„Die neue Welt wird kommen. Die Frage ist nur: Gestalten wir oder lassen wir uns von anderen gestalten?“, säuselt Maja mit sanfter Stimme im Wenea-Gemeindehaus. Das Gemeindehaus ist in diesem Fall ein virtueller Ort, der über einen YouTube-Kanal und per Telefon-Software Mumble zugänglich ist. Ein Ort, an dem sich Menschen treffen, die sich selbst „Weneaner“ nennen und für „geistige, beseelte, lebende und nicht verschollene Wesen“ halten. Sie alle gehören der „United Nation Wenea. Member of alliance-earth“ an, einer spirituellen Weltanschauungsgemeinschaft, die auch im Bodenseeraum Anhänger findet.

Heute geht es im Gemeindehaus um die Akademie, eine eigens erschaffene „Bildungseinrichtung“ der Wenea, wo Kinder in Online-Gruppen für die neue Welt lernen sollen. Eine Frau, die sich Ruth nennt, berichtet davon, dass die Kinder sich hier „frei und selbstbestimmt“ Wissen aneignen. „Wissen, das man braucht, um die neue Zeit besser zu gestalten“, fasst es die Moderatorin im Online-Gemeindehaus zusammen.

Eigenes Bildungs-, Gesundheits-, und Justizsystem

Doch was wie ein leicht verquertes Gespräch zwischen Müttern über Alternativpädagogik klingt, ist alles andere als harmlos. Denn die United Nation Wenea, die sich bis vor Kurzem noch GroßWenea nannte, will nicht nur eigene Lernkonzepte, eine Währung und Ausweispapiere etablieren. Es geht um die Schaffung eines eigenen, vermeintlich alternativen und spirituell angehauchten, Bildungs-, Gesundheits-, und Justizsystems. Und das auf internationaler Ebene.

In einem 13-seitigen „rechtswirksamen Manifest“ der Wenea ist gar von einer „Gemeinschaft“ die Rede, die „mit dem Erhalt der Schöpfung“ beauftragt und „gemäß Definition des juristischen Völkerrechts als eigenständige Nation und originäres Völkerrechtssubjekt“ anerkannt sei. Damit fällt die Wenea laut Bundesamt für Verfassungsschutz unter die Gruppe der „Selbstverwalter“, die für sich in Anspruch nehmen aus der Bundesrepublik austreten zu können.

„Sie unterscheiden sich von ‚Reichsbürgern‘ im Wesentlichen dadurch, dass sie in ihrer politischen Ausrichtung nicht zwingend auf ein ‚Deutsches Reich‘ fokussiert sind“, schreibt der Bundesverfassungsschutz in dem Papier ‚Reichsbürger und Selbstverwalter‘ im Juni 2023. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Reichsbürgern und Selbstverwaltern, so der Verfassungsschutz, sei allerdings nicht immer möglich.

Immer wieder gibt es Neuorganisationen

Insbesondere dann nicht, wenn wie im Fall der Wenea permanent neue Abspaltungen, Neuorganisationen- und -gruppierungen entstehen. Die Wenea selbst ist laut Bundesverfassungsschutz aus der „Verfassunggebenden Versammlung“ (VV) entstanden, einer 2015 gegründeten Reichsbürger-Gruppe, die die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der angeblich nicht stattgefundenen Wiedervereinigung 1990 für nichtig hält.

„Parallel hierzu hat die Gruppierung die ‚Gemeinschaft Wissen und Weisheit‘ (Wenea) gegründet, die mittels eigener politischer Strukturen und Institutionen wie die ‚Wenea-Bank‘, der ‚Wenea-Akademie‘ und einem angeblich eigenen Justizwesen die neue Gemeinschaft organisieren soll“, schreibt der Bundesverfassungsschutz. Gegenüber dem SÜDKURIER bestätigt ein Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutzes Baden-Württemberg, dass die Wenea bereits seit 2016 Beobachtungsobjekt sei. Zu regionalen Zahlen hält sich der Landesverfassungsschutz aber bedeckt. „Hierzu liegen keine belastbaren Aussagen vor“, erläutert ein Sprecher.

Auch eigene Schecks gibt „Wenea“ aus.
Auch eigene Schecks gibt „Wenea“ aus. | Bild: SK/Screenshot

Regionale Strukturen sind das Ziel

Auch wenn die Gemeindehäuser der Wenea im Moment vor allem virtuell existieren, scheint es Verbindungen in das Hegau, Bodensee-Hinterland und Allgäu zu geben. Die Gruppierung selbst listet auf ihrer Website etliche Orte in Baden-Württemberg als „Wenea-Gemeinde“ auf, darunter auch die Gemeinden Steißlingen und Gottmadingen (Landkreis Konstanz), Isny und Bergareute (Landkreis Ravensburg).

Nach SÜDKURIER-Recherchen leben dort „Weneaner“, die sich besonders für die Gemeinschaft engagieren. Ob es in der Region auch reale Treffen zwischen Mitgliedern gibt, bleibt allerdings unklar. Zumindest scheint es ein gesetztes Ziel der Wenea zu sein, regionale Strukturen zu bilden. Raus aus der virtuellen Welt, rein in Leben der Menschen, also.

Die verschiedenen Wenea-Kanäle

Im Moment scheint sich der Großteil in der virtuellen Welt auf verschiedenen Kanälen abzuspielen. Allein der Telegram-Kanal hat rund 16.500 Abonnenten, dazu gibt es dort das Wenea-Gesundheitshaus mit knapp 2000 Mitgliedern und den Wenea-News-Kanal mit 500 Personen. Außerdem sendet die Wenea über ddb-Radio, ihrem eigenen Sender, drei Mal wöchentlich Botschaften an ihre Mitglieder. Das Impressum verweist auf die „deutsche depeschen bild- und tonagentur“ in Ratingen, Nordrhein-Westfalen. Inhaber ist ein Uwe Voßbruch, der sich als freier Journalist ausgibt.

Spannend: Voßbruch, über dessen reale Identität wenig bekannt ist, gilt als Gründer der Verfassunggebenden Versammlung, die seit 2016 ebenfalls unter Beobachtung des Bundesverfassungsschutzes steht. Bei unseren Recherchen über Wenea taucht er immer wieder als führender Kopf hinter der Weltanschauungsgemeinschaft auf.

Neben „Uwe“, wie er genannt wird, gibt es weitere Mitglieder des „ersten Kreises“, der selbst ernannten Regierung der Wenea. Die Selbstverwalter sprechen auf ihrer Website von 55 Mitgliedern im „ersten Kreis“. Sie sind es auch, die bei den virtuellen Treffen im Mumble-Gemeindehaus, regelmäßig das Manifest verlesen. Oder ihre Weisheiten über Bildung und Gesundheit weitergeben, so wie neulich Ruth, Maja und die anderen.

Alternative Bildung und Medizin – die großen Themen

Mittlerweile geht es im Gemeindehaus um alternative Gesundheit. Alternative Bildung, alternative Medizin – zwei große Themen, die sich in der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene immer wieder finden. „Durch die häufig verschwörungsideologisch bedingte Ablehnung des staatlichen Schulsystems sowie der Schulmedizin werden vermeintliche Alternativangebote durch Milieuangehörige ausgearbeitet“, erklärt ein Sprecher des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz gegenüber dem SÜDKURIER. Bei der Wenea, so der Landesverfassungsschützer, scheinen diese Elemente eine „herausragende Rolle“ zu spielen.

So wirbt die Wenea beispielsweise bei Eltern für ihre Online-Akademie, in der sie „ergänzende Angebote“ für Kinder zwischen der 1. und 10. Klasse anbietet. „Angestrebt ist langfristig eine eigenständige, unabhängige Akademie als Ersatz-Schule“, heißt es auf der Homepage. Am Beispiel der Akademie wird aber auch deutlich, dass die Wenea nicht nur eine Weltanschauungsgemeinschaft ist, sondern auch ein Geschäftsmodell. Voraussetzung für die Teilnahme an der Akademie ist die Wenea-Mitgliedschaft (35 Euro pro Jahr), hinzukommen pro Kind 40 Euro Teilnahmegebühr im Monat. Eltern, die sich hier Hilfe suchen, zahlen also im Jahr mehr als 500 Euro Gebühren.

Welche Gefahr geht von dieser Gruppe aus?

Ist die Wenea lediglich eine bizarre, esoterische Gemeinschaft voller Spinner oder eine echte Gefahr für die demokratische Verfassung der Bundesrepublik Deutschland? Dieser Frage geht freilich auch der Verfassungsschutz nach. „Ob von der Wenea ein spezifisches Gefahrenpotential ausgeht, ist derzeit Teil der Aufklärung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. Bislang haben sich allerdings keine Erkenntnisse zu einer möglichen Gewaltorientierung der Wenea-Akteure ergeben“, erklärt der Sprecher gegenüber dem SÜDKURIER.

Beim Polizeipräsidium Ravensburg sind bislang laut einer Polizeisprecherin keine Mitglieder der Wenea-Gemeinde strafrechtlich in Erscheinung getreten. „Bezüglich der Verfassunggebenenden Versammlung sind im Bereich des Polizeipräsidiums Ravensburg einzelne Personen bekannt, die in der Vergangenheit Flugblätter für die VV in Wangen in Briefkästen warfen“, erklärt die Sprecherin.

Außerdem hätten in der Vergangenheit vereinzelt Mitglieder verschiedener Reichsbürgerorganisationen in der Region auch schon Polizeibeamte angegriffen oder Straftaten wie Urkundenfälschung verübt. Die Abteilung Staatsschutz, ein Teil der Kripo Friedrichshafen, ermittle in solchen Fällen. Die Gestaltung der „neuen Welt“, so ist zu befürchten, wird angesichts der ausgeprägten Waffenaffinität innerhalb der Selbstverwalter- und Reichsbürgerszene, nicht friedlich geplant.