Man lernt während der Corona-Pandemie nie aus und ist als vorbildlicher Staatsbürger deswegen immer bereit, sich immer neuen Erkenntnissen anzupassen. Auch das Osterwochenende hielt hier wertvolle Lehren bereit. So sollte man die Erklärungen der Polizei und der Stadt Stuttgart für die Duldung des tausendfachen Verstoßes gegen Corona-Regeln während der Demo in der Landeshauptstadt dringend in den eigenen Wissensschatz aufnehmen.

Ja, sagt man bei den Behörden, das sei schon schlecht gewesen, dass da keiner Maske trug. Aber: Es waren halt einfach zu viele Leute, die dagegen verstießen, da seien einem als Staatsmacht ja mehr oder weniger die Hände gebunden, ein Einschreiten hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Merke also: Regeln sind wichtig, werden sie allerdings von einer ausreichend großen Anzahl Menschen gebrochen, gelten sie zumindest zeitweise als außer Kraft gesetzt. Das hört doch jeder Jurist gerne.
Zynismus führt zu nichts, doch die Ereignisse von Stuttgart verleiten dazu. Polizisten, die mit leitenden Querdenkern abklatschen. Polizisten, die mit einem selbst bei der AfD aussortierten Politiker wie Heinrich Fiechtner im lockeren Plausch über die „antidemokratische Ratte“ Berthold Frieß, seines Zeichens Landtagsdirektor, lachen und dabei Fiechtners Maskenlosigkeit ignorieren. Und Polizisten, die schlichtweg zuschauen, wie sich eine maskenlose Masse durch die Straßen wälzt und dabei Journalisten attackiert.
Eine desaströse Reaktion
Das Versagen ist hierbei nur in wenigen Fällen beim einzelnen Polizisten zu suchen, er ist an Anweisungen gebunden. Hinterfragen müsste sich die Einsatzleitung und auch die Stadt Stuttgart, die die Veranstaltung genehmigt hat, obwohl es nach Einschätzung des Sozialministeriums Möglichkeiten der Absage gegeben hätte. Desaströs ist die Reaktion der Polizei: Ausreden, Beschönigungen und die Betonung der „Friedlichkeit“ der Demo. Diese Bewertung mag aus Sicht des Coronavirus greifen – es konnte sich in aller Ruhe verbreiten.
Besonders erschreckend ist die Ja-was-hätten-wir-denn-machen-sollen-Selbstaufgabe der Polizei. In Stuttgart waren 10.000 bis 15.000 Menschen unterwegs. Das klingt erst einmal viel, ist es aber – da müssen alle Querdenker tapfer sein – nicht. Ein schlechtes Fußball-Zweitliga-Spiel in normalen Zeiten ist da besser besucht. Nicht zu reden von Derbys, die die Stuttgarter Polizei gut kennt, und zu der ein Vielfaches an Menschen kommt. Hier zögert man in der Landeshauptstadt nachweislich nicht, mal ein paar Hundert Fans für einige Stunden einzukesseln.
Wo sind Strobls Rechtsstaat-Zähne?
Aber bei ein paar tausend Querdenkern kann man keine Regeln mehr durchsetzen? Wo sind denn da die Zähne des Rechtsstaates, die Innenminister Thomas Strobl so feierte, als Randalierer der Stuttgarter Chaosnacht knallhart verurteilt wurden? Oder haben Teile des Rechtsstaates gar Beißhemmungen entwickelt? Das wäre besonders alarmierend. Hinterfragt wird das von den betroffenen Staatsorganen zumindest öffentlich nicht. Da suhlt man sich lieber in der eigenen Kapitulation.
Was bleibt, ist ein verheerendes Bild. Der Gastronom darf trotz Hygienekonzept keine Handvoll Gäste auf der Terrasse bewirten, während tausende Demonstranten ungestört ein Infektions-Fest feiern. Anständige Bürger, die im Regelchaos den Überblick verloren haben oder allzu menschliche Kleinverstöße begehen, werden bestraft – von Polizisten, die wiederum überhaupt nichts mit den Vorfällen in Stuttgart zu tun haben, aber trotzdem unter dem schlechter werdenden Ruf „der Polizei“ leiden. Auch sie wurden von Stadt und Polizei Stuttgart im Regen stehen gelassen.
Drei Dinge müssen geschehen
Es bleiben nur wenige Möglichkeiten, um Rückhalt zurückzugewinnen und das Symbol Stuttgart nicht zur landesweiten Krise werden zu lassen: öffentliche Aufarbeitung der Verfehlungen der Polizei, strenge Bestrafung der regelbrechenden Teilnehmer und klare Bedingungen für zukünftige Demos.