Nach fast 40 Jahren als Lehrer an einem Gymnasium in Baden-Württemberg genießt Wilhelm Rückert seit dem Sommer 2023 seinen Ruhestand. „Ich vermisse nur meine Schüler“, sagt der 66-Jährige. Die Schule nicht, schon gar nicht sein früheres Kollegium. „Die Lehrer machen sich das Leben oft selbst schwer“, so Rückert. Würden sie mehr mit- statt gegeneinander arbeiten, hätten sie es leichter.
Deshalb versteht Rückert auch die Klage von zwei Gymnasiallehrern nicht, die nun beim Verwaltungsgericht Stuttgart eine Arbeitszeiterfassung durch den Dienstherrn erzwingen wollen. „Wir Lehrer haben doch viele Freiräume und können uns die Zeit auch selber einteilen.“ Wer könne das schon?
Ralf Scholl gibt ihnen Recht. Aber er habe die Erfahrung gemacht, sagt der Landesvorsitzende des Philologenverbands, dass Zusammenarbeit auch zu mehr Arbeit führen kann. Die Daten der beiden Lehrer, die nun klagen, offenbaren aber ein grundsätzliches Problem, fügt der 63-Jährige hinzu: „Die Mehrarbeit verstößt an vielen Stellen gegen den geltenden Arbeitsschutz.“
Sieben Tage arbeiten – pro Woche
Die Aufzeichnungen der Lehrer belegen, dass sie häufig an sieben Tagen in der Woche arbeiten oder bis Mitternacht Arbeiten korrigieren, um am darauffolgenden Tag um 7.30 Uhr wieder vor den Schülern zu stehen. Alles nicht zulässig, sagt Scholl. Beide kommen auf jeweils mehr als 2000 Jahresarbeitsstunden. Beamte dürfen eigentlich nur 1804 Stunden arbeiten. Scholl fordert deshalb vom Kultusministerium, geltendes Recht umzusetzen. Nicht mehr und nicht weniger.

Das Bundesarbeitsgericht hatte am 13. September 2022 klargestellt, dass alle Arbeitgeber nach dem deutschen Arbeitsschutzgesetz dazu verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Er habe immer wieder im Kultusministerium nachgefragt, sagt Scholl, und immer wieder die gleiche Antwort erhalten: Wir warten auf das Bundesgesetz. „Grundsätzlich kann es bei der Zeiterfassung nur ein abgestimmtes Vorgehen aller Länder geben“, sagt ein Sprecher dort.
Am liebsten hätten die meisten Länder, dass alles beim Alten bleibt. Nur so lässt sich der Vorstoß der Kultusministerkonferenz von 2023 erklären. Sie hatte von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Ausnahmeregelungen für Lehrkräfte verlangt. Grund: Arbeitszeiten seien nur für die Unterrichtsstunden messbar, aber nicht für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, für Korrekturen, Eltern- und Schülerbesprechungen. Das Bundesarbeitsministerium verwies darauf, dass diese ja auch nachtäglich dokumentiert werden können.
Doch das verhindere schon die fehlende Digitalisierung, sagt Scholl. „Es ist doch hanebüchen, dass noch immer nicht alle Lehrer ein dienstliches digitales Endgerät haben.“ Deshalb sah der Philologenverband keinen anderen Ausweg mehr als zu klagen. Eine Lehrerin und ein Lehrer haben die Klageschrift eingereicht. Mit den Medien sprechen dürfen sie nicht, die Juristen raten davon ab. „Wir wollen schließlich vor Gericht gewinnen“, sagt Scholl. Die Aussichten bewertet er als „sehr gut“.