In Schaffhausen wird es eng. Das Kantonsspital kündigt zum Ende der Woche die Eröffnung einer zusätzlichen Isolationsstation für Covid-19-Patienten an. Das ist kein Einzelfall: Die Neuansteckungsraten in der Schweiz gehören mit einem Wert von über 1000 Fällen pro 100.000 Einwohner in den letzten 14 Tagen mittlerweile zu den höchsten in Europa.
Inzwischen steigt auch die Zahl der Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Jetzt soll die Armee helfen: Ob der stark steigenden Infekionszahlen in der Schweiz hat der Bundesrat gerade beschlossen, bis zu 2500 Soldaten zur Unterstützung der Krankenhäuser bei der Pflege und dem Patiententransport einzusetzen.
Noch ist Platz – doch die Spitäler warnen
Die Lage spitzt sich zu. Zwar ist auch in der Schweiz eine Auslastung der Intensivstationen zu 75 Prozent Normalität. Von 1121 Intensivbetten schweizweit sind nach Daten vom 3. November des zuständigen Koordinierten Sanitätsdienstes (KSD) 809 belegt. 362 davon sind Covid-19-Patienten. 312 Intensivbetten sind also noch frei im Bund. Noch gibt es Platz in den Krankenhäusern.
Dennoch warnen Kliniken in Schwyz und im Wallis schon jetzt vor Überlastung. Denn die Erfahrung zeigt, dass Patienten, die zunächst isoliert, aber auf der Normalstation behandelt werden, nach fünf bis zehn Tagen auf der Intensivstation versorgt werden müssen.

In Schaffhausen liegen 15 Patienten isoliert im Krankenhaus, aber nur drei davon auf der Intensivstation, wie aus Angaben des Kantons Schaffhausen hervorgeht. Zwei müssen beatmet werden. Doch das Kantonsspital verfügt nur über acht Intensivbetten, davon sind fünf Beatmungsplätze. Die Kapazitäten sind also begrenzt. Doch die Zahl der Infizierten steigt. Im 80.000-Einwohner-Kanton gelten derzeit 838 Menschen als infiziert.
Das Kantonsspital verschiebt schon seit Dienstag „nicht dringende Operationen“ – zum einen, um Betten freizuhalten, zum anderen, um Personal für die Betreuung der Infizierten einsetzen zu können. „Der Druck steigt“, sagt Sprecher Lukas Feurer.
Die Ärzte und Pfleger werden „im ganzen Spital sehr gefordert sein“, erwartet er. Eine zusätzliche Herausforderung könnte der erwartete Ausfall von Mitarbeitern, die sich infiziert haben oder haben könnten und sich deshalb in Quarantäne begeben müssen.
Rasche Zunahme der Patientenzahlen im Thurgau
Nicht nur in Schaffhausen ist die Lage ernst. Auch im Kanton Thurgau steigt die Zahl der Neuinfizierten stark an. 1359 gelten nach Angaben des Kantons derzeit als infiziert. Im Kantonsspital Thurgau in Münsterlingen sind nach Angaben von Doktor Marc Kohler derzeit etwa 55 Patienten mit Covid-19 – „die Zahl schwankt stündlich“, ergänzt er. Aber der Trend scheint klar: „Wir haben bei uns innerhalb der vergangenen elf Tage eine Verdopplung der Zahlen.“
„Wir hoffen, durchzukommen“
Elf der Patienten werden auf der Intensivstation behandelt, die insgesamt mit 20 Patienten belegt ist. Doch das Krankenhaus verfügt nur über 21 Intensivplätze. Derzeit würden deshalb neue Kapazitäten geschafft, sagt der Sprecher, zunächst auf 26, um aktuelle Notfälle behandeln zu können.
Reicht das aus? „Nur für Thurgauer Patienten hoffen wir, bis auf Weiteres durchzukommen“, sagt Kohler: „Anders sieht es aus, wenn wir Intensivpatienten aus anderen Kantonen übernehmen müssten“, ergänzt er. Die Kapazität könne auf bis zu 32 Intensivbetten erhöht werden, sagt der Kanton Thurgau auf Anfrage.
St. Galler Spital „nicht mehr im Normalbetrieb“
Philipp Lutz arbeitet im Kantonsspital St. Gallen. Im Kanton sind nach dem Stand vom 3. November 194 Covid-19-Patienten in klinischer Behandlung, sechs auf der Intensivstation ohne Beatmung, 17 mit Beatmung. Ein Großteil der Patienten liegt im Kantonsspital.
Dort sind am Mittwoch bereits 20 Patienten auf der Intensivstation, 16 vom ihnen brauchen Beatmung. Weitere 83 Patienten mit Covid-19 liegen auf der Normalstation isoliert. Tendenz steigend. „Schon seit Anfang vergangener Woche befinden wir uns nicht mehr im Normalbetrieb“, sagt er dem SÜDKURIER.
Zwar verfüge das Krankenhaus über 36 Intensiv- und Beatmungsplätze: „Diese Plätze sind aber nicht alleine für Covid-19-Patienten verfügbar“, betont Lutz. Täglich werden mehrere hundert Patienten mit unterschiedlichsten Erkrankungen und Verletzungen im Krankenhaus behandelt.
Nur noch dringende Operationen werden umgesetzt
Wegen der steigenden Infektionszahlen baut auch die Klinik in St. Gallen ihre Kapazitäten der Intensivbehandlung bis kommende Woche auf 44 Betten aus. Im Extremfall könne das Krankenhaus 56 Intensivpatienten behandeln. Der Ausbau sei aber nur möglich, weil das Haus seit dieser Woche auf verschiebbare Operationen, bei denen im Anschluss Intensivbehandlung nötig würde, verzichte, erklärte der Sprecher weiter.
Auf den Normalstationen könnten maximal 350 Betten für Covid-19-Patienten genutzt werden – „immer vorausgesetzt, dass genügend Fachpersonal zur Verfügung steht“, ergänzt Lutz. „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“, sagt das Mitglied der Taskforce Coronavirus des Kantonspitals.
Die Ungewissheit sei es, die die Menschen besonders belaste: „Niemand kann verlässlich sagen, wie es mit der Pandemie weitergeht und wie viel vom eigenen Personal ausfällt.“
Hohe Inzidenz im Kanton Zürich
Der Kanton Zürich zählt derzeit 324 Patienten mit Covid-19 in Krankenhausbehandlung, davon müssen derzeit 32 künstlich beatmet werden. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt hier bei über 850 pro 100.000 Einwohner.
Sprecher Marcel Gudbrot sagt dem SÜDKURIER, dass im Universitätsspital Zürich am Mittwoch 14 Covid-19-Patienten auf der Intensivstation und 38 auf den Bettenstationen untergebracht seien. Die Situation sei seit dem heutigen Mittwoch so, dass einzelne Abteilungen nicht dringend notwendige Eingriffe absagen, verschieben oder ans Gesundheitszentrum des Universitätsspital am Flughafen auslagern müssen, um Kapazitäten für Covid-19-Patienten zu schaffen, erklärt er.
Sollten die Zahlen weiter steigen, würden auch hier Stufenpläne greifen, mit denen zusätzliche Kapazitäten für weitere Patienten entstehen sollen. Zusätzlich würden Patienten innerhalb des Kantons umverteilt, sollte es in einzelnen Häusern zu Engpässen kommen.
Deutsche Krankenhäuser könnten aushelfen
Doch was, wenn all diese Maßnahmen nicht mehr ausreichen sollten? Das Bundesgesundheitsministerium weist auf Anfrage auf das europäische Frühwarnsystem EWRS hin, worüber Krankenhäuser oder Länder um Hilfeleistung bitten können. „Absprachen erfolgen aber letztlich immer zwischen den Krankenhäusern“, erklärt Sprecher Oliver Ewald. Von Absprachen mit der Schweiz wisse das Ministerium aber nichts, sagt der Sprecher.
Das schweizerische Gesundheitsministerium sagt dem SÜDKURIER auf Anfrage: „Die Krankenhauskapazitäten stehen derzeit in ganz Europa unter großem Druck.“ Die Behörden stünden im Austausch mit den Nachbarländern, auch über „die Situation auf den Intensivstationen„. Anfragen an Nachbarländer seien denkbar. Derzeit gehe es darum, „alles zu tun, um die Kapazitäten in der Schweiz zu erhöhen“.
Baden-Württemberg wird Patienten übernehmen
Im Sozialministerium in Baden-Württemberg verweist man auf das Staatsministerium. Dort tagt am Mittwoch die Lenkungsgruppe zu Corona. Das Thema stehe auf der Tagesordnung, wie auch Sprecher Braun bestätigt. Wenn es einen Notbedarf gebe aus dem benachbarten Ausland gebe, sollen Patienten aufgenommen werden.
Es werde darauf hinauslaufen, dass Baden-Württemberg Patienten aufnehme, ergänzt der Sprecher. Die Details müssten aber noch abgestimmt werden. Am Donnerstag sollten dazu Details vorliegen, heißt es weiter aus dem Staatsministerium.
Vorarlberg hat bereits angefragt, Elsass dürfte folgen
Aus dem Sozialministerium war zu hören, das österreichische Bundesland Vorarlberg habe bereits um Hilfe gebeten. Dort liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei über 400 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Österreich fürchtet eine Überlastung der Krankenhäuser.
Auch aus dem benachbarten französischen Elsass dürften bald Gesuche in Baden-Württemberg eintreffen. Die französische Regierung und Gesundheitsexperten erwarten, dass die Krankenhäuser bis Mitte November wieder an ihre Belastungsgrenzen stoßen.