Autofreier Sonntag. Bei den Älteren unter uns weckt das so manche nostalgische Erinnerung. Spaziergänger dort, wo sonst Autos fuhren – allerdings viel weniger, als man heute gewohnt ist. Die perfekte Gelegenheit für einen – nicht-motorisierten – Familienausflug. Und endlich mal ungehinderter Fahrspaß für Radler und Rollschuhfahrer auf dem glatten Straßenbelag. Siegfried Lehmann, 67, ehemaliger grüner Landtagsabgeordneter im Kreis Konstanz, kann sich noch gut daran erinnern. „Damals war man darüber nicht entsetzt“, erzählt er. „Zumindest im Rückblick denkt man da gerne dran.“

Wenn es nach Thekla Walker geht, kehrt das einprägsame Erlebnis von 1973 bald zurück. Und die baden-württembergische Landesumweltministerin von den Grünen ist nicht die Einzige, die dem Gedanken etwas abgewinnen kann. Der Anlass dafür ist alles andere als nostalgisch. Der Krieg in der Ukraine führt uns Deutschen gerade vor Augen, wie abhängig wir von Öl, Gas und Kohle aus Russland sind. Die USA haben gerade einen Ölboykott verhängt, allerdings beziehen die Vereinigten Staaten nur sieben Prozent ihres Bedarfs aus Russland – in Deutschland sind es 35 Prozent, beim Gas sogar 55 Prozent.
Noch schreckt die deutsche Politik vor drastischen Konsequenzen zurück, denn wie sollten die russischen Energielieferungen ersetzt werden? Dramatische Folgen für die Wirtschaft wären zu befürchten. Und Russland hat den Gas- und Ölhahn noch nicht zugedreht – die Möglichkeit allerdings schon mal angedeutet.
Pulli an, Heizung runter
Inzwischen kursieren diverse Ideen von Menschen, die nicht auf ein Embargo warten wollen und die massiven Geldüberweisungen in Wladimir Putins Kriegskasse ablehnen. Der Leiter des Nabu-Bodenseezentrums, Eberhard Klein, beispielsweise zieht sich einen Pulli über und regelt die Heizung 1,5 Grad niedriger, wie er dem SÜDKURIER neulich verriet.
Angesichts drohender Energie-Engpässe hat Greenpeace gleich ein ganzes Maßnahmen-Paket aufgelegt, zu dem auch zwei autofreie Sonntage im Monat zählen. Allerdings eher unter „ferner liefen“, an erster Stelle steht für Greenpeace ein Tempolimit: Das soll bei Tempo 100 auf Autobahnen, 80 Kilometern pro Stunde auf Landstraßen und Tempo 30 in Städten liegen.

Autofreie Sonntage könnten nach Auffassung von Ministerin Walker den Spritverbrauch drosseln und die Abhängigkeit von russischen Energie-Importen verringern. „Und warum keine Tempolimits oder autofreie Sonntage wie in den 70er-Jahren? Ein Erfolg – damals wurde der Ölverbrauch stark reduziert“, sagt sie. Unterstützt wird die Idee auch von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), dem seit eh und je öffentliche Verkehrsmittel und das Rad am Herzen liegen.
Wie genau so ein Sonntagsfahrverbot aussehen könnte, dazu gibt es in Baden-Württemberg keine Pläne. Im Landesverkehrsministerium sieht man den Bund am Zug. Voraussetzung für die Einführung von autofreien Sonntagen sei eine Änderung der Straßenverkehrsordnung, heißt es auf Anfrage.
Auch die ersten autofreien Sonntage im Herbst 1973 wurden von der Bundesregierung verhängt – allerdings auf anderer rechtlicher Grundlage: Nachdem die Opec-Länder den Ölexport gedrosselt hatten, reagierte man auf die akute Knappheit mit dem Energiesicherungsgesetz. Die Knappheit ist aktuell nicht vorhanden, auch wenn die Spritpreise bereits in ungekannte Höhen klettern. Dennoch kann es nicht schaden, sich zu fragen, was dafür und was dagegen spräche.
Geeignet als Anstoß, Energie zu sparen
Volker Kienzlen, Chef der Landesenergieagentur Baden-Württemberg, kann dem autofreien Sonntag einiges abgewinnen. Vor allem aus Motivationsgründen. Ein autofreier Sonntag, ist sich Kienzlen sicher, brächte die Leute zum Nachdenken: Ist wirklich jede Freizeitfahrt erforderlich? Lässt sich nicht auch die Bahn oder das Rad nehmen?
Der gebürtige Rottenburger erlebte die ersten autofreien Sonntage als Jugendlicher. Radfahren auf der A 81 fand er damals „klasse“, und sein Interesse für das Thema Energie wurde geweckt – wie bei vielen anderen damals, die sich zum ersten Mal für die Abdichtung ihrer Fenster interessierten oder die Einstellung ihrer Heizung.
In dieser Art könnte auch heute einiges getan werden: Angefangen bei einer Duschbrause, die weniger verbraucht, bis hin zur Dämmung der Kellerdecke ließe sich mit einer Kombination aus bewussterem Verhalten und Alltagsmaßnahmen 20 Prozent Energie einsparen, ist der Geschäftsführer der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg überzeugt.
Tempolimit wäre wirksamer und einfacher
Deutlich kritischer sieht Jürgen Resch den autofreien Sonntag. Der Vorsitzende des Deutschen Umwelthilfe beschäftigt sich seit 30 Jahren mit dem Verkehr. Im Vordergrund steht für den Radolfzeller traditionell weniger der Energieverbrauch als saubere Luft und Klimarettung.
Beim Stichwort autofreier Sonntag muss Resch an ein Bürokratiemonster denken. „Polizisten müssen zur Arbeit, Taxis müssen fahren. Wie erkenne ich diejenigen, die fahren dürfen? Das muss alles beantragt, genehmigt und kontrolliert werden“, sagt er. Er ärgere sich deshalb ein bisschen über die Diskussion, liege doch mit einem Tempolimit ein viel effizienteres Instrument auf dem Tisch, das von jetzt auf gleich ohne zusätzliche Kosten eingeführt werden könnte.
Der Deutschen liebstes Privileg
Tatsächlich hatten zwei Koalitionspartner der aktuellen Ampelkoalition bereits signalisiert, dass sie für ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen zu haben wären. Doch der kleinste Koalitionspartner, die FDP, verteidigte schließlich erfolgreich der Deutschen liebstes Privileg: freie Fahrt für freie Bürger.
Siegfried Lehmann wundert sich, dass die Frage in Berlin noch nicht auf die Tagesordnung gerückt ist: Obwohl er keine schlechten Erinnerungen an die vier autofreien Sonntage im Herbst 1973 hat, stellt er sich die Frage, ob nicht Tempolimits einen größeren Effekt hätten. Beim Mobilitätsverhalten hat sich nach Ansicht des Grünen-Gründungsmitglieds schon einiges getan. „Viele haben ihre Mobilität im Wohnumfeld verändert, haben sich E-Bikes angeschafft.“
Ganz andere Sorgen treibt derzeit eine Branche um, die von Berufs wegen auf den Straßen unterwegs ist. Andrea Marongiu, Geschäftsführer des Verbands Spedition und Logistik in Baden-Württemberg, erreichen jede Menge Anrufe von den Mitgliedern. Den Spediteuren drohen die hohen Spritpreise die Luft abzudrehen, weil sie die Kosten nicht unmittelbar weitergeben können.
Mit Großkunden seien so genannte Preisgleitklauseln vereinbart, erläutert Marongiu. Doch bis die Speditionspreise angepasst würden, verstrichen drei Monate. Mit den hohen Dieselpreisen käme auf manchen Spediteur eine halbe Million Mehrkosten zu, die er drei Monate lang zwischenfinanzieren müsse.
„Viele kleinere Betriebe werden das nicht ohne Hilfe schaffen“, prophezeit Marongiu. Er sagt: „Was wir heute an Preisen sehen, da tut‘s ein autofreier Sonntag nicht.“ Steigen die Spritpreise so weiter, werde irgendwann das Geschäftsmodell der Speditionen infrage gestellt: Ab einem gewissen Preis rechne sich der Transport für manche Dinge schlicht nicht mehr.