Die Gemeinde Ibach ist ein weißer Fleck im Schwarzwald. Auch im Sommer, wenn in den Höhenlagen des Schwarzwalds kein Schnee liegt. Denn in Ibach stockt der Mobilfunkausbau.

Von St. Blasien kommend ist am Ortseingangsschild das Internet weg. Hundert Meter später auch das Telefonnetz. Das liegt einerseits daran, dass der Netzausbau deutschlandtypisch ein bisschen länger braucht. Aus dem Ortsteil Lindau wehren sich aber auch Einwohner, die sich um gesundheitliche Schäden sorgen.

„Es war ein gutes Schutzgebiet“

Yvonne Müller (Name geändert) leidet an Elektrohypersensibilität (EHS), sagt sie. Seit 2006 wisse sie davon. „Ich bin hier in den Schwarzwald gezogen, um eine funkfreie Wohnmöglichkeit zu finden, damit es mir besser geht“, sagt Müller am Telefon. Es ist eine seltene Gelegenheit, sie hat das Telefon oft ausgestellt.

Sie lebt an einem Ort in der Nähe von Lindau, der bislang auch weitgehend funkfrei ist. Ihr akutes Problem ist nicht der Netzausbau in der Gegend, sondern dass sie ausziehen muss, weil der Hausbesitzer Eigenbedarf angemeldet hat.

„Das war bisher immer ein Haus für Umwelterkrankte“, sagt sie im Telefonat. „Hier war immer fest geregelt, was erlaubt ist und was nicht. Man hat sich verpflichtet, kein Handy zu nutzen. Es war ein gutes Schutzgebiet.“

Der Bürgermeister steckt in einem Zwiespalt

Etwa 350 Menschen leben in hier in Ibach, die allermeisten von ihnen im weitläufigen Kernort. Die ohnehin wenigen Lindauer gehören wohl größtenteils zu der Sekte Fiat Lux, deren Mitglieder die Mobilfunkstrahlung zwar auch für gefährlich, sich selbst aber für göttlich geschützt halten.

Bleiben ein paar wenige Leute, „Zugezogene“, wie es im Ort heißt, die sich mit einer Bürgerinitiative für eine funkfreie Zone einsetzen. Gerade erst habe in Lindau ein Haus nur deshalb verkauft werden können, weil dort bislang kein Funk empfangen werde, sagt einer im Ort. Bürgermeister Helmut Kaiser bestätigt die Geschichte.

Kaiser steckt in einem Zwiespalt. Er weiß, dass die Elektrohypersensibilität, an der Betroffene zu leiden glauben, keine anerkannte Krankheit ist – ein Zusammenhang zwischen Funkstrahlung und körperlichen Leiden kann nicht nachgewiesen werden, obwohl die Wissenschaft es seit Jahrzehnten prüft.

Ibachs ehrenamtlicher Bürgermeister Helmut Kaiser vor dem Rathaus.
Ibachs ehrenamtlicher Bürgermeister Helmut Kaiser vor dem Rathaus. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Trotzdem nimmt der Bürgermeister die Betroffenen ernst. Er habe Verständnis für sensible Leute, sagt er, und: „Wenn man Möglichkeiten findet, den Menschen zu helfen, machen wir das gerne.“ Er sagt aber auch: „Wir können ja nicht allen Bürgern zumuten, keinen Empfang zu haben, nur weil eine kleine Ecke das nicht will.“

Wem gehört der öffentliche Raum?

So steht die Situation in Ibach auch stellvertretend für Fragen, die vielerorts in Deutschland gestellt werden: Wem gehört der öffentliche Raum und wie viel Rücksicht kann dessen Bebauung auf Partikularinteressen nehmen – vor allem, wenn es sich zwar um besonders verletzliche Menschen handelt, deren Leid mit anerkannten Methoden aber nicht belegt werden kann?

Yvonne Müller ist bettlägerig, braucht Unterstützung, für die ihr Pflegegeld nicht reicht. Sie wünscht sich wie andere Betroffene auch, dass EHS als Krankheit anerkannt wird, dann gäbe es mehr Hilfe. Das Problem aber bleibt: Die Wissenschaft kann keinen Zusammenhang finden.

Die Wissenschaft findet keinen Zusammenhang

„Elektromagnetische Felder werden schon lange beforscht“, sagt Dr. Willi Max vom Kompetenzzentrum Elektromagnetische Felder (KEMF) beim Bundesamt für Strahlenschutz. „Wir führen regelmäßig Befragungen dazu durch, was die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland über Strahlung denken. Die Ergebnisse sind im Zeitverlauf sehr stabil: Ungefähr ein Fünftel ist besorgt wegen der gesundheitlichen Wirkung elektromagnetischer Felder.“

Das Phänomen Hypersensibilität gibt es schon sehr lange. Seit elektromagnetische Felder existieren, werde erforscht, ob Menschen das spüren können, sagt der Experte. Er sagt auch: „Früher bezog sich das vor allem auf niederfrequente Felder, die durch Stromnetze oder Haushaltsgeräte entstehen. Auch damals sagten Leute, dass sie darunter leiden. Das hat sich aber hin zu hochfrequenten Feldern verschoben.“ Das bedeutet: Die benannte Ursache hat sich verschoben.

Außerdem interessant: In Experimenten werden Menschen einem hochfrequenten Feld ausgesetzt oder nicht und müssen dann sagen, ob sie etwas spüren. Willi Max: „Seit Jahren können wir sehen: Die Versuchsteilnehmer sind dabei nicht besser als der Zufall. Auch nicht jene, die von sich sagen, dabei besonders feinfühlig zu sein.“ Mit solchen Forschungsergebnissen konfrontiert, blieben Betroffene bei ihrer Überzeugung, so der Forscher, die Stärke ihrer Symptome nehme in der Folge aber oftmals ab.

Ein Paket mit unbekanntem Inhalt, in Alufolie eingewickelt

In Lindau wird gerade ein Haus umgebaut, um die Bewohner vor Funk zu schützen. „Handys und Funkuhren ganz Ausschalten!“, steht auf einem Zettel an der Tür. Es ist niemand zu Hause. Vor dem Eingang liegt aber ein Paket mit unbekanntem Inhalt, in Alufolie eingewickelt.

In Aluminiumfolie eingewickeltes Päckchen – unter Elektrohypersensiblen eine Art Hausmittel, das gegen Strahlung helfen soll. Eine ...
In Aluminiumfolie eingewickeltes Päckchen – unter Elektrohypersensiblen eine Art Hausmittel, das gegen Strahlung helfen soll. Eine solche Funktion hat die Folie allerdings nicht. Telefone strahlen eingewickelt sogar stärker. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Willi Max vom KEMF warnt vor vorgeblichen Schutzvorrichtungen: „Damit wird viel Geld verdient, dafür gibt es einen Markt. Einige profitieren davon, dass Menschen sich Sorgen machen. Solche Geräte bringen nichts. Wenn man zum Beispiel ein Handy in eine spezielle Schutzhülle steckt oder in Alufolie einwickelt, muss das Gerät viel stärker senden, um den Empfang aufrechtzuerhalten – dann entsteht auch mehr Strahlung.“

Die Menschen kämpfen seit Jahren gegen Mobilfunkausbau

Das Thema ist nicht neu in Ibach, seit Jahren kämpfen Menschen dort gegen den Funkausbau. Ende Februar hat die Bürgerinitiative nun einen Einwohnerantrag in den Gemeinderat eingebracht, der eine funkfreie Zone fordert.

Bürgermeister Helmut Kaiser wäre gerne rücksichtsvoll: „Die Betroffenen sagen: Wir wollen auch mal auf ein Konzert oder ins Theater, aber da ist dann alles voll mit Leuten, die Handys in der Tasche haben. Deren Argument ist, sie würden von der Gesellschaft ausgeschlossen.“

Heute braucht fast jedes Gewerbe eine Internetverbindung

Allein für das Gutachten, das für Bebauungsplan nötig wäre, der Lindau für Funkverbindungen ausspart, wäre aber eine fünfstellige Summe nötig – bei einem Gemeindehaushalt von einer Million Euro. „Und der Haushalt ist in diesem ja eh schon nicht ausgeglichen“, sagt Kaiser.

Natürlich denkt er auch an die Landwirte und Waldarbeiter im Ort, deren Arbeit zunehmend digitaler wird. Und an die vielen Touristen, die für ihre Wanderkarten Internetempfang brauchen. Auf der anderen Seite sind auch Modelle denkbar, den Ort gerade wegen des mangelnden Empfangs attraktiv zu machen; zum Beispiel mit einem Angebot für Digital Detox, ein Trend, der sich mit Digitalentzug übersetzen lässt.

Für Lindau ist das aber keine Option, sagt Kaiser. Die Wasserversorgung ist dort sehr begrenzt, ein größeres touristisches Angebot gäbe die Infrastruktur nicht her.

Alltag in Lindau: Kein Empfang mit dem Handy, hier geht nichts.
Alltag in Lindau: Kein Empfang mit dem Handy, hier geht nichts. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Kein Ibacher Phänomen

Es ist kein Ibacher Phänomen. In Freiburg setzt sich seit Jahren ein pensionierter Amtsrichter unter Berufung auf zweifelhafte Quellen für mobilfunkfreie Schutzzonen ein; in der Rhön wird seit über einem Jahrzehnt für eine sogenannte weiße Zone gekämpft; im französischen Grenoble wehrt sich der Bürgermeister bislang erfolgreich gegen den Netzausbau, ihm geht es dabei allerdings auch um die Überwachungsmöglichkeiten der Technologie; und Ibachs Bürgermeister Helmut Kaiser hat Unterlagen aus dem bayerischen Starnberg dabei, wo es ähnliche Widerstände gibt wie beim ihm im Ort.

Neue Technologien haben immer schon Ängste geschürt und Widerstand ausgelöst, gerade in Deutschland. Eines der prominentesten Beispiele der jüngeren Vergangenheit ist die Atomkraft – im April erst jährte sich der erfolgreiche Protest von Teilen der badischen Bevölkerung gegen den Bau eines Meilers in Wyhl zum 50. Mal.

Politiker beschworen dagegen die Bedeutung mit mancher Übertreibung, wie etwa der damalige Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU), der ohne den Strom aus dem Kernkraftwerk die Lichter in Baden-Württemberg ausgehen sah.

Keine anerkannten Argumente

Dem gegenüber die Sorgen vor allem von Landwirten, die Wasserdampfwolken könnten ihnen die Ernte verderben. Das AKW wurde nicht gebaut. Es gibt aber einen fundamentalen Unterschied: Es fanden damals Diskussionen statt, die entlang anerkannter wissenschaftlicher Argumente geführt wurden.

Das gilt für die Quellen der Elektrohypersensiblen nicht. Sie gehen davon aus, dass die Strahlenbelastung mit höherer Frequenz zunimmt. Die Physik sagt das Gegenteil. Yvonne Müller aus dem Schwarzwald ist aber überzeugt, sie spüre Handystrahlen auch dann, wenn sie nicht wisse, das eines in der Nähe ist – was bedeuten würde: psychosomatisch kann ihr Leiden nicht sein.

Willi Max vom Bundesamt für Strahlenschutz zweifelt nicht an den Symptomen der Menschen. Er sagt: „Dazu hat sich ein medizinisches Beratungsnetzwerk in der Schweiz gegründet, das MedNIS.“ Dort heißt es, man wolle die Versorgung von Personen mit elektromagnetischer Hypersensibilität durch fachärztliche Beratung und die Studienlage verbessern.