Herr Minister, drei Polizisten hielten die Rechten am Reichstagsgebäude in Schach. War das besonders mutig oder einfach ihr Job?
Beides, die drei Polizisten machten mutig ihren Job. Jedenfalls gebührt diesen drei Polizisten stellvertretend für alle Polizistinnen und Polizisten Dank und Respekt für ihren Einsatz. Sie schützen uns alle und unsere Demokratie. Die Polizei hat sich auch hier klug und verhältnismäßig verhalten und damit Schlimmeres verhindert.

Trotzdem kam es zum Zeigen der schwarz-weiß-roten Flaggen des Kaiserreichs und der Reichskriegsflagge vor dem Bundestag. War da die Polizei gut genug aufgestellt? Wäre das in Baden-Württemberg so auch passiert?
Zuallererst: Die Reichskriegsflagge auf den Stufen unserer Demokratie, das geht gar nicht, und das nehmen wir auch nicht hin. Wir haben leider seit Jahren immer wieder Demonstrationen, bei denen auch verbotene Fahnen gezeigt werden, auch bei uns in Baden-Württemberg, freilich eher aus dem linksextremistischen Bereich, zum Beispiel PKK-Fahnen. Das wird man nie hundertprozentig verhindern können.
Der Einsatzleiter muss da eine schwierige Abwägung treffen: Löst er die Demonstration auf, was ein harter Eingriff in das Demonstrationsrecht wäre, oder versucht er das Zeigen verbotener Fahnen zu unterbinden – mit dem Risiko, dass es zur Keilerei kommt, dass dann Menschen verletzt werden, oder entscheidet er sich etwa dafür, dass man die Straftäter erst im Nachhinein zur Rechenschaft zieht.
Das Recht auf Versammlungsfreiheit ist ja essenziell für unsere Demokratie und es wird nicht umsonst vom Bundesverfassungsgericht sehr hoch gehalten. Das Demonstrationsrecht ist aus gutem Grund in Artikel 8 des Grundgesetzes als Grundrecht festgeschrieben. Doch das rechtfertigt keine Gewalt und keine Straftaten. Und ja, ich bin der Meinung, dass der Reichstag generell besser geschützt werden muss. Darüber beraten nun ja auch der Deutsche Bundestag und die Berliner Polizei.
Sollte die nächste Querdenken-Demo trotzdem verboten werden?
Das lässt sich so generell nicht beantworten, sondern muss im konkreten Einzelfall abgewogen und entschieden werden. Es gab ja auch unbestreitbar viele Teilnehmer, die sich friedlich verhalten haben. Unfriedlich waren diejenigen, die etwa aus der rechtsextremistischen Ecke versucht haben, die Demonstrationen für sich zu vereinnahmen. Das ist eine sonderbare Amalgamisierung mit dem Rechtsextremismus, mit Antisemitismus, mit Veschwörungstheoretikern, die hier stattfindet.
Das Grundrecht auf Demonstration gilt freilich – und zwar selbst für die abseitigsten Anliegen. Die rote Linie ist bei Gewalt überschritten, und Demonstrationen sind auch kein Freibrief für Straftaten. Es ist auch der Veranstalter in die Pflicht zu nehmen, dass er Straftaten unterbindet, etwa mit Hilfe seiner Ordner.
In Baden-Württemberg hatten wir ja vor Wochen entschieden, die vom Querdenken-Organisator angemeldeten Demonstrationen in Stuttgart, bei denen es ja auch um fünfstellige Teilnehmerzahlen ging, nicht generell zu verbieten. Erstens, weil das Demonstrationsrecht Grundrechtsschutz genießt. Zweitens gab es zur Einhaltung des Infektionsschutzes strenge Auflagen, denn auch der Schutz der Gesundheit hat Verfassungsrang.
Das bedeutet etwa: Es gibt Demonstrationen in bestimmter Größenordnung in der Innenstadt nicht mehr – sondern allenfalls auf dem Cannstatter Wasen, weil man nur dort die Abstände sicherstellen kann. Und der Veranstalter muss auch ein plausibles Konzept vorlegen, wie der Infektionsschutz tatsächlich gewährleistet ist. Das ist überprüfbar und strikt einzuhalten. Und freilich finden nur friedliche Demonstrationen statt – das ist übrigens schon vom Grundgesetz so vorgesehen.

Trotzdem kam es in Stuttgart zu Gewalt.
Ja, leider. Am Rande einer Demonstration in Stuttgart wurde ein Mann schwerst verletzt, er schwebte mehrere Tage in Lebensgefahr. In dem Fall kommen die Tatverdächtigen, die wir inzwischen ermittelt haben, aus dem politisch linken Spektrum. Die Geschädigten sind Mitglieder des Zentrum Automobile. Und das geht definitiv gar nicht, dass sich auf oder am Rande von Demonstrationen die Rechten oder Linken halb zu Tode prügeln! Wir wollen keine Weimarer Verhältnisse in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts.
Die Veranstalter der Demonstrationen und auch ein Großteil der Demonstrierenden kommen aus Baden-Württemberg. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass hier der Widerstand so stark ist?
Warum die Querdenker sich nun ausgerechnet in Stuttgart organisiert haben, dafür gibt es letztendlich keine einfache Erklärung. Bei den Demonstrationen amalgamiert sich ja alles Mögliche: Da sieht man neben ganz normalen Leuten, die einfach um ihre Existenz fürchten, auch PKK-Fahnen neben Peace-Fahnen, man sieht Rechtsradikale, Impfgegner und Aluhutträger, Verschwörungstheoretiker und Antisemiten.
Zwei Punkte sind mir zur Einordnung wichtig: Ich kann nicht bestätigen, dass die Corona-Regeln in Baden-Württemberg auf besonders heftigen Widerstand stoßen. Im Gegenteil – die weit überwiegende Zahl der Menschen ist vernünftig und hält sich verantwortungsvoll an die notwendigen Regeln. Und freilich gibt es in Berlin viel mehr Demonstrationen als in Stuttgart. Da lassen wir mal die Kirche im Dorf.
Die Mehrheit der Deutschen begrüßt die Corona-Regeln. Bei einer Minderheit baut sich allerdings regelrechte Aggression dagegen auf. Woher rührt die starke Abneigung gegen unsere Ordnung?
Das Thema Corona ist allgegenwärtig und es führt zu teilweise erheblichen Einschränkungen und Belastungen. Wenn jemand mit diesen Einschränkungen nicht einverstanden ist, ist es sein demokratisches Recht, dagegen zu demonstrieren und seine Meinung zu artikulieren – und noch einmal: Man darf auch Unsinn verzapfen.
Klar erkennbar ist freilich auch, dass politische Extremisten diese Proteste für ihre Zwecke zu instrumentalisieren suchen. Sie radikalisieren, spalten, hetzen auf. Das muss jeder wissen, der sich durch Teilnahme an solchen Veranstaltungen gemein macht. Und seit einigen Jahren haben wir leider eine dramatische Verrohung der Sprache, vor allem im Netz. Und das wird oft achselzuckend zur Kenntnis genommen. Doch den Worten folgen leider Taten. Deswegen müssen wir im Alltag mit unseren Worten sehr achtsam sein, etwa auch wenn ganze Berufsgruppen wie unsere Polizei unter Generalverdacht gestellt werden.
Wenn dann am 21. Juni in Stuttgart ein Rettungswagen, in dem zwei Sanitäter saßen, beworfen wird, dann ist das ein Skandal erster Ordnung. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die bei Steinwürfen auf Rettungswagen und Polizei ihre Missachtung klar zum Ausdruck bringt.
Anderes Thema: Kann die Landtagswahl im März 2021 normal stattfinden?
Die Landtagswahl wird am 14. März stattfinden, wenn auch nicht ganz so wie gehabt, sondern unter Beachtung des Infektionsschutzes – die Briefwahl etwa könnte eine noch größere Rolle spielen. Wir sollten uns insgesamt darauf einstellen, dass das Virus uns noch lange begleiten wird, vielleicht sehr lange. Deswegen brauchen wir einen Plan für einen Alltag mit dem Virus: wie arbeitet die Wirtschaft unter Viruslast, wie machen wir Kultur- und Sportveranstaltungen auch in Covid-Zeiten, und wie organisieren wir Wahlen und Demokratie in einer andauernden Pandemielage. Es geht also auch um lange Linien und Regeln, wie wir unseren Alltag mit dem Virus organisieren.
Wie soll der CDU-Parteitag in Stuttgart ablaufen? Für einen Friedrich Merz macht das ja einen Unterschied, ob er vor einem Saal mit 1200 Delegierten redet, oder ob er in eine Videokamera spricht.
Wir beabsichtigen, diesen Parteitag als Präsenzparteitag durchzuführen, freilich unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln. Der Parteitag wird nicht wie bisher möglich sein, er wird viel kürzer und es wird weniger kommunikativ sein, vielleicht auch weniger dynamisch. Ob es einem Redner gelingt, unter diesen Bedingungen richtig Stimmung zu machen, muss man abwarten. Doch deswegen können wir den Parteitag nicht einfach verschieben! Weiter und zugespitzt gedacht, könnte sonst jeder, der eine Ausrede sucht, eine finden, um gar keine Wahlen mehr stattfinden zu lassen. Also organisieren wir uns auch in der Demokratie unter der Viruslast – mit klaren Regeln, die auch eingehalten werden.