Die Tat beginnt oft mit einer Ohrfeige. Mit einer Drohung. Mit der Kontrolle des Handys. Mit dem Satz: „Wenn du mich verlässt, bringe ich dich um.“ Und irgendwann ist sie tot.

Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 360 Frauen und Mädchen getötet. In 247 Fällen geht das Bundeskriminalamt davon aus, dass die Taten geschlechtsspezifisch motiviert waren – also mutmaßliche Femizide. Die Polizei registrierte zudem über 180.000 weibliche Opfer häuslicher Gewalt. Die Zahlen steigen – nicht nur, weil mehr passiert, sondern auch, weil mehr Frauen anzeigen. Das ist ein Fortschritt. Das ist ein Alarmsignal. Nur wo bleibt eigentlich der große öffentliche Aufschrei? Haben wir uns mit stillen Mahnwachen abgefunden?

Viele der späteren Femizide kündigen sich an – doch sie bleiben im Verborgenen. Weil ihre Warnrufe nie dort ankamen, wo sie gehört werden müssten. Nur in einem Viertel der Fälle kam es vor der Tat zu einem Polizeieinsatz. In über 80 Prozent wurde kein Hinweis an die Strafverfolgung gegeben. Die Frauen wollten leben. Aber das System wusste nichts von ihnen.

Wer redet mit Männern?

Die Realität ist: Schutzmaßnahmen scheitern oft an ihren eigenen Bedingungen. Wer glaubt, mit einem Annäherungsverbot sei das Problem gelöst, irrt. Die Gewalt endet nicht mit dem Wegzug. Oft beginnt sie dann erst richtig. Männer, die ihre Partnerinnen kontrollieren, unterwerfen oder besitzen wollen, hören nicht auf, wenn die Beziehung endet. Sie finden Wege – über Kinder, über Bekannte, über das Internet.

Wer Menschenleben retten und die Gewaltspirale durchbrechen will, der muss mit Tätern arbeiten. Wer das ignoriert, bekämpft nur ein Symptom, nicht die Ursache. Es braucht mehr Programme, in denen Männer lernen, was Gewalt bedeutet – und wie man sie beendet. Doch solche Programme sind rar. In der Region Konstanz zum Beispiel gibt es nur einen einzigen Therapeuten, der mit Männern spricht, die Gewalt ausgeübt haben. Bald geht er in den Ruhestand. Eine Nachfolge? Nicht absehbar. Die nächste Anlaufstelle: Ravensburg, Ulm, Tübingen oder München.

Unterdessen werden die Frauenhäuser voller. In Baden-Württemberg arbeiten viele Frauenhäuser an der Belastungsgrenze. Die meisten befinden sich in freier Trägerschaft – etwa durch Vereine oder Wohlfahrtsverbände – und sind auf ein fragiles Finanzierungsgeflecht aus kommunalen Zuschüssen, Landesmitteln und Spenden angewiesen. Eine verbindliche Grundfinanzierung existiert nicht.

Was in Spanien anders läuft

Dabei gibt es längst erprobte Mittel. Spanien etwa setzt seit Jahren elektronische Fußfesseln ein, um hochgefährliche Männer zu überwachen – mit Erfolg. Frauen erhalten ein Warnsignal, sobald sich der Täter nähert. In Spanien kann die elektronische Aufenthaltsüberwachung bei Hochrisikofällen binnen 48 bis 72 Stunden angeordnet und aktiviert werden – dank spezialisierter Gerichte und klarer Verfahren.

Anders als in Deutschland existieren dort eigene Justizorgane für geschlechtsspezifische Gewalt. Hierzulande wird die Fußfessel seit Jahren diskutiert – ohne bundesweit verbindliche Regelung. Diese ist aber Bestandteil des Koalitionsvertrags, auch die Innenminister haben sich vor wenigen Wochen geeinigt, die Fußfessel nicht nur für Terroristen und Gefährder einzusetzen. In Baden-Württemberg ist ein Gesetz auf dem Weg. Endlich!

Einer Illusion darf man sich aber nicht hingeben: Die elektronische Überwachung ist kein Allheilmittel. Auch in Spanien gibt es noch Femizide. Aber die Zahlen sinken. Und in den Fällen, in denen Männer überwacht wurden, funktionierte sie. Die Fußfessel ist ein Werkzeug – vorausgesetzt, das System nutzt sie entschlossen: auch mit der Möglichkeit zur Verlängerung, wenn die Gefahr nicht vorbei ist.

Femizide sind keine Naturkatastrophen

Opferschutz ist kein Gnadenakt. Er ist eine staatliche Pflicht. Und er beginnt nicht erst, wenn das Blaulicht kommt. Es ist nicht tragbar, dass die Debatte um digitale Überwachung gefährlicher Männer länger dauert als hunderte weiterer Beerdigungen hinzunehmen.

Staatlicher Schutz muss wirksam, schnell und verlässlich sein. Femizide sind keine Naturkatastrophen. Sie sind vermeidbar. Aber nur, wenn wir endlich damit aufhören, sie hinzunehmen.