Die Landwirtschaft in der Region zwischen Bodensee, Hochrhein und Schwarzwald ist gerade im Umbruch wie selten zuvor. Klimawandel, veränderte Essgewohnheiten und ein enormer wirtschaftlicher Druck machen vielen Betrieben zu schaffen.

Doch anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, reagieren die Landwirte – manche mit Experimenten, andere mit einer Rückkehr zu alten Traditionen. Und überall ist zu spüren: Landwirtschaft ist heute mehr als nur Produktion. Es geht um Identität, um Leidenschaft und um die Frage, wie ein Hof in Zukunft überleben kann.

Oliven statt Äpfel – Landwirtschaft im Wandel am Bodensee

Dass jemand am Bodensee Oliven anbaut, wäre vor wenigen Jahren noch als Scherz durchgegangen. Doch Bruno Wagner aus Dieglishofen macht Ernst: Auf seinem Hof wachsen inzwischen rund 220 Olivenbäume. Die Äpfel, einst Herzstück der Bodensee-Obstkultur, lohnen sich für ihn schlicht nicht mehr.

Bruno Wagner (rechts) mit Sohn Thomas Wagner. In der Mitte steht eine Investition für die Zukunft: der Olivenbaum.
Bruno Wagner (rechts) mit Sohn Thomas Wagner. In der Mitte steht eine Investition für die Zukunft: der Olivenbaum. | Bild: Marina Schölzel

„Es bringt nichts, an einer Tradition festzuhalten, wenn sie keine Zukunft hat“, sagt er. Erste Früchte erwartet er frühestens in vier Jahren – bis die ersten Olivenölflaschen im Hofladen stehen, wird also noch Zeit vergehen. Doch Wagner glaubt, dass das Klima am Bodensee mediterraner wird – und dass sich genau darin eine Chance verbirgt.

Bodensee-Äpfel unter Druck – warum der Apfel seine Selbstverständlichkeit verliert

Dass ein Bauer wie Wagner zu solch drastischen Maßnahmen greift, hat mit einem stillen, aber mächtigen Gegner zu tun: den Supermarktregalen. Immer mehr Menschen greifen dort zu exotischen Früchten wie Mango, Papaya oder kernlosen Melonen.

Auf dem Wochen- und Fischmarkt an der Promenade in Frauenfeld im Kanton Thurgau werden neben einheimischen Äpfeln zunehmend gelbe und ...
Auf dem Wochen- und Fischmarkt an der Promenade in Frauenfeld im Kanton Thurgau werden neben einheimischen Äpfeln zunehmend gelbe und rote Wassermelonen angeboten. | Bild: Andrea Stalder

Vor allem die Jüngeren, die Generation Coca-Cola genannt wird, schätzt es süß und praktisch. Der Apfel, jahrzehntelang selbstverständlich, wird zunehmend links liegen gelassen. Für die Bauern bedeutet das nichts weniger als eine Krise.

Feigen vom Bodensee – kleine Früchte mit Symbolkraft

Doch wo Traditionen bröckeln, entstehen neue Ideen. Neben Oliven sind es vor allem Feigen, die den Bodensee erobern. Wagner testet sie bereits – und in Friedrichshafen hat Christian Büchele 2019 begonnen, im Rahmen eines Projekts des Kompetenzzentrums Bodensee Feigen anzubauen.

Christian Büchele vor seinen Feigenpflanzen. 2019 fing er an, diese anzubauen und war Teil eines Versuchs des Kompetenzzentrums Bodensee.
Christian Büchele vor seinen Feigenpflanzen. 2019 fing er an, diese anzubauen und war Teil eines Versuchs des Kompetenzzentrums Bodensee. | Bild: Marina Schölzel

Noch wirft das Ganze kaum Geld ab. Aber für Büchele ist klar: Es geht nicht nur ums Geschäft. „Es geht darum, den Menschen zu zeigen, dass Landwirtschaft auch neue Geschichten schreiben kann.“ Und die Nachfrage, so klein sie noch ist, gibt ihm recht.

Das könnte Sie auch interessieren

Landwirtschaft im Schwarzwald: Wenn Kühe und Pferde zurückkommen

Doch nicht alle suchen ihr Heil in neuen Früchten. In Andelshofen bei Überlingen hat der 23-jährige Simon Hack das Muhen ins Dorf zurückgebracht. Vier Kühe stehen in seinem Stall – nach einem Vierteljahrhundert Pause. Für die Dorfbewohner ist es mehr als ein nettes Detail; es ist das Gefühl, dass das Dorf wieder lebt.

Jungbauer Simon Hack mit seiner Kuh. Nach 25 Jahren muht es wieder im Ortskern von Überlingen-Andelshofen.
Jungbauer Simon Hack mit seiner Kuh. Nach 25 Jahren muht es wieder im Ortskern von Überlingen-Andelshofen. | Bild: Stefan Hilser

Und im Olsberger Forst hat sich Forstwirt Peter Nussbaumer entschieden, den Krach der Maschinen zu verbannen. Stattdessen zieht er die Stämme mit seinen Freiberger-Wallachen Nico (16 Jahre) und Don Figaro (8 Jahre) aus dem Wald. Pferdekraft statt Motorsägen – langsamer, mühsamer, aber nachhaltiger und leise. Wer ihn beobachtet, spürt: Das ist nicht nur Arbeit, das ist Haltung.

Peter Nussbaumer mit seinem Freiberger-Wallach bei der Arbeit im Olsberger Forst.
Peter Nussbaumer mit seinem Freiberger-Wallach bei der Arbeit im Olsberger Forst. | Bild: Hans Wagner

Südschwarzwälder Weidehähnchen – ein Hof erfindet sich neu

Noch drastischer ist der Wandel auf dem Käppelehof in Tiefenhäusern. Dort hat Robin Vogelbacher die Milchkühe abgeschafft und setzt nun auf Südschwarzwälder Weidehähnchen. Die Tiere dürfen doppelt so lange wachsen wie üblich, leben in mobilen Ställen auf der Wiese – und werden von Alpakas beschützt, die Füchse fernhalten.

Auf gute Partnerschaft: Martin Schmidt (Schmidts Märkte, links) und Landwirt Robin Vogelbacher haben mit den Südschwarzwälder ...
Auf gute Partnerschaft: Martin Schmidt (Schmidts Märkte, links) und Landwirt Robin Vogelbacher haben mit den Südschwarzwälder Weidehähnchen ein gemeinsames Projekt auf den Weg gebracht. | Bild: Markus Baier

Geschlachtet wird vor Ort in einer mobilen, EU-zertifizierten Anlage – kurze Wege, volle Transparenz. Und siehe da: Die Kunden sind begeistert, obwohl das Fleisch teurer ist. Vogelbacher sieht darin ein klares Signal: Wer Tierwohl sichtbar macht, der wird belohnt.

Kartoffelanbau am Hochrhein – die Knolle erlebt ihr Comeback

Und dann ist da noch die Kartoffel. Jahrzehntelang war sie auf dem Rückzug, die Anbauflächen schrumpften dramatisch: 1979 waren es rund 700 Hektar, 2016 nur noch 54. Heute aber erlebt sie ein Comeback. Bioland-Betriebe wie der Hof Schmidle bei Lauchringen haben den Anbau wieder aufgenommen – dort wachsen inzwischen auf rund 20 Hektar Fläche Kartoffeln. Dorfgemeinschaftsacker und Urban-Gardening-Projekte sorgen zusätzlich dafür, dass die Knolle wieder Felder und Teller erobert.

Im Kreis Waldshut ist die Anbaufläche für Kartoffeln erneut gewachsen. Ein Beispiel ist der Gemeinschaftsacker in Riedern am Wald. Die ...
Im Kreis Waldshut ist die Anbaufläche für Kartoffeln erneut gewachsen. Ein Beispiel ist der Gemeinschaftsacker in Riedern am Wald. Die Landwirtin Barbara Indlekofer hat zudem einen Tipp für die Zubereitung von Rösti. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

In Restaurants feiern Köchinnen sie neu: ob Rösti mit der Sorte „Annabelle“ oder Kartoffelsalat mit „Sieglinde“ – plötzlich wird die Kartoffel wieder zum Star. Und sie zeigt: Manchmal ist die Zukunft der Landwirtschaft auch die Rückbesinnung auf das Naheliegende.

Hofnachfolge im Schwarzwald – ungelöstes Problem für viele Bauern

Mutige Projekte, kreative Ideen – und doch bleibt ein Problem oft ungelöst: die Hofnachfolge. Immer weniger junge Menschen wollen einen Hof übernehmen. Andreas Fendt aus Strittberg kennt das nur zu gut.

Andreas Fendt sucht einen Pächter für seinen Hof in Höchenschwand. Doch das ist nicht ganz so leicht.
Andreas Fendt sucht einen Pächter für seinen Hof in Höchenschwand. Doch das ist nicht ganz so leicht. | Bild: Stephanie Jakober

Seit drei Jahren sucht er jemanden, der seinen 8,5 Hektar großen Hof mit Gemüse, Brot und Gnadenhof für Tiere weiterführt. Bisher vergeblich. Die Suche nach Nachfolgern gestaltet sich schwierig – und er ist längst nicht der Einzige.

Landwirtschaft im Wandel zwischen Bodensee und Schwarzwald

Die Landwirtschaft am Bodensee, Hochrhein und im Schwarzwald zeichnet ein spannendes Bild: Oliven neben Apfelresten, Feigen zwischen Kuhställen, Pferde im Forst, Hähnchen mit Alpakas und Kartoffeln, die wieder salonfähig sind. Es ist ein Nebeneinander von Aufbruch und Rückkehr, von Experiment und Tradition.

Das könnte Sie auch interessieren

Doch hinter all den Ideen steht eine ernste Frage: Wer macht das in Zukunft noch? Die Bauern zeigen gerade, wie viel Leidenschaft und Einfallsreichtum in ihnen steckt. Aber ohne gesellschaftliche Unterstützung und junge Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, droht manches dieser Projekte ein Strohfeuer zu bleiben.