„Haben Sie keine Angst, bleiben Sie ruhig, kein Stress!“, riefen schwer bewaffnete SEK-Beamte verdutzten Augenzeugen zu. Als ausgerechnet am sonst so friedlichen Ostermontag zahlreiche Elitepolizisten mit Helm und kugelsicherer Weste ein Haus in Konstanz-Fürstenberg stürmten, schreckte das viele Menschen auf.
Lange war nicht klar, was der genaue Hintergrund für den größten SEK-Einsatz seit Jahren in der Konzilstadt war. Mehrere SÜDKURIER-Recherchen brachten trotz der zugeknöpften Behörden Stück für Stück Licht ins Dunkel.
Nun hat das Landgericht Konstanz fixiert, wann den sechs Angeklagten im Alter von 17 bis 22 Jahren, darunter zwei junge Frauen, der Prozess gemacht wird: Sie müssen sich ab 25. November 2022 vor drei Richtern wegen des Verdachts des erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit besonders schwerem bandenmäßigen und zum Teil bewaffneten Raub, besonders schwerer räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung sowie unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verantworten.
Zwei junge Frauen bei Entführung dabei
Konkret wirft ihnen die Konstanzer Staatsanwaltschaft vor, am 17. April einen damals 19-jährigen Mann bei einer Bushaltestelle in Konstanz-Wollmatingen entführt und anschließend per Auto in eine gemietete Ferienwohnung verschleppt zu haben.

Am Steuer des Entführungswagens dürfte die als Mittäterin angeklagte 18-jährige Frau, auf dem Beifahrersitz die als Gehilfin angeklagte 17-jährige Jugendliche gesessen haben – auf dem Rücksitz wohl das Opfer in „Begleitung“ von zwei der vier Hauptangeklagten im Alter von damals 21 und 22 Jahren. Sie sollen dem Opfer mit vorgehaltener Schusswaffe gedroht haben, ihn umzubringen, wie der 19-Jährige später aussagte.
„Brutale Gewalt und gefährliche Werkzeuge“
In der Wohnung sollen die vier männlichen Angeklagten den jungen Mann laut Landgericht Konstanz „mit Hilfe von brutaler Gewalt und unter Einsatz von Waffen und gefährlichen Werkzeugen“ dazu haben zwingen wollen, ihnen 1000 Euro zu geben, auf die sie aber keinen Anspruch gehabt haben sollen.
Laut SÜDKURIER-Informationen haben die vier fast gleich alten Männer, welche seit gemeinsamen Schulzeiten miteinander befreundet sind, ihr 19-jähriges Opfer auch in der Ferienwohnung mit einer Schusswaffe mit dem Tod bedroht, ihn entkleidet und seine Hände mit heißem Wasser verbrüht.
„Serkans Zuhälter“
Für zwei der vier jungen Täter – alle deutsche Staatsbürger und in Konstanz aufgewachsen – sollen die Misshandlungen zu viel gewesen sein, weshalb sie die Ferienwohnung vorübergehend verlassen hätten, während die anderen beiden weitermachten. Außerdem soll die Bande dem 19-Jährigen mit einer Zange in die Nase gekniffen und verletzt sowie ihm „Wollmatingen“ ins Gesicht geschrieben haben.

