In einer gelben Postkiste liegt ein italienischer Lottoschein zwischen Hosentaschenabfall, auch ein wenig geknülltes Bargeld ist dabei. Der Inhalt der Kiste ist eigentlich der Inhalt der Taschen eines jungen Mannes aus Ghana. Nachdem er sein Glück beim Lotto in Italien gesucht hat, will er es jetzt in Deutschland suchen.

Der Ghanaer sitzt gerade in der Schleuse des Singener Bundespolizeireviers. Er wurde am Bahnhof aufgegriffen, mutmaßlich bei unerlaubter Einreise nach Deutschland. Er kam mit ein paar anderen mit einem Zug aus der Schweiz.

Kontrollrouten werden per Bahn-App geplant

Gut eine Stunde früher: Bundespolizist Lars Heidelbeer sitzt im ersten Stock des Singener Reviers, ein schmales Gebäude am Bahnhof zwischen den Gleisen 4 und 5. An seinem Handy plant er die heutige Route für Grenzkontrollen. „Wir könnten auch nach Villingen-Schwenningen fahren“, sagt er zu seiner Kollegin Laura Müller. „Da kommen wir dann aber nicht mehr weg.“ Die Polizei hat bei ihren Zugkontrollen die gleichen Probleme wie die Fahrgäste auch.

Im Revier hängen an den Türen noch die gelben Papierfahrpläne, es guckt aber niemand mehr darauf. Die meisten Abfahrtzeiten haben die Beamten eh im Kopf. Im Pausenraum hängt noch eine Uhr vom Bundesgrenzschutz – den gab es formell bis 2005, die Uhr dürfte noch deutlich älter sein.

Das Reviergebäude ist in die Jahre gekommen und zu klein

Das Singener Revier ist in die Jahre gekommen, zwischenzeitlich regnete es sogar durch das Dach hinein. Vor allem ist es zu klein, die Kontrolle der vier mutmaßlichen Flüchtlinge wird in den Räumlichkeiten schon zum Tetris-Spiel. Ein Neubau ist seit vielen Jahren geplant, der Zeitplan ist laut Dirk Förste, bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) oberster Vertreter der Bundespolizisten in Baden–Württemberg, nach wie vor in der Schwebe.

„Es ist eine unendliche Geschichte“, sagt er, „die Kollegen vor Ort haben ein bisschen den Glauben daran verloren, dass da noch was passiert.“ Er selbst sei aber optimistisch, die Dinge gingen voran.

Für den Moment aber müssen sich die jungen Männer – ihre Herkunft ist noch nicht ganz klar – auf den schmalen Fluren aneinander vorbeidrängen, um ihre Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Damit wird ein schneller Datenabgleich vorgenommen: ob die jeweilige Person schon mal irgendwo aufgefallen ist oder Einreisesperren im Schengenraum vorliegen.

Ein Flüchtling wird am Singener Bahnhof registriert.
Ein Flüchtling wird am Singener Bahnhof registriert. | Bild: Jann-Luca Künßberg

„In aller Regel sind sie sehr kooperativ“, sagt Bundespolizistin Laura Müller. Die Kontrollen laufen friedlich ab, heißt das. Es sind hauptsächlich Syrer und Afghanen, die derzeit den größten Teil ausmachen.

Greifen die Polizisten deutlich mehr Menschen auf, müssen die in die sogenannte Bearbeitungsstraße nach Radolfzell gebracht werden. Dort können deutlich mehr Personen gleichzeitig registriert werden. Die Fahrt dorthin bindet aber Einsatzkräfte. Und von denen gibt es ohnehin nicht zu viele, obwohl sich die personelle Situation laut Gewerkschaftsmann Förste zuletzt verbessert habe.

„Klar – wenn wir nach Bayern gucken, ist unser Personalaufwuchs in Baden-Württemberg nicht so groß. Die Situation wird sich aber weiter verbessern“, so Förste.

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Einer konnte wohl entwischen

Für den Moment aber müssen Heidelbeer und Müller ihren Kollegen auf dem Revier helfen, die vier festgesetzten Migranten zu durchsuchen. Eine fünfte Person am Gleis, die ein Schlepper gewesen sein könnte, war bei der Kontrolle entwischt.

Um so etwas zu vermeiden, gehen die Bundespolizisten meistens nur die halbe Treppe zum Gleis hoch – so können sie sich einen Blick über die Lage verschaffen, ohne gleich selbst entdeckt zu werden. Wenn sie dann aber zu zweit mehrere Personen festsetzen müssen, können andere schon mal flüchten.

Die jungen Männer in der Schleuse des Reviers sind sichtlich nervös. Klar, gerade über die Grenze gekommen und direkt bei der Polizei gelandet; es folgen Leibesvisite und viele Fragen mit Sprachbarriere. Den Papierkram übernehmen die Kollegen.

Erfahrungen von den Außengrenzen

Lars Heidelbeer ist ein erfahrener Polizist. Er war schon in elf Ländern für die Polizei; in der Ukraine zum Beispiel, in der Türkei und auf der griechischen Insel Lesbos, wo er unter anderem in dem berühmt-berüchtigten Flüchtlingslager Moria gearbeitet hat. Dort ist eine Konfrontation mit dem ganzen menschlichen Leid von Fluchtmigration unausweichlich.

Die Bundespolizei unterstützt im Ausland zum Beispiel andere Grenzpolizeien oder entsendet Beamte als Dokumenten- und Visumberater, die auf Missbrauch und Fälschung von Pässen spezialisiert sind. Dies ist Teil der sogenannten Vorverlagerungsstrategie, mit der illegale Migration nach Deutschland schon frühzeitig verhindert werden soll.

Crashkurs für die neue Identität

Der 44-jährige Berliner Heidelbeer weiß auch um diesen Teil der Arbeit: In der Türkei etwa würden regelrechte Fluchtpakete gehandelt, mit falschen Dokumenten und Crashkursen für neue Identitäten, um bei Kontrollen auf gängige Fragen antworten zu können, die Hymne der neuen Nationalität etwa oder berühmte Bücher aus dem jeweiligen Land.

Auch die halb so alte Laura Müller könnte sich einen Auslandseinsatz vorstellen. Vielleicht in Griechenland, wo ihre Familie Wurzeln hat.

Lars Heidelbeer und Laura Müller bei einer Grenzkontrolle in Bietingen.
Lars Heidelbeer und Laura Müller bei einer Grenzkontrolle in Bietingen. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Jetzt geht es aber erst einmal an den Grenzübergang nach Bietingen. Am Schweizer Zollamt prüfen die beiden Bundespolizisten Einreisende im Autoverkehr. Da ist fast jedes gestoppte Fahrzeug ein Treffer. Das heißt allerdings nicht, dass ständig Asylsuchende in Kleintransportern von Schleusern über die Grenze gebracht werden.

Unterwegs in der deutsch-schweizerischen Grenzregion mit den Bundespolizisten Lars Heidelbeer und Laura Müller.
Unterwegs in der deutsch-schweizerischen Grenzregion mit den Bundespolizisten Lars Heidelbeer und Laura Müller. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Es sind Leute darunter, die in der Schweiz leben, aber nicht alle erforderlichen Dokumente mit sich führen. Die vielleicht einen Aufenthaltstitel haben, aber keinen Pass dabei. Den brauchen sie aber.

„Die holen wir uns, wenn sie zurückkommen“

Egal ob im Straßen- oder Zugverkehr – viele der Menschen, die die Grenzen passieren, haben einen Migrationshintergrund. Eine naheliegende Erklärung könnte sein: Gerade Geflüchtete arbeiten eher in prekären Jobs, haben vielleicht wenig Geld. Da lohnt sich der günstigere Einkauf in Deutschland.

Das gilt aber nicht für alle. Eine dreiköpfige Familie mit einem mazedonischen Staatsangehörigen darf nicht nach Deutschland einreisen, macht ihnen Heidelbeer klar. Es fehlt ein Reisepass. Weil sie das Grenzgebiet noch nicht verlassen haben, müssen sie nur wenden und zurück in die Schweiz. Stattdessen drückt der junge Fahrer aber aufs Gas des weißen Coupés und fährt nach Deutschland.

Heidelbeer gibt sich entspannt: „Die fahren nach Singen zum Einkaufen. Die holen wir uns, wenn sie zurückkommen.“ Der Schweizer Zoll bekommt die Fahrzeug- und Halterdaten, sie sollen den Wagen später auf der anderen Seite festsetzen.

Verschränkte Arme und strenger Blick

Für Müller und Heidelbeer geht es aber zuerst im Zug weiter – im Interregio 3 Richtung Schaffhausen. Dabei geht es nicht nur um irreguläre Migration, die Beamten nehmen auch Rauschgiftdelikte in den Blick.

Von Racial Profiling ist zumindest in Begleitung der Presse nichts zu sehen. Die Polizisten schauen in die Rucksäcke allermöglichen Leute. Heute ist nichts dabei. Klar ist aber auch: Der Modus solcher Kontrollen sind verschränkte Arme und strenger Blick – ein bisschen Autorität ausstrahlen gehört dazu. Das wirkt durchaus nicht bei allen.

Diskussionen mit der Polizei

Anruf der Schweizer Zöllner: Das weiße Coupé ist wieder da. Zurück in Bietingen bekommt ein Insasse eine Anzeige für unerlaubte Einreise, der Fahrer für die Beihilfe. Das kann schnell teuer werden. Die Familie ist nicht begeistert und diskutiert mit den Beamten. Die Frau will sich über die beiden Polizisten beschweren, sie ist der Auffassung, bei der Kontrolle hätten die ihr die Einreise erlaubt.

Damit drohten Leute in solchen Situationen öfter mal, sagt Heidelbeer. Aller meistens beruhigen die sich später, ist er sich sicher. Dass wirklich mal eine schriftliche Beschwerde kam, sei sieben Jahre her. Sorgen mache er sich da ohnehin nicht: „Warum sollte ich irgendwem ohne Pass die Einreise erlauben? Da mache ich mich ja selbst strafbar“, sagt er.

Am Folgetag hat der Mazedonier übrigens seinen Pass nachgereicht. Damit bleibt nur ein Ordnungswidrigkeitsverfahren. Dafür wird ein Bußgeld fällig.

Als Beamte dürfen sich Heidelbeer und Müller nicht politisch zu ihrer Arbeit äußern. Bei der Gewerkschaft der Polizei glauben sie aber nicht daran, dass mehr Grenzkontrollen bei der Bewältigung der Migrationsfrage helfen, sagt Dirk Förste: „Das Problem muss politisch gelöst werden.“