Herr Barth, haben Sie sich schon ein Neun-Euro-Ticket besorgt?

Ich selber hab keins, weil ich schon die Bahncard 100 habe. Wer Fernverkehr fährt, hat von dem Ticket nichts. Aber für alle anderen ist es natürlich sehr schön.

Ihr Verband hat das Neun-Euro-Ticket als Schnapsidee bezeichnet. Warum?

Es ist ein Schnellschuss, auch in der handwerklichen Umsetzung nicht richtig durchdacht. Aber es ist für viele Leute sicherlich eine günstige Gelegenheit, etwas mehr Bahn zu fahren. Jetzt werden wir mal sehen, wie sich das auswirkt.

Joachim Barth, Landesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn
Joachim Barth, Landesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn | Bild: privat

Bisher scheint das Ticket sehr ruhig anzulaufen. Haben Sie schon Rückmeldung von Bahnkunden bekommen?

Nein, bisher noch nicht. Und was ich so beobachtet habe, sind die Züge gut gefüllt, aber nicht übervoll. An Werktagen wird das auch nicht dramatisch werden. Hier in Freiburg ist mir noch nichts Besonderes aufgefallen, außer dass die Stadt mal wieder so voll ist wie früher nur an Wochenenden.

Wann rechnen Sie denn mit dem großen Ansturm?

Schwieriger dürften die Wochenenden werden – jetzt das anstehende Pfingstwochenende. Wenn dann viele Ausflüge unternehmen, alle zur gleichen Zeit, dann werden bestimmte Strecken überlastet sein.

Die Bahn hat zusätzliche Kapazitäten bereitgestellt. Werden diese ausreichen?

Naja, ausreichen werden sie sicherlich nicht. Das liegt aber auch einfach daran, dass viele Hauptstrecken jetzt schon überlastet sind: Zusätzliche Züge fahren kann man gar nicht, weil die Strecken schon voll sind. Zusätzliche Fahrzeuge bekommt man auch nicht auf die Schnelle.

Die DB hat bundesweit 50 Doppelstockwagen älteren Typs, die schon abgestellt waren, wieder reaktiviert. Aber aufs ganze Bundesgebiet verteilt sind 50 Waggons nicht viel. Bei anderen Fahrzeugtypen sieht es ähnlich aus: Die Reserven sind nicht da, neue Fahrzeuge anschaffen für die drei Monate geht erstens nicht so schnell – zweitens muss da ja jemand bezahlen.

Das ist überhaupt ein Problem: Die Einnahmeausfälle werden über die Corona-Beihilfen ausgeglichen, das heißt die Basis sind die Einnahmen von 2019. Steigerungen von 50 oder 100 Prozent sind da nicht vorgesehen. Es gibt eben maximal das Geld, das es vor Corona gab. Da werden sicherlich einige Verkehrsbetriebe Probleme kriegen.

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Das Neun-Euro-Ticket soll ja auch einen pädagogischen Effekt haben – soll den Leuten zeigen, dass Bus und Bahn eine Alternative sind. Ist das eine gute Idee, oder hätte man das ganz anders einfädeln müssen?

Dort, wo das System schon vorher gut funktioniert hat, wo genug Kapazitäten vorhanden sind, ist das sicher eine gute Idee. Da macht es nichts aus, wenn doppelt so viele Leute kommen. Aber in anderen Bereichen, bei der S-Bahn in Stuttgart zum Beispiel, ist es so, dass sie schon zu normalen Zeiten in den Stoßzeiten völlig überlastet sind. Wenn da mehr Leute kommen, ist das sicher keine Werbung.

Ist es denn überhaupt das Geld oder eher die schlechte Anbindung, was Bahnfahren unattraktiv macht?

Letzteres. Das wichtigste wäre eine gute Anbindung, gut verknüpfte Takte, dass die Anschlüsse passen. So wird die Bahn attraktiv.

Welche Strecken werden in Baden-Württemberg am meisten belastet sein?

Mit Prognosen ist es immer schwierig. Aber ich rechne damit, dass gute Verbindungen zu attraktiven Zielen besonders nachgefragt werden. Also zum Beispiel die Stuttgarter, die an den Bodensee wollen. Das betrifft dann sowohl die Gäubahn als auch die Südbahn von Ulm nach Friedrichshafen. Allerdings wird es bald nicht mehr so attraktiv sein, denn auf der Gäubahn wird wieder gebaut. Den Schienenersatzverkehr würde ich da niemandem empfehlen, denn der wird in der Kapazität sicher nicht ausreichen.

Wobei man der Bahn da keinen Vorwurf machen kann: Als die ihre Baustellen geplant hat, wusste man noch nichts vom Neun-Euro-Ticket.

Wenn Sie als Fahrgastverband so viel Geld in die Hand nehmen dürfen, was hätten Sie denn gemacht, um die Bahn attraktiver zu machen?

Ich hätte erst ins Netz investiert und in zusätzliche Kapazitäten, also erst das System aufgebaut, damit genügend Kapazitäten vorhanden sind für Fahrgastzuwächse – und dann den Preis gesenkt.