Dabei hätten sie ihn auch gefragt, wer der „King von Wollmatingen“ sei. Einer der Tatverdächtigen gibt auf seinem Profil in einem sogenannten sozialen Netzwerk an, er arbeite bei „Serkans Zuhälter“, was wohl eher Protzerei als Tatsachen entsprechen dürfte. Bei den Misshandlungen sollen die Angeklagten ihrem Opfer auch sein Smartphone, seinen Geldbeutel und seine Sonnenbrille abgenommen haben.
„Jeden Tag 100 Euro draufgeschlagen“
Vor seiner Entführung soll der 19-Jährige laut Landgericht Konstanz bei den Angeklagten Drogen gekauft haben, aber den Kaufpreis nicht vollständig bezahlt haben. Laut einem Vertreter der Opfer-Familie, mit dem der SÜDKURIER mehrfach sprechen konnte, soll es zunächst lediglich um Schulden von 50 Euro gegangen sein.
„Die haben jeden Tag, an dem er nicht zahlen konnte, 100 Euro draufgeschlagen, so kam es zu den 1000 Euro“, sagte der Vertreter der Familie. Auch die Staatsanwaltschaft Konstanz hatte bestätigt, dass ein „Säumniszuschlag den ursprünglichen Schuldenbetrag erhöht hat“.
Irgendwann spät in der Nacht dürfte die Bande eingeschlafen sein. Diese Chance nutzte der 19-Jährige, um sich unbemerkt aus der Ferienwohnung zu schleichen und bei einer Verwandten Hilfe zu suchen. Wohl aufgrund der Schusswaffe und der schweren Misshandlungen hat die Polizei dann in den frühen Morgenstunden des Ostermontags das Spezialeinsatzkommando aus Göppingen sowie Kripobeamte aus Rottweil in großer Zahl nach Konstanz beordert.
Hotelparty in Radolfzell artet aus
Die vier hauptangeklagten Männer sitzen seit der Tat in Untersuchungshaft und werden aus den Gefängnissen in Konstanz, Villingen-Schwenningen, Waldshut-Tiengen und Ravensburg zu den drei Verhandlungsterminen im November und Dezember gebracht werden. Die Aufteilung auf vier Gefängnisse erfolgte, damit sich die Angeklagten nicht absprechen können. Die beiden angeklagten Frauen sind auf freiem Fuß.

Zwei der vier hauptangeklagten Männer müssen sich außerdem vor dem Landgericht Konstanz noch wegen einer völlig ausgearteten Party in einer gemieteten Hotelsuite in Radolfzell verantworten, die sie dort mit zehn weiteren Leuten am 5. Februar – rund etwa Monate vor ihrer Festnahme – feierten.
Als der Hotelbetreiber sie mit einem Begleiter aus dem Hotel verweisen wollte, sollen die beiden Angeklagten sie mit Faustschlägen traktiert, dem Hotelbetreiber das Handy geraubt und dem Begleiter gegen den Kopf getreten haben. Beide erlitten laut Staatsanwaltschaft Platzwunden und Hämatome. Sie mussten ärztlich behandelt werden.
Prozesskostenhilfe abgelehnt?
Sauer stößt der Familie des 19-jährigen Misshandlungsopfers auf, dass den sechs Angeklagten auf Staatskosten je ein Rechtsanwalt zur Verteidigung zur Seite gestellt wird, ihr eigener Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Bezahlung eines Anwalts jedoch abgelehnt wurde. „Das finde ich traurig. Die bekommen ihre Verteidiger bezahlt und das Opfer muss gucken, wo es bleibt“, so ein Vertreter der Familie. Auch eine bestehende Rechtsschutzversicherung springe bei dem Strafprozess nicht ein.
Mirja Poenig, Richterin und Sprecherin des Landgerichts Konstanz, präzisiert gegenüber dem SÜDKURIER, dass für eine Prozesskostenhilfe die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen noch nicht eingereicht wurden. „Der Spielball liegt beim Anwalt. Die Kammer, bestehend aus drei Richtern, muss dann darüber entscheiden“, so Poenig.
Welche Strafe droht
Bei einem positiven Entscheid trägt zunächst die Staatskasse die Kosten für den Anwalt des Opfers. Im Falle eines rechtskräftigen Urteils müssten dann der oder die Verurteilten diese Anwaltskosten zusätzlich zu den Verfahrenskosten übernehmen.
Darüber hinaus drohen den vier jungen Männern, von denen zumindest zwei einschlägig vorbestraft sein sollen, Gefängnisstrafen von nicht unter fünf Jahren sowie die Zahlung von Schmerzensgeldern. Es gilt für alle Genannten die Unschuldsvermutung.