Es war Mitte Juli im FKK-Bereich des Konstanzer Strandbads Hörnle. Per Hausordnung ist dort das Mitbringen von Kameras oder Smartphones in den FKK-Bereich sowie das Fotografieren ausnahmslos verboten. Doch ein etwa 65-jähriger Badegast soll sich darüber hinweg gesetzt und mit seiner Handykamera ein Bild von zwei nackten Kindern gemacht haben. Deren Vater heißt Andreas Heim und ist Hauptkommissar bei der Dortmunder Kriminalpolizei. Er beobachtete die Szene genau und stellte den Mann zur Rede.

Der Mann habe daraufhin vehement bestritten, ein Foto gemacht zu haben. „So einer“ sei er nicht, soll er laut dem Kripobeamten mehrmals gesagt, die Herausgabe seines Handys verweigert und versucht haben, sich aus dem Staub zu machen. Ein Wortgefecht und Schlagabtausch war die Folge, bis die von Heim verständigte Polizei eintraf.

Ein Hauptmeister des Konstanzer Präsidiums durchsuchte das Handy und löschte das Nacktbild der beiden Kinder. Es sei zwar sicherlich nicht schön, nackt fotografiert zu werden, strafbar wäre das aber nicht – so gesehen sei ja nichts passiert, habe der Polizist laut Andreas Heim sinngemäß gesagt.

Die Begründung des Anklägers

Der Familienvater war schockiert über die lasche Vorgehensweise angesichts eines möglicherweise pädophilen Straftäters. Denn auch doppelt gelöschte Handyfotos könnten mit einfachen Mitteln wiederhergestellt und dann verbreitet werden. Heim erstattete Anzeige gegen den Badegast. Dieser wiederum zeigte den Kriminalisten wegen Körperverletzung an. Laut Andreas Mathy, Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz, sind beide Verfahren noch nicht abgeschlossen. Zudem hatte die Behörde ein Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt gegen den Konstanzer Polizisten eingeleitet.

Andreas Mathy, Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz
Andreas Mathy, Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz | Bild: Oliver Hanser

Vor kurzem stellte Oberstaatsanwalt Egon Kiefer nun die Ermittlungen gegen den Polizisten ein und begründete dies in einem Schreiben, das dem SÜDKURIER vorliegt: „Eine Strafvereitelung im Amt (...) kommt schon deshalb nicht in Betracht, da das bloße Fotografieren der nackten Kinder noch keine Straftat darstellt. Es bestanden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Badegast die Fotos gegen Entgelt herstellen (...) oder verbreiten wollte (...). Auch handelt es sich hier nicht um Kinderpornografie. Ein pädophiler Hintergrund der Tat kann dem Badegast ebenfalls nicht unterstellt werden. Der Beschuldigte (der Konstanzer Polizist, Anm.) handelte somit rechtmäßig.“

„Ein schlechter Witz“

Diese Begründungen sind für den Dortmunder Kripobeamten Andreas Heim „rechtlich gesehen einfach nur ein schlechter Witz“. Er hat deshalb Beschwerde bei der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft in Karlsruhe eingebracht. Demnach verkenne die Argumentation der Staatsanwaltschaft Konstanz, „dass der Badegast an einem öffentlichen FKK-Badestrand verbotswidrig nicht nur ein Bildaufnahmegerät mitführte, sondern dies nachweislich dazu nutzte, um Aufnahmen von nackten Kindern zu fertigen“, schreibt Heim in seiner Beschwerde.

Beim Vorfall habe es sich nicht um eine zufällige Aufnahme, sondern um ein geplantes und gezieltes Fotografieren von unbekleideten Kindern gehandelt. „Gerade das hartnäckige Leugnen, Fotos angefertigt zu haben, und die fehlende Bereitschaft, das Foto vorzuzeigen, bestätigen, dass der Badegast planvoll und zielgerichtet handelte und sich auch bewusst war, Unrecht zu tun“, sagt der zweifache Vater dem SÜDKURIER.

Der Badegast hat laut Staatsanwaltschaft Konstanz ausgesagt, er habe das Bild versehentlich gemacht und sich eigentlich nur selbst fotografieren wollen.

Wie sich Eltern in einer Situation verhalten sollen, wenn sie merken, dass ihre Kinder von Fremden fotografiert werden, erklärt eine Konstanzer Expertin im hier verlinkten Artikel.

Anfangsverdacht oder nicht?

Heim sagt, es sei nicht im Ansatz nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft Konstanz festhält, es könne kein pädophiler Hintergrund unterstellt werden. „Es geht zudem nicht darum, etwas zu unterstellen, sondern um die Frage, ob Anlass für Ermittlungen bestand und ob ein Anfangsverdacht gegeben war“, sagt Heim.

Ein Anfangsverdacht sei bei jemandem zu bejahen, der bewusst und verbotswidrig in einem geschützten Bereich Fotos von nackten Kinder macht. „Fotos nackter Kinder würden typischerweise von pädophilen Tätern erstellt und untereinander getauscht. Dieser Austausch reicht aus, um den Tatbestand der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs zu erfüllen“, sagt der Kripobeamte, der sich rechtlich beraten ließ.

Oberstaatsanwalt sieht nur Vermutungen, keinen Verdacht

Dem widerspricht der Konstanzer Oberstaatsanwalt Egon Kiefer. Ein FKK-Strand sei kein höchstpersönlicher Lebensbereich, sondern laut Gesetz nur Räumlichkeiten. Nacktbilder würden dann darunter fallen, wenn damit Geld verdient würde, worauf nichts hingedeutet habe. „Konkrete Hinweise für eine entgeltliche Verbreitung (...) liegen hier nicht vor und dürfen nicht einfach unterstellt werden“, teilt Kiefer auf SÜDKURIER-Anfrage mit.

Denn die Einleitung eines Verfahrens habe weitreichende Folgen für den Betroffenen. Damit kann der Staat in gewichtige Grundrechte eingreifen: Beschuldigte können zeitweise festgehalten, Wohnungen durchsucht und Beweismittel beschlagnahmt werden. „Solche Eingriffe bedürfen einer konkreten Rechtfertigung. Vermutungen über einen möglichen pädophilen oder entgeltlichen Hintergrund genügen hierfür nicht“, sagt der Oberstaatsanwalt und ergänzt auf Nachfrage: „Die Staatsanwaltschaft Konstanz und die örtlichen Polizeibehörden gehen sehr konsequent gegen Sexualdelikte jeder Art vor.“

Wie geht es nun weiter in der Causa?

Wolfgang Hilkert ist Leitender Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, welche die Aufsicht über alle badischen Staatsanwaltschaften führt (für den württembergischen Landesteil ist die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart verantwortlich). Er erklärt im Gespräch mit dem SÜDKURIER, dass die zuständige Ortsdezernentin in Karlsruhe die Beschwerde über die Staatsanwaltschaft Konstanz prüfen wird.

Wolfgang Hilkert ist Leitender Oberstaatsanwalt, ständiger Vertreter des Generalstaatsanwalts in Karlsruhe und Sprecher dieser ...
Wolfgang Hilkert ist Leitender Oberstaatsanwalt, ständiger Vertreter des Generalstaatsanwalts in Karlsruhe und Sprecher dieser Aufsichtsbehörde. | Bild: Justizministerin Baden-Württemberg

Gelangt sie zum Schluss, dass alles in Ordnung war, werden die Akten wieder zurück nach Konstanz geschickt. Kommt die Oberstaatsanwältin und Ortsdezernentin zu einem anderen Ergebnis, kann die Staatsanwaltschaft Konstanz aufgefordert werden, die Ermittlungen nochmal zu führen.

Sollte es eine Befangenheitssituation geben, zum Beispiel wenn es Vorwürfe gegen einen Kripobeamten gibt, der sehr eng mit einer Staatsanwaltschaft zusammenarbeitet, dann können Generalstaatsanwaltschaften einer untergeordneten Staatsanwaltschaft jederzeit Ermittlungsverfahren entziehen, sagt Hilkert.