Silke Weidmann

Der junge Mann lebte schon einige Jahre mit seiner Krebserkrankung, ist mit ihr erwachsen geworden. „Eine tolle Persönlichkeit, sonore Stimme, gutes Aussehen, die Frauenherzen sind ihm zugeflogen“, erinnert sich der Psychologe Jochen Künzel. Mehrmals ist er schon in Tannheim gewesen, als er bei seiner letzten Reha sagt: „Künzel, wir beide schreiben jetzt meine Trauerrede.“ Er bat den Psychologen, ihm in den Therapiestunden beim Verfassen der Rede zu helfen, später wollte er ein Handyvideo damit drehen. An seiner Trauerfeier, die er genau plante, sollte dieser Film dann in einem alten Kino gezeigt werden. Als es so weit war, ist Jochen Künzel selbst hingefahren. Der junge Mann hatte es nicht mehr geschafft, die Rede aufzunehmen, der Text aus Tannheim wurde vorgelesen. „Das war schon sehr berührend.“

Oft gibt es keinen passenden Gesprächspartner

Jochen Künzel ist seit 18 Jahren in der Nachsorgeklinik. Er leitet den psychosozialen Dienst. Die bundesweit einmalige Reha für Familien, die ein Kind verloren haben, hat er mit aufgebaut. Sein Beruf sei oft „harter Tobak“, bei dem man aufpassen müsse, dass man nicht zu viel davon mit nach Hause nimmt, sagt er. Wenngleich der Fokus in der Nachsorgeklinik darauf ausgerichtet ist, mit den Patienten Zukunftsperspektiven zu erarbeiten, hätten sie in den psychosozialen Therapien doch immer wieder festgestellt, dass das Thema Tod im Raum steht. Dass die Auseinandersetzung mit Krankheit und Sterben junger Menschen gesellschaftlich stark tabuisiert sei, stelle die Betroffenen vor große Probleme: Sie finden in ihrem Familien- und Freundeskreis oft kaum Gesprächspartner für die Auseinandersetzung mit dem Tod. Doch für viele sei das sehr wichtig. „Manchmal ist es ein letzter Akt der Selbstbestimmung,“ so Jochen Künzel. „Es ist unser Job, zu zeigen: da gibt es keine Tabus, keine No-Gos.“ Oftmals fänden die Betroffenen in der Reha das erste Mal Gegenüber, die dieses Thema „aushalten“.

Letzter Akt der Selbstbestimmung

Vor diesem Hintergrund ist das diesjährige Tannheimer Fachsymposium unter dem Titel „Auch die letzten Schritte brauchen Licht“ im Juni geplant. Das Symposium solle dazu beitragen, den Blick von Fachwelt und Öffentlichkeit für das Thema zu schärfen und gleichzeitig Raum für einen breiten Austausch bieten, so der Tannheimer Psychologe. Am 11. Juni findet der öffentliche Teil in der Neuen Tonhalle in Villingen mit Vorträgen und Informationsmöglichkeiten für Interessierte statt, tags darauf der zweite Teil mit Fachpersonal in der Klinik. Während bei vielen die Vorstellung präsent sei, dass eine Reha vor allem zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit diene, solle die Veranstaltung aufzeigen, wie wichtig und hilfreich eine Reha bei ungünstiger Prognose und nur noch kurzer Lebenserwartung sei. Auch bei längerer Perspektive sei eine Auseinandersetzung mit dem Thema Lebensende oftmals gewinnbringend für die Patienten.

Jochen Künzel appelliert: „Jeder darf seinen Weg des Umgangs mit dem Thema Tod und Sterben gehen.“ Seiner Erfahrung nach möchte sich nicht jeder offen damit auseinandersetzen. „Aber jeder, der es will, sollte die Personen, Räume und Settings finden, die er dafür braucht.“ Gerade weil die psychosoziale Beratung während der Reha mit den Betroffenen Strategien erarbeite, die ihnen im Alltag helfen, sei es eigentlich nicht relevant, ob dieser Alltag viele Jahrzehnte oder nur noch eine kurze Zeit dauere. Für die meisten Menschen sei Selbstbestimmtheit zu jedem Zeitpunkt wichtig. Auch wenn nur noch die Planung der eigenen Trauerfeier bleibt.