Harmloser Sport oder eine neue Hexenküche für die Ausbreitung des gefährlichen Virus? In Österreich gehen seit den Weihnachtsfeiertagen die Emotionen hoch, sobald die Rede aufs Skifahren kommt. Seit 24. Dezember dürfen die Lifte und Gondeln im Nachbarland wieder öffnen und mindestens das heimische Publikum auf die Berge bringen. Am Stefanitag, wie der 26. Dezember traditionell heißt, brach ein Sturm auf Pisten und Rodelbahnen los. Einige mussten gesperrt werden wegen Überfüllung, so in Kärnten und Niederösterreich. In Damüls in Vorarlberg bildete sich am frühen Vormittag eine dichte Schlange vor einem Lift, die Mindestabstände konnten definitiv nicht eingehalten werden. Ein Video dokumentiert, dass die Wartenden drängeln wie in den Zeiten vor Corona.

Die Gemeinde Damüls dämpft die allgemeine Aufregung über die Menschenansammlung. Die Wintersportler seien auf einen Schlag und sehr zeitig gekommen, sagt Matthias Klocker, Touristikchef der Gemeinde. Da andere Basislifte nicht öffnen konnten mangels Schnee, habe sich alles auf einen Lift konzentriert, den Uga-Lift. Der Vierer-Sessel-Lift konnten nur mit zwei Personen pro Kabine belegt werden, um den Abstand zu wahren. So wuchs die Warteschlange an.
60 Zentimeter Schnee am Berg
Inzwischen hätten andere Tallifte geöffnet, so dass sich der Andrang verteile. Damüls bildet mit Faschina und Mellau einen der großen Skiverbünde in Vorarlberg. Derzeit liegen auf dem Berg 60 bis 70 Zentimeter Schnee, was für die Jahreszeit wenig ist.

Die Bilder mit dicht stehenden Menschenmassen seien eine Augenblicksaufnahme. Klocker beobachtete große Disziplin der Familien und Einzelfahrer. Die meisten trügen die vorgeschrieben FFP2-Maske auch während der Fahrt, berichtet er im Gespräch mit dem SÜDKURIER.

„Wir waren unter uns“, sagt der Skifahrer
„Es kamen mehr Leute als gedacht, das war der Grund“, berichtet Matthias Rauch, der in Dornbirn wohnt. Der Skifahrer und Journalist hat die Situation nicht als dramatisch erlebt. Insgesamt waren die Anlagen zu 30 bis 40 Prozent ausgelastet, verglichen mit einem Normaljahr. „Wir waren unter uns“, sagt der 32-Jährige etwas bedrückt. Er arbeitet für die Vorarlberger Nachrichten und kennt die Region bestens. Die Besucher aus der nahen Schweiz und aus Baden-Württemberg fehlten. Sie komplettieren in gesunden Jahren den Umsatz und füllen vor allem die Betten, die derzeit nicht belegt werden dürfen.

Die Erlaubnis, die Lifte ab dem 24. Dezember zu öffnen, war auch ein Trostpflaster für die Gemeinden. Die teuren Anlagen können so teilweise genutzt werden. Einige Gemeinden verzichten freilich darauf. Für sie rentiert sich der Liftbetrieb nicht.
Druck auf die Regierung
Hinter der Entscheidung, den Wintersport teilweise zu erlauben, steht auch politischer Druck. Die Bundesländer nehmen im politischen Leben in Österreich eine starke Stellung ein, vergleichbar dem Föderalismus in Deutschland. Vor allem westliche Bundesländer wie Vorarlberg, Tirol und Salzburg drängten auf eine teilweise Kompensation für das verhagelte Wintergeschäft. So kam es zu der Regelung, dass zwischen den Jahren Ski und Rodel freigegeben werden.
„Wir sind ein Land des Skifahrens“, erklärte Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) als Begründung für die Liftöffnungen. „Für uns war es wichtig, dem Wunsch der Bundesländer nachzukommen, dass man vor allem den Einheimischen und Tagesgästen das Skifahren ermöglicht.“ Das ist diplomatisch ausgedrückt, tatsächlich war der Druck der Landeshauptmänner (entspricht den Ministerpräsidenten) massiv genug, um das sonst rigorose Corona-Regime der Regierung in Wien aufzuweichen. Zumal nicht nur die alpinen Westländer, sondern auch die Weststeiermark oder das südlich gelegene Kärnten auf Öffnung pochten nach Monaten der Enthaltsamkeit.
„Endlich wieder Ischgl„
Selbst in Österreich ist die Sonderregelung für die Skigebiete umstritten. „Endlich wieder Ischgl„, twitterte ein Wiener sarkastisch und spielt damit auf den Tiroler Ort an, der sich im März zum Corona-Brennpunkt entwickelt hatte. Zudem war die Ausbreitung der Pandemie erst verschwiegen und spät mitgeteilt worden. Auch in Ischgl hatte eine heimische Allianz zwischen Wirten, Liftbetrieb und lokaler Politik gegriffen, die kein Interesse hatte, dass die Gäste vorzeitig abreisen. Mit verheerenden Folgen. Ischgl ist seitdem ein Synonym für schlecht gelüftete Après-Ski-Bars, die zur Virenschleuder werden. Und es steht für wirtschaftliche Interessen, die über das gesundheitliche Wohl gestellt werden.
Die Skidörfer in Vorarlberg haben es bisher geschafft, sich von diesem schlechten Image „Made in Tirol„ fernzuhalten. Neben Damüls sind dies Orte wie der Diedamskopf, die Silvretta, das Montafon oder als prominentes Ziel das Skigebiet Zürs-Lech.“
Die Wirte sehen sich im Nachteil
Noch etwas stößt vielen Einheimischen auf: Während die einen Tickets verkaufen dürfen, sitzen zum Beispiel die Gastronomen in ihren leeren Gasthäusern. Der Wirt Rainer Glück schreibt in einem Leserbrief: „Die Regierung stolpert von einer Fehlentscheidung zur nächsten. Als Gastronom frage ich mich, warum wir fast drei Monate ganz zu sind, während Skilifte bei Ausgangssperren einen Ansturm erleben.“
Die Antwort liegt möglicherweise nicht in der Politik und auch nicht in der Logik der Hygieneregeln. Skifahren ist im Nachbarland für viele Menschen etwas Elementares. Dreijährige werden schon auf Skier gestellt und auf die Piste geschoben. Der ORF zeigt in der Rennsaison die Weltcup-Rennen in epischer Breite und voller Länge, zumal Österreich dort auch vorne mitfährt.