Markus Schrieder sieht müde aus. Er runzelt die Stirn und nickt dabei leicht mit dem Kopf. „Darf ich ehrlich sein?“, fragt der Geschäftsführer der Evangelischen Altenhilfe in St. Georgen, während er über den großen weißen Tisch im Konferenzraum zum Reporter hinüberblickt: „Ich bin erschöpft. Wir alle sind erschöpft.“
Man kann es ihm nicht verübeln. Seit über einem halben Jahr kämpft er mit seinen Kollegen im Lorenz- und Elisabethhaus in St. Georgen nun schon für die Gesundheit ihrer Bewohner. Trotz aller Bemühungen: Absolute Sicherheit gibt es nicht.
„Diesen Schock will hier niemand noch einmal erleben“
Das musste Markus Schrieder am eigenen Leib erfahren. Trotz strengster Vorkehrungen bahnte sich das Coronavirus zu Beginn der Pandemie einen Weg in die Zimmer. Mehrere Bewohner starben. Wer Covid-19 wann, wie und wo übertrug, lässt sich bis heute nicht rekonstruieren. Aber: „Diesen Schock will hier niemand noch einmal erleben“, so Schrieder.
Deshalb halten er und seine Kollegen Abstand, ziehen seit kurzem FFP2-Masken über das Gesicht, sobald sie das Büro verlassen. Pfleger tragen im direkten Umgang mit Bewohnern zudem Handschuhe und Schutzkittel. Eigentlich dürfen maximal zwei Besucher pro Bewohner täglich kommen – so gibt es das Land vor.
Besuchszeit auf fünf Stunden begrenzt
Für Markus Schrieder geht diese Regel noch nicht weit genug. Heime müssen sich zwar an die Rahmenbedingungen des Landesgesundheitsamt halten, können aber darüber hinaus weitere Infektionsschutzmaßnahmen treffen. So wurde im Lorenzhaus die Besuchszeit auf fünf Stunden pro Tag für alle Bewohner verkürzt. Es gibt hierfür einen einzigen Raum, in dem die Pflegebedürftigen ihre Liebsten sehen dürfen. Das Personal lüftet ständig und befreit Stühle wie Tische von Viren mit Desinfektionsmittel.
Vor dem Besuch müssen sich Angehörige oder Freunde auch noch in Listen eintragen. Sie versichern mit ihrer Unterschrift, dass sie weder krank sind, noch mit einer infizierten Person in Kontakt waren.

Sicherheitsfirma vor dem Eingang
Mit dem Stammpersonal, das Markus Schrieder zur Verfügung steht, kann er diese Fülle an Sicherheitsmaßnahmen schon bald nicht mehr stemmen. Man sei „schlicht und einfach komplett ausgelastet. Aber es hilft ja nichts. Wir müssen etwas tun.“ Deshalb schreckt der Geschäftsführer der Evangelischen Altenhilfe nicht davor zurück, mit unkonventionell zu reagieren: Vor dem Elisabeth- und dem Lorenzhaus wird schon bald eine Sicherheitsfirma dafür sorgen, dass niemand unkontrolliert die Heime betritt.
Zwei Personen sollen am Einlass etwa Fieber messen und kontrollieren, ob Externe ihren richtigen Namen in die Gästeliste eintragen. Und: Sie sollen präsent sein. Denn in der Vergangenheit sei es im Eingangsbereich bereits zu unschönen verbalen Auseinandersetzungen gekommen, weil Angehörige nicht akzeptieren wollten, dass sie ihre Liebsten nicht besuchen dürfen.
7000 Euro monatliche Kosten
„Man sollte sich das nicht falsch vorstellen. Es werden keine Männer mit Schlagstöcken und Baseballschlägern vor unserer Tür stehen. Wir brauchen einfach personelle Unterstützung in dieser Zeit. Das ist uns sehr wichtig“, versichert die kaufmännische Leitung der Evangelischen Altenhilfe, Florije Sula. 7000 Euro wird diese Investition jeden Monat kosten. Dafür greife man gerne auf die Reserven des Unternehmens zurück.
Matthias Steiner muss schmunzeln, als er von der Vorgehensweise in St. Georgen hört. „Bei uns funktioniert die Registrierung der Besucher in aller Regel reibungslos. Soweit ich weiß, hat sich bisher niemand mit Donald Duck oder ähnlichen Begriffen eingetragen“, sagt der Sprecher der an 23 Standorten in ganz Deutschland präsenten Altenheim-Gruppe Augustinum. Man kenne schließlich den Großteil der Besucher, die ihre Bekannten und Angehörigen besuchen.
„Große Besorgnis“ in Überlingen und Meersburg
Dennoch herrsche etwa in den Heimen Überlingen und Meersburg derzeit „eine große Besorgnis“, weil die Infiziertenzahlen in den vergangenen Tagen deutlich gestiegen sind. „Nicht nur bei den Mitarbeitern, auch bei den Bewohnern“, so Steiner. Die Angst davor, dass die Liebsten wieder nicht mehr kommen dürfen, sei da.
Deshalb aber auf alle sozialen Kontakte und Freiheiten verzichten? Das kommt für den Unternehmenssprecher und seine 5500 Mitarbeiter nicht infrage. „In diesen Zeiten wird von ihnen sehr viel verlangt. Die psychische Gesundheit darf man nicht unterschätzen. Da sind Kontakte wichtig. Solange man abwägt, was sinnvoll ist und was nicht, man Maske trägt und Abstand hält, ist das natürlich in Ordnung.“
Keine Pläne für Besuchsverbote – aber Land schließt sich nicht aus
Trotz steigender Infektionszahlen plant das Landesgesundheitsamt derzeit nicht, die Besuchsverbote in Heimen wieder einzuführen. Das gibt Pressesprecher Markus Jox gegenüber dem SÜDKURIER bekannt. „Hierfür ist die Lage im Land und in den Stadt- und Landkreisen trotz Ausrufung der Pandemiestufe drei zu heterogen“, sagt er.
Und dennoch: In der jetzigen Phase gehe es darum, regional auf das Pandemiegeschehen zu reagieren. „Das kann als ultima ratio auch bedeuten, dass einzelne Einrichtungen vorübergehend wieder für Besuche geschlossen werden, wenn es zu einem Ausbruchsgeschehen gekommen ist.“ Voraussetzung für diesen Schritt sei allerdings, dass kein milderes Mittel wie etwa eine Isolierung der infizierten Bewohner im jeweiligen Heim zur Verfügung steht.
Seniorenzentrum St. Franziskus in Bad Säckingen gut vorbereitet
Im Seniorenzentrum St. Franziskus in Bad Säckingen sei man – genau wie in St. Georgen – „sehr schnell dazu in der Lage, in den Krisenmodus zu wechseln“, sagt Geschäftsführer Hartmut Fricke im Gespräch.
Bei einem potentiellen Ausbruch isoliert das Heim den Bewohner, der sich möglicherweise ansteckte, in einem Bereich auf einer Station. Nur ein bestimmtes Pflegeteam ist dann für diesen Patienten zuständig. Die Besuchsregel könnte dann kurzfristig ausgesetzt werden.

„Sobald alles abgeklärt ist, könnten wir dann wieder hochfahren. Bei einem Ausbruch würde ich dieses Konzept beim Gesundheitsamt vorlegen, das wir mit den Erfahrungen aus den letzten Monaten ausgearbeitet haben“, sagt Fricke. Dann sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass ein längerfristiges Besuchsverbot ausgesprochen wird und sich das Virus im Haus verbreitet.
Bessere Ausstattung als zu Beginn
Voraussetzung dafür ist auch, dass das Heim auf genügend Schutzausrüstung zurückgreifen kann. „Heute haben wir genug, um über einige Wochen im Krisenmodus auszukommen. Das war am Anfang ganz anders“, so Fricke. Zu Beginn der Pandemie sei das Lager für kurze Zeit komplett leer gewesen. Schutzmasken gab es gar nicht mehr. Das Heim war blank. „Ein Arzt hat dann zum Glück privat ausgeholfen. Ein Dienst hat über Nacht noch Masken zusammengenäht – nach einer Zwölf-Stunden-Schicht. Das war schon außergewöhnlich. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei.“