Wie sieht die katholische Kirche von morgen aus? Wie begegnet sie den Austritten, wie geht sie mit ihrem angekratzten Ruf um? Bernhard Stahlberger in Görwihl im Schwarzwald zählt nicht zu den Pfarrern, die erst auf gute Ratschläge aus dem Erzbischöflichen Ordinariat in Freiburg warten. Der Geistliche macht sich seine eigenen Gedanken über die entstehenden Großpfarreien und die Frage, wie man sie interessant gestaltet. Dabei stieß der Pfarrer in der Mitte des Hotzenwalds auf ein altes und auch seltsames Symbol: das Labyrinth. Stahlberger und sein Pfarrgemeinderat haben diesen gewundenen Weg in der Kirche in Görwihl verlegen lassen.
Die Leere schafft neue Inhalte
Das uralte Muster ist kaum zu übersehen, wenn man die Kirche St. Wendelin betritt. Die vordere Hälfte des Gotteshauses ist mit dem runden Labyrinth ausgelegt, das sich an dem berühmten Vorbild von Chartres orientiert. Der verlegte Vinylkreis trägt ein maßstabsgerechtes Foto des französischen Musters. Er wurde direkt auf den alten Marmorfußboden aufgeklebt. Damit man es sieht, wurden sämtliche Bänke in der vorderen Hälfte entfernt.

Die Wirkung ist erstaunlich. Während Kirchen in Deutschland sonst mit massivem Gestühl verstellt sind, geht der Besucher in Görwihl erst einmal ins Leere – und entdeckt dann den verschlungenen Pfad auf dem Boden. Dieser Pfad führt nach vielen Kurven ins Zentrum. Urlauber betreten den Raum. Sie staunen und nehmen dann gemächlich den Faden auf, um den Weg abzugehen. Das dauert bei moderater Gangart eine Viertelstunde.
„Das ist für mich moderne Spiritualität“
Genau das hat der Pfarrer beabsichtigt. „Man geht in aller Ruhe auf ein Ziel zu“, sagt Stahlberger. „Das Labyrinth hat eine Mitte und die will man finden. Es ist kein Irrweg.“ Der erfahrene Seelsorger betreut seit acht Jahren die Seelsorgeeinheit „uf‘m Wald“ (auf dem Hotzenwald). Er regte die neue Gestaltung des Fußbodens an, weil er sagt: Die Kirche muss solche niederschwelligen Angebote unterbreiten.

Im Gespräch mit dem SÜDKURIER erklärt er: „Menschen werden heute nicht mehr durch die Liturgie in die Kirche gezogen. Diese Zeiten sind vorbei.“ Deshalb das Labyrinth als unerwarteter Blickfang. Jeder erkenne sofort, dass sich hier etwas Besonderes auftue, sagt Stahlberger. „Das ist für mich moderne Spiritualität. Das ist unser Beitrag für die kommenden Großpfarreien.“
Auch eine Kirche für werktags
Die Gremien hat er hinter sich, auch dort wuchs die Überzeugung: Ein schlichtes Weiter-so reicht nicht. „Wir müssen den Glauben in unserer Zeit übersetzen“, sagt der Theologe. Dafür hat er schlagkräftige Mitarbeiter gewonnen, Ehrenamtliche, die die Kirche ausräumten und die alten Bänke. Thomas Kaiser hat die Verlegung des Belags als Projektleiter begleitet. Er sagt. „Wir wollen, dass die Kirche auch unter der Woche beschritten wird.“
Das Labyrinth in der zur Hälfte geleerten Kirche ist nur ein Baustein eines Prozesses. „Wir Seelsorger müssen dorthin, wo die Menschen sind und nicht warten, bis sie zu uns kommen.“ Das betreffe alle Aktivitäten der Gemeinde. Hinter dem Pfarrhaus entsteht eine zweigeschossige Kita, es gibt eine gut besuchte Bibliothek, ein Bildungswerk, ein Kulturfestival im Sommer.
Ein Pfarrer im Fitnessstudio
Am auffälligsten ist freilich das Fitnessstudio, das sich im Besitz der Kirchengemeinde befindet. Das Studio trägt den flotten Namen W-Gym (W für den heiligen Wendelin als Patron der Kirche). Pfarrer Stahlberger erinnert sich: Das Ordinariat in Freiburg sei entsetzt gewesen, als es davon erfuhr. Warum um Gottes Willen betreibt die Kirchengemeinde eine Sportstätte? So fragten sie in Freiburg.
Schließlich fand beide Seiten einen Kompromiss: Stahlberger musste das Studio umwidmen und verpachten, auch um der Frage der Haftpflicht zu entgehen. Unter diesen Vorzeichen darf das W-Gym aufsperren. Der Pfarrer selbst geht fünf bis sechs Mal in der Woche hin, was seinen Bizeps sichtlich anschwellen lässt.
Superman oder Seelsorger?
Seine Gesundheit steht dabei nicht im Vordergrund. Er sagt es so: „Im Fitnessstudio treffe ich Leute, die nicht in in die Kirche kommen.“ Die jüngsten sind zwölf, die ältesten Sportsfreunde 86 Jahre alt. Zwischen Hanteln und Bankdrücken holt er sie ab. Man kommt ins Gespräch. „Kirche soll Leib, Seele und Verstand ansprechen“, sagt der Pfarrer, der kürzlich sein Silbernes Priesterjubiläum feierte.
Um den vergnüglichen Grundton des Glaubens zu unterstreichen, haben sich die Görwihler eine wilde alemannisch-englische Kombination von Worten einfallen lassen: Ihr Motto lautet „Chille und chillen“ (Kirche und ausruhen).