1. April 2024, 0.01 Uhr, die ersten Rauchwolken steigen auf – vor dem Brandenburger Tor in Berlin oder in Wohnzimmern in Südbaden. Es wird angekifft im Land: Das neue Cannabis-Gesetz ist eben in Kraft getreten, entgegen der Empfehlung vieler Polizisten und Staatsanwälte. Diese meldeten keine gesundheitlichen Zweifel, sondern zu viele offene rechtliche Fragen an.

Seit der Freigabe von Cannabis stehen die Strafverfolger vor einem Rätsel: Zwar ist seit wenigen Tagen der Besitz und Erwerb in Deutschland von Cannabis von bis zu 50 Gramm nicht mehr strafbar, allerdings ist mindestens bis zum Herbst kein legales Gras verfügbar. Jeder Joint, der momentan geraucht wird, muss also Gras oder Marihuana aus dem Schwarzmarkt enthalten.

Vorstoß aus Südbaden

Denn die vom Gesetzgeber vorgesehenen Anbauvereinigungen für den Erwerb von Cannabis dürfen sich erst zum 1. Juli gründen. Bis hier die Hanf-Pflanzen Blüte tragen, getrocknet und weiterverarbeitet sind, wird es noch Monate dauern. Zwar ist auch der private Eigenanbau von bis zu drei Cannabispflanzen seit April erlaubt – auch die wachsen nicht über Nacht.

Wer draußen beim Rauchen eines Joints angetroffen wird, muss mit Nachfragen rechnen.
Wer draußen beim Rauchen eines Joints angetroffen wird, muss mit Nachfragen rechnen. | Bild: Paul Zinken

Nun haben einige Behörden in Südbaden einen Vorstoß gewagt. Die Staatsanwaltschaften Freiburg, Lörrach und Waldshut-Tiengen sowie das Polizeipräsidium Freiburg haben sich gemeinsam abgestimmt, wie sie mit Kiffern in der Öffentlichkeit und dem neuen Gesetz umgehen.

Achtung, Kontrolle!

Demnach sei die Polizei dem Legalitätsprinzip der Strafprozessordnung verpflichtet. Das heißt: Sie müssen tätig werden, wenn der Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Und da das derzeit im Umlauf befindliche Cannabis nicht aus legalen Quellen stammen kann, müssen die Beamten nach Auffassung der Behörden handeln. Denn Weitergabe und Verkauf durch unbekannte Dritte bleiben strafbar. Für all jene, die in einem Park oder an einem Ufer (mit ausreichend Abstand zu Schulen, Spieplätzen und Sportstätten), einen Joint rauchen, bedeutet das: Trotz Freigabe ist die Polizei alarmiert.

Jeder Cannabis-Konsument kann ein Zeuge in einem Verfahren gegen die unbekannten illegalen Verkäufer sein, so schreiben es die Staatsanwaltschaften. Und diese Zeugen seien verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Außerdem müssen ihre Personalien festgestellt werden. Der Handel mit Cannabis werde weiterhin konsequent strafrechtlich verfolgt.

Rückendeckung aus Stuttgart

Thomas Strobl (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg, nannte die Cannabis-Freigabe ein „verkorkstes Gesetz“.
Thomas Strobl (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg, nannte die Cannabis-Freigabe ein „verkorkstes Gesetz“. | Bild: Bernd Weißbrod

Diese Auffassung teilt Innenminister Thomas Strobl (CDU). Das Gesetz sei „ein Konjunkturprogramm für die OK, für die Organisierte Kriminalität, ein richtiger Doppelwumms für die Organisierte Kriminalität“. Darauf wies bereits der Ravensburger Polizeichef Uwe Stürmer Wochen vor dem Beschluss in Berlin im SÜDKURIER hin.

Generalstaatsanwaltschaften: Keine Vorgaben

Wie die Generalstaatsanwaltschaften in Stuttgart und Karlsruhe erklärten, „existieren derzeit keine landesweiten Vorgaben.“ Praktische Erfahrungen fehlten bisher. Die Generalstaatsanwaltschaften und Staatsanwaltschaften wollen sich dazu in Kürze abstimmen – ein Termin wurde nicht genannt.

Import aus der Schweiz könnte relevant sein

Die Konstanzer Strafverteidigerin Vera Eberz bestätigt dem SÜDKURIER: Bis Juli gibt es keine Regelung, wie Konsumenten, über den Eigenanbau hinaus, legal an das Betäubungsmittel gelangen können. Der Erwerb von Cannabis aus anderen Quellen ist jedoch bis zu einer bestimmten Menge straffrei, gemäß § 34 des Cannabisgesetzes.

„Wer also Cannabis von einem Dealer kauft, macht sich nicht strafbar. Der Dealer selbst hingegen schon!“
Vera Eberz, Strafverteidigerin in Konstanz

Allerdings stelle sich die Frage, ob überhaupt ein Anfangsverdacht besteht, da der Besitz auch auf andere Weise als durch den Erwerb zustande gekommen sein könne. Es sei ein komplexes Problem, so Eberz, es müsse voraussichtlich durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt werden. Liege aber Anfangsverdacht zum Handeltreiben oder zur Abgabe vor, wird der Konsument zum Zeugen, der gegen seinen Dealer aussagen soll.

Vera Eberz ist Fachanwältin für Strafrecht in Konstanz. Sie empfiehlt Cannabis-Konsumenten, gegenüber der Polizei überhaupt keine ...
Vera Eberz ist Fachanwältin für Strafrecht in Konstanz. Sie empfiehlt Cannabis-Konsumenten, gegenüber der Polizei überhaupt keine Angaben zu machen. | Bild: Maike Stork

Ein Recht darauf, die Aussage zu verweigern, bestehe nur dann, wenn der Konsument Gefahr läuft, sich selbst zu belasten. Das kann aber gerade in Südbaden oft der Fall sein. Eberz: „Insbesondere in den Grenzgebieten Freiburg, Lörrach, Waldshut-Tiengen und Konstanz könnte der Import von Cannabis relevant sein. Viele Konsumenten aus diesen Regionen beziehen ihr Cannabis derzeit aus der Schweiz.“

Die Rechtsanwältin rät: „Sollte man vor Ort beim Konsum von Cannabis erwischt werden, empfehle ich, gegenüber der Polizei überhaupt keine Angaben zu machen. Die Polizei hat dann faktisch keine Möglichkeit, eine Aussage zu erzwingen.“

Die empfiehlt die Strafverteidigerin Cannabis-Konsumenten bei einer Kontrolle

  1. Ruhe bewahren, freundlich bleiben und keinesfalls Widerstand leisten,
  2. jede Aussage verweigern,
  3. sich mittels Personalausweis ausweisen,
  4. sofern dann eine schriftliche Ladung der Behörden eingeht, einen Anwalt einschalten.