorgehen: Der Verein stallt nur so viele Hennen aus, wie Aufnahmestellen bereit stehen. Abnehmer sollten mindestens drei und maximal 15 Hennen artgerecht halten können. Bei den kommenden Ausstallungen im Frühjahr 2020 werden wieder etliche Hühner übernommen und weiter Plätze und Helfer gesucht.
  • Kontakt: Wer den Tieren ein neues Zuhause schenken möchte, kann sich bei Carmen Martinovic, der Ansprechpartnerin für den Bodenseekreis, unter carmen@rettetdashuhn.de melden. Weitere Infomationen zu den Voraussetzungen für eine Vermittlung oder zum Ablauf stehen auf der Internetseite des Vereins unter: http://www.rettet-das-huhn.de (jme)