Yanni Gentsch hatte Mut. Die 30-Jährige joggte an einem Februartag durch einen Park in Köln, als sie bemerkte, dass ihr ein Mann auf seinem Rad folgte. Er zückte sein Smartphone, filmte ihr Gesäß. Gentsch stoppte, stellte den Mann, hielt seinen Fahrradlenker fest. „Wieso macht man das?“, fragte sie.

Der Mann stammelte, es sei doch nichts passiert, es tue ihm leid. „Ich habe Ihnen doch nichts getan.“ Ehe er später versuchte, die Schuld umzudrehen: Warum habe sie auch „so eine Hose“ an. „Haben Sie sich mal von hinten gesehen?“, fragte er noch. Gentsch: Es sei schlimm genug für Frauen auf dieser Welt, und er sei einer der Männer, die dafür verantwortlich sind.

Polizei: Kein strafbares Verhalten

Mehr als 16 Millionen Mal wurde diese Szene inzwischen angesehen. Gentsch filmte selbst mit, lud das Video auf Instagram hoch. Den Mann hat sie unkenntlich gemacht, er bleibt aber hörbar. Als Yanni Gentsch den Mann anzeigen wollte, erklärte man ihr auf der Polizeiwache: strafbar sei sein Verhalten nicht, auch eine Ordnungswidrigkeit sei es nicht. Begründung: Er habe sie nicht berührt, keine „sexuelle Handlung“ vorgenommen. Weil sie angezogen war und in einem öffentlichen Raum unterwegs war, galt ihr Körper rechtlich nicht als „geschützt“ – berührt wurde sie ja auch nicht. Sein Verhalten liege unter der Strafbarkeitsgrenze.

Das, was Gentsch passiert ist, ist kein Einzelfall. Es ist symptomatisch für eine Gesellschaft, in der Frauen täglich zu Objekten gemacht werden. Gentsch startete eine Petition, die mehr als 100.000 Unterzeichner gefunden hat. Und die sie dem Justizminister von Nordrhein-Westfalen übergeben hat. Die Forderung: eine Verschärfung der Gesetzeslage. Braucht es das?

Anpirschen und Filmen ist erlaubt?

Ja. Es ist eben keine Bagatelle. Im Fall der Kölner Joggerin zeigt sich: Die Grenze, ab wann ein Verhalten strafbar ist, ist hier falsch gesetzt. Strafbar ist, wer unter Röcke fotografiert – das sogenannte „Upskirting“. Strafbar ist, wer Kinder in sexualisierter Weise ablichtet.

Aber wer sich mit dem Fahrrad an eine Frau heranpirscht, ihr Gesäß abfilmt und sie zum Objekt herabwürdigt, fällt durch das Raster? Da hängt was schief, auch wenn die juristische Begründung erst einmal logisch klingt: Es fehle an der „sexuellen Handlung“ im engeren Sinne, es habe keinen körperlichen Bezug gegeben.

Übergriffe finden auch digital statt

Es wurde also nicht gegrapscht. Doch diese Logik stammt aus einer Zeit, in der Übergriffe nur als Berührungen gedacht wurden. Sie ignoriert, dass in der digitalen Gegenwart auch Bilder Taten sind. Yanni Gentschs Fall steht für Tausende andere. Frauen berichten, wie sie in der U-Bahn gefilmt werden, auf Rolltreppen, in Parks, am Badestrand.

Wer nach Belegen sucht, findet unzählige solcher Videos im Internet. Solche Bilder bleiben eben meist nicht privat. Sie werden online geteilt, gesammelt, kommentiert. Für die Betroffene heißt das: Die Verletzung ist nicht mit dem Ende der Joggingrunde vorbei. Sie dauert an, potenziell für immer. Die Frau verliert jede Kontrolle über ihre eigene Darstellung, über ihre Intimsphäre.

Strafe schreckt ab

Rechtlich muss die Grenze präzise gezogen werden: Verboten sind nicht Urlaubsbilder oder Straßenszenen, nicht zufällige Aufnahmen im öffentlichen Raum. Sondern gezielte, sexualisierte Aufnahmen, die ohne Zustimmung der Betroffenen entstehen.

Das ist keine Einschränkung der allgemeinen Fotografie, sondern ein Schutz vor einem spezifischen Übergriff. Wer heimlich gefilmt wird, kann auf Unterlassung oder Schadensersatz klagen. Aber diese Mittel sind schwach. Sie setzen voraus, dass die Betroffene den Täter kennt, dass sie sich einen Anwalt leisten kann, dass sie vielleicht jahrelang prozessiert. Das Strafrecht dagegen markiert rote Linien. Es macht deutlich: Dieses Verhalten ist gesellschaftlich geächtet. Es droht mit Strafe – und schreckt ab